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Der Weg zurück: Leben nach der Krise

Von Emma Askin / 11. September 2024
picture alliance / Caro | Sorge

Wenn die totale Dunkelheit einen umschließt, ist es häufig schwierig, das Licht zu sehen. Aber auch die Dunkelheit kann vergehen und das Leben wieder Licht bekommen.

„Wie lange soll es noch so weitergehen? Gibt es überhaupt noch Hoffnung?“ Diese Worte schrieb ich im Februar 2024 in mein Tagebuch. Für mich war das Leben dunkel, farblos, ohne irgendwelche Aussichten. Vollständig wurde ich eingenommen durch die posttraumatische Belastungsstörung und die damit einhergehende Depression. Es fühlte sich an, als würde sich die Welt zwar weiterdrehen, aber ich bin irgendwie nicht hinterhergekommen. Nicht selten habe ich mir abends gewünscht, am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen. Freuen auf den nächsten Tag konnte ich mich nicht.

Gefühlte Endstation

Zu dieser Zeit war ich in der Klinik. Mal wieder, denn in den letzten zwei Jahren hatte ich viele Wochen in der Klinik verbracht. Es fühlte sich an, als wäre ich an einer Endstation im Leben angekommen. Während ich in dieser Zeit nicht daran geglaubt habe, dass es besser werden würde, waren da Menschen, die es immer gesehen hatten, dass es eben keine Endstation ist. In den zahlreichen Gesprächen mit meiner Bezugspflegerin versuchte sie mir immer und immer wieder zu vermitteln, dass es einen Ausweg gibt. Dass es besser werden würde. Kurz gesagt: Sie hat an mich geglaubt, egal welche Tiefen ich durchmachte. Auch die Oberärztin in der Klinik hat versucht, mir dies zu vermitteln. Doch durch die Depression war in mir alles schwarz. Es gab nur ganz schlecht und sehr gut. Keine Dimensionen dazwischen.

Der Moment, der Licht gebracht hat

Der Moment, der bei mir alles änderte, war ein ganz normaler Freitagabend in der Klinik. Meine Bezugsschwester und ich waren zum Gespräch verabredet. Sie sagte mir, dass sie nicht ganz fassen könne, warum ich es nicht schaffe, an mich selbst zu glauben. Warum ich keine Hoffnung mehr hätte. In dieser Situation gab sie mir ein gutes Gefühl. Ein Gefühl, dass es in Ordnung ist, mich ihr zu öffnen. Aber vor allem, dass ich mich öffnen kann. An diesem Abend nahm ich meinen Mut zusammen und erzählte ihr von einer Traumatisierung in meiner Jugend.

Auf einmal war da ein ganz anderes Gefühl: Erleichterung. Aber auch etwas Licht. Es war fast so, als hätte das Aussprechen dieser Erfahrungen mich befreit. Nach dem Wochenende sprach ich auch mit meiner Therapeutin darüber. Und wieder hatte ich das Gefühl, dass es etwas Druck genommen hatte. In den folgenden Tagen sah ich immer mehr Licht. Spürte immer mehr Hoffnung. Die Wochenenden verbrachte ich zu Hause und meine Entlassung rückte immer näher. Und wieder war da ein Gefühl, dass ich die Wochen davor sehr selten hatte: Freude. Ich konnte mich auf das Leben da draußen freuen. Auf die Realität.

Leben zu Hause

Die ersten Wochen zu Hause waren geprägt von Besuchen bei Ärzt*innen. Durch meinen langen Klinikaufenthalt musste ich einige Termine verschieben. Aber ich habe Stück für Stück das Leben wieder wiederentdeckt. Ich ging wieder regelmäßig zum Fußballtraining. Erlebte meine ersten Spielminuten im Ligabetrieb. Im Juni kam dann vermutlich ein Ereignis, das vor dem Klinikaufenthalt niemals möglich gewesen wäre. Im Rahmen meiner Arbeit bei einer Onlineberatung für Jugendliche durfte ich einen Vortrag beim Nationalen Rat der Missbrauchsbeauftragten halten. In einem Raum vor über 200 Expert*innen aus verschiedenen Fachrichtungen. Nach diesem Vortrag erhielt ich nur begeisterte Worte. Und ich entwickelte ein Ziel für mein Leben, das sich während der nächsten Wochen und einer Projektredaktion zur Fußball EM 2024 nochmal verfestigt hat: Der Journalismus war mein großes Ziel und ich merkte, dass genau dieses Ziel nochmal viel Farbe in mein Leben gebracht hatte. Mein Leben hatte einen Sinn und ich hatte ein Ziel, an dem ich mich festhalten konnte.

Ein Sommer ohne Klinik

Im Februar 2024 hätte ich die Frage, wie ich den Sommer verbringe, vermutlich damit beantwortet, dass ich in der Klinik bin, wie in den Jahren davor. Dies ist nicht eingetreten. Ich habe diesen Sommer viel erlebt. Ich habe erste journalistische Erfahrungen gesammelt, habe meinen Berufswunsch weiter verfolgt. Ich bin gereist und schließlich umgezogen, um mein Studium im Herbst zu beginnen. Die posttraumatische Belastungsstörung ist immer noch da, aber ich kann gut mir ihr leben. Vermutlich wird immer ein Teil bei mir bleiben, aber es geht bei der Heilung einer psychischen Erkrankung gar nicht darum, sie komplett weg zu bekommen. Eher geht es darum, mit ihr leben zu lernen. Und wenn man das kann, dann wird es besser. Irgendwann.

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