Das neue Bangladesch
Die weltweite Textilproduktion zieht weiter. Vom armen Bangladesch in ein Land, in dem die Produktion noch günstiger ist: Äthiopien. Deutsche Steuergelder machen’s möglich.
Die Textilbranche handelt Äthiopien als das neue Bangladesch. Doch eigentlich ist Äthiopien als Produktionsstandort sogar noch viel besser als sein asiatisches Pendant: Kürzere Wege nach Europa, relative politische Stabilität im Land, zahlreiche Arbeitslose, die jeden Job annehmen, minimale Löhne. Perfekt!
Die Regierung in Äthiopien will die Textilexporte bis 2020 um das Tausendfache erhöhen. Deutsche Steuergelder fördern das. Zum Beispiel mit einem neuen Ausbildungszentrum, damit dem Markt die billigen Arbeitskräfte nicht ausgehen. Dass die Näherinnen vom Lohn nicht leben können – das interessiert keinen. Hauptsache, Produktion und T-Shirt sind am Ende günstig. Kleidung lässt sich in Äthiopien noch günstiger als in Bangladesch produzieren, dank geringerer Löhne. Umgerechnet einen Euro bekommen die Arbeiterinnen pro Tag. In Bangladesch sind es immerhin zwei Euro. Auch in einem Land wie Äthiopien ist das zu wenig zum Leben. Sechs Euro wären das Existenzminimum.
Die Textilbranche hat das ostafrikanische Land vor einigen Jahren entdeckt und zieht nun um. Für den Ausbau der Industrie vor Ort braucht es neue Fabriken und Arbeitskräfte. Das deutsche Wirtschaftsministerium freut sich darüber und lässt Geld fließen. Es wittert gute Bedingungen für deutsche Konzerne und Investoren. In einem seiner Flyer für eine Informationsveranstaltung zu Äthiopien heißt es: „Attraktiv für Textilinvestoren sind u.a. die niedrigen Lohn-und Elektrizitätskosten.“
Sind die Investitionen nicht trotzdem ein Segen für das arme Äthiopien? Nein. Die großen Gewinne streichen die internationalen Konzerne ein: Tommy Hilfiger, Calvin Klein oder auch H&M. Sie alle lassen vor Ort produzieren – aber belassen kaum Geld im Land. Ein Blick nach Bangladesch zeigt: Das Land und seine Näherinnen sind immer noch arm.
Stress in der Fabrikhalle
Von Bangladesch haben wir die Bilder von überfüllten und dreckigen Hallen in unseren Köpfen. Ins kollektive Bewusstsein gerufen wurde das vor allem mit dem Rana-Plaza-Einsturz in Sabhar 2013, bei dem mehr als 1.000 Menschen starben. Auch in Äthiopien sind die Produktionshallen vollgestopft. Es ist laut, die Vorarbeiter schreien die Näherinnen an, um sie zu einem immer höheren Tempo anzutreiben. Die Arbeiterinnen müssen viele Stunden auf ihrem Platz sitzen bleiben, dürfen mit niemandem reden.
Die Journalistin Carolin Wahnbaeck hat für Die Zeit vor Ort recherchiert. Sie erzählt auch heute noch: „Das Erste, was mir zur Produktion vor Ort einfällt: Bessere Produktionsbedingungen, aber – und das ist ein sehr großes Aber – sehr geringe Löhne, von denen die Angestellten nicht leben können.“ Zu den guten Bedingungen gehören eine Krankenstation, kostenloses Mittagessen und geregelte Arbeitszeiten. Gewisse Sozialstandards werden also eingehalten. Warum aber der niedrige Lohn?
H&M, das seit 2013 in Äthiopien produzieren lässt, kann beim Lohn angeblich nichts machen. Die offizielle Stellungnahme des Unternehmens dazu lautet: „Die Fabriken, in denen unsere Produkte hergestellt werden, gehören uns nicht. Sondern unabhängigen Lieferanten, die für mehrere Marken gleichzeitig produzieren.“ Transparente Produktionsketten, örtliche Kontrollen? Fehlanzeige.
H&M gibt die Verantwortung ab. „Mindestlöhne sollten von den Regierungen der Länder festgelegt werden und genaue Gehälter sollten im Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verhandelt werden.“ Die Regierung aber gar will nicht, dass die Löhne steigen. Die Politiker möchten, dass ihr Land weiterhin attraktiv bleibt für die weltweite Textilindustrie.
Die Jobs in den Fabriken sind trotz der niedrigen Löhne begehrt. Die Näherinnen berichten von einer neu gewonnen Freiheit und der Chance auf Selbstbestimmung. In einem Artikel in der SZ erzählt eine Näherin: „Lieber schufte ich in der Fabrik, als dass ich verheiratet werde und von meinem Mann abhängig bin.“ Wenn ein Unternehmen neue Arbeiterinnen sucht, wirbt es auch mit dem Traum der emanzipierten afrikanischen Frau.
Wer soll davon leben?
Mit einem medienwirksamen Auftritt bewirbt Entwicklungsminister Gerd Müller gemeinsam mit dem Model Barbara Meier den äthiopischen Markt und das vom Ministerium finanzierte Ausbildungszentrum. Müller gibt sich als Gegner von Billigkleidung und betont: „Was nicht gedrückt werden darf, ist das Existenzminimum und die sozialen Standards. Man muss leben können von 48 Stunden Arbeit.“ Trotzdem möchte er für Näherinnen-Nachschub sorgen. Dass die Näherinnen von dem Lohn höchstens über-, aber eben nicht wirklich leben können, scheint egal.
Diese Zusammenarbeit von Politikern und der Industrie hat einen seltsamen Beigeschmack. Vor allem, weil das Geld und das angebliche Engagement der Konzerne nicht bei den Näherinnen ankommen. Aber klar, würden sie mehr verdienen, würde das T-Shirt für uns vielleicht mehr als 1,99 Euro kosten.
5 Jahre nach dem Einsturz der Rana Plaza Fabrik in Bangladesch gibt es in Berlin am 28.4. einen RUN IT UR WAY Flashmob zum Gedenken an die Verstorbenen. Motto: Who made my clothes? Mehr Infos unter http://www.fashionrevolution.org