Debattieren: Wer verliert, hat viel gewonnen
Ich kam, ich sah und habe erstmal verloren – Erinnerungen an meine ersten Schritte im Hochschuldebattieren, wie ich besser wurde und warum ich das Debattieren heute nicht lassen kann.
Zum Debattieren kam ich eigentlich eher zufällig. Nach meinem ersten Unisemester waren alle meine Freunde über die Ferien nach Hause gefahren und mir war ein bisschen langweilig. Auf der Suche nach einer geselligen Beschäftigung stieß ich auf den örtlichen Debattierclub. An meinem ersten Abend dort standen sich zwei Teams gegenüber: eine “Regierung“ und eine “Opposition“. Debattiert wurde über Sanktionen gegen Russland und den Konflikt in der Ukraine. Das Thema war 15 Minuten vor Rundenbeginn bekannt gegeben worden. 15 Minuten, in denen sich die anderen vorbereiteten, während ich versuchte zu rekapitulieren, was ich über den Konflikt in der Zeitung gelesen hatte. Es war nicht viel. Ich sah es schon kommen: Ich würde mich vor diesen belesenen, aufgeklärten und eloquenten Strebern richtig blamieren und nie mehr wiederkommen. Ich malte mir im Kopf bereits das verbale Kreuzfeuer aus und das, was danach von mir und meiner Rede übrig bleiben sollte. Da versicherte man mir, dass ich auch während der Debatte noch zurückziehen könne. Zunächst hörte ich nur zu. Von der Schlagfertigkeit der Debattenteilnehmer war ich ziemlich beeindruckt, Argumente flogen durch den Raum und nach kurzer Zeit wusste ich auch ein bisschen mehr über die Ukraine.
Die erste Rede
Ein paar Reden später kam mir eine Idee. Irgendwie ein Argument, vor allem aber ein sehr passendes Zitat. Ich fand es viel zu gut, um es für mich zu behalten. Und außerdem gefiel ich mir nicht in der Rolle des Rückziehers. Ich sammelte allen Mut (auch Übermut) und trat an das Rednerpult, atmete tief ein, hob die Nase – ein bisschen fühlte ich mich wie ein aufgeblasener Luftballon. Ich setzte an, stieß mein Zitat aus und der Raum gehörte mir! Ich hatte gesprochen, ganz große Worte, leicht pathetischer Tonfall. Für eine knappe Minute. Was jedoch vielversprechend angefangen hatte, war ziemlich schnell wieder zu Ende: Nach ein paar Sätzen kam nur noch heiße Luft. Meine These war argumentativ schwach begründet und wurde im Laufe der Debatte nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen: Es fehlten Prämissen und Zwischenschritte, Beispiele, Abwägungen und Erklärungen. War das Gesagte überhaupt richtig gewesen? Und wenn ja, war es wichtig? Und was heißt in dieser Debatte überhaupt ‚wichtig‘ und wer bestimmt hier ‚richtig‘? Fragen, vor denen ich mich erstmal geschlagen geben musste. Argumentieren will gelernt sein, so meine Einsicht an jenem Abend.
Debattieren für Anfängerinnen
Das war vor fünf Jahren. Seitdem habe ich noch sehr viele Debatten verloren. Als Anfängerin gilt es zunächst wegzustecken – und zu lernen. Wenn man beim Debattieren verliert, hat man immer auch etwas gewonnen: ein neues, besseres Argument. Debattieren ist eine Freizeitbeschäftigung, in der man gemeinsam großen Spaß am inhaltlichen Wettstreit hat, und im übrigen ein Sport, den man trainiert, um sich zu verbessern. Es hat einige Monate gedauert, bis ich meine erste Clubdebatte gewonnen habe. Ich fuhr auf kleine und größere Turniere, debattierte in den Vorrunden gegen großartige Gegner und lauschte in den Finalrunden spannenden Debatten. Dass ich einmal selbst in einem Finale stehen könnte, habe ich lange nicht geglaubt. Die Redner und Rednerinnen waren so gut, so selbstbewusst und schlagfertig!
Übung macht die Meisterin
Aber mir gefiel die Herausforderung – ständig neue Gegner und neue Themen. Von Philosophie über Wirtschaft, Tagespolitik und internationale Beziehungen bis zu Ethik und Popkultur war alles dabei. Ich las jeden Morgen Zeitung und schaute eine Doku nach der anderen. Ich merkte schnell, dass ich Fortschritte machte. Ich erkannte Zusammenhänge zwischen Argumenten, beantwortete Fragen mit weiteren Fragen und kam zu besseren Antworten. Ich hatte Spaß am Spiel, am Gewinnen und Verlieren, aber auch am Üben. Das Debattieren fordert viel: Wissen, Logik, Strategie sowie Kreativität, Charisma und natürlich Eloquenz. Aber es gibt einem auch viel: Man bekommt nach jeder Debatte Feedback zu seiner Rede und tauscht sich mit anderen aus – unabhängig von Fachgrenzen, der Stadt- oder Landzugehörigkeit.
Bald debattierte ich gegen nationale Spitzenteams und schaffte es auch selbst manchmal bis in die letzte Runde. Vor allem lernte ich viel von Anderen: Von erfolgreichen Rednerinnen, ihren Tipps und Erfahrungen, ebenso wie von Gegnern und all meinen Teampartnern. Ich fuhr auf internationale Turniere und debattierte auf Englisch gegen Teams aus Oxford, Leiden oder Tel Aviv. Ich trat bei den Europameisterschaften an und war erstmal wieder sprachlos. Mit neuen Gegnern kamen fundiertere Begründungsmuster und bessere Antworten auf neue Fragen: Warum ist Gerechtigkeit wichtig? Warum ist Gleichheit gut?
Für mich bedeutet Debattieren vor allem, immer wieder herausgefordert zu werden: Man baut Argumente, indem man sie stark macht. Man sichert sie ab und liefert Beweise, Beispiele, Vergleiche, Begründungen. Und diese stehen dann solange, bis jemand kommt und fragt: worauf?