Die Einzelfälle häufen sich
Immer wieder fallen Bundeswehrsoldaten durch ihr menschenverachtendes Verhalten auf. Politische Bildung für die Soldaten soll helfen, das künftig zu verhindern. Aber den Ansatz gibt es eigentlich schon.
Erniedrigungen in der Ausbildung, perverse Einführungsrituale und ein rechtsextremer Offizier, der sich als Flüchtling ausgibt und einen terroristischen Anschlag plant: Allein in diesem Jahr landete die Bundeswehr bereits mit skandalösen Geschichten in den Schlagzeilen.
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Hans-Peter Bartels, zählte im vergangenen Jahr 63 meldepflichtige Ereignisse in Bezug auf Extremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, dazu 179 Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen.
Der Bericht des Wehrbeauftragten zitiert Facebook-Posts und Nachrichten in WhatsApp-Gruppen von Soldaten, darunter offen fremdenfeindliche Parolen und geschmacklose „Witze“. Doch das ist nicht alles. Die Studie „Truppenbild ohne Dame?“ aus dem Jahr 2014 belegt, dass die Hälfte aller Soldatinnen in der Bundeswehr mindestens einmal sexuell belästigt worden ist.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erklärte nach Bekanntwerden der jüngsten Vorfälle Ende April, die Bundeswehr habe ein Problem der „inneren Führung“. Es könne bei den Vorfällen nicht mehr von Einzelfällen gesprochen werden. In einem offenen Brief forderte sie: „Wir müssen unsere Haltung klarer definieren, wir müssen unsere Ausbildungskonzepte hinterfragen.“ Für ihre Forderung nach Reformen hat sie viel Kritik bekommen.
Politische Bildung – ein Muss
Politische Bildung soll es richten, hoffen die Verantwortlichen. Sie setzen auf Prävention: Wer um die Vorteile einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung weiß, wird Extremismus klarer ablehnen und die Menschenwürde achten. Genau das ist es, was Soldaten mit ihrem Dienst schützen sollen. Wer sich aber offen demokratiefeindlich oder frauenverachtend verhält, wer Kameraden erniedrigt, kann seinen Dienst nicht erfüllen und gehört nicht in die Bundeswehr.
„Politische Bildung gehört seit der Gründung zur Bundeswehr“, sagt Oberst Edgar Wagner, der seit 38 Jahren in der Bundeswehr dient. Er ist Leiter der Personalabteilung des 1. Deutsch-Niederländischen Korps, das sein Hauptquartier in Münster hat. Rund 900 Soldaten aus zwölf Nationen zählen dazu, darunter mehrere hundert Deutsche. Als Teil der schnellen Eingreiftruppe der NATO können sie innerhalb von 72 Stunden am Einsatzort sein.
Das Deutsch-Niederländische Korps bietet mindestens einmal im Jahr eine Reflektionsreise nach Auschwitz an. „Dort werden all die Dinge diskutiert, gelernt und durch Führungen erlebt, die auch ein Teil unserer deutschen Geschichte sind“, erklärt Wagner. Als Mitglied der Common Effort Community, einem Netzwerk aus bislang 40 militärischen und zivilen Akteure, tauscht sich die Truppe außerdem regelmäßig mit zivilgesellschaftlichen Akteuren wie dem THW oder dem Deutschen Roten Kreuz aus. Dieses Jahr stehen Fragen im Vordergrund, wie Militär und Zivilorganisationen im Irak zusammenarbeiten können.
Zu verschiedenen nationalen Feiertagen kommen die Soldaten in Münster nicht nur zu „einem Glas Wasser und Kuchen“ zusammen, sondern auch zu Vorträgen über die Lebensweise und die aktuelle Situation im jeweiligen Land. Auch von außerhalb der Bundeswehr gibt es zahlreiche Angebote für die Soldaten. Politische Stiftungen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung bieten Workshops an, die sich an der entsprechenden Dienstvorschrift der Bundeswehr orientieren. Die Bundeszentrale für politische Bildung zählt 30 Einrichtungen zu ihrem „Netzwerk politische Bildung in der Bundeswehr“.
Jeder Fall ein Einzelfall?
Oberst Wagner fürchtet, Skandale ließen sich trotzdem nicht gänzlich vermeiden: „Wo Menschen miteinander arbeiten, können solche Dinge passieren.“ Die Bundeswehr, die aktuell aus 180.000 Soldaten besteht, sei immerhin ein Querschnitt der Gesellschaft. Die Soldaten diskutierten das Benehmen ihrer Kollegen untereinander. „Es ist gut darüber zu sprechen, aber es verändert die Truppe nicht“, so Wagner. „Jeder Fall ist ein Einzelfall und muss für sich betrachtet werden.“ Damit hat er eine klar andere Meinung als von der Leyen.
Sobald Vorgesetzte von inakzeptablem Verhalten mitbekommen, sind sie verpflichtet zu reagieren. Dazu zählen Meldungen auf dem Dienstweg, die – je nach Fall – bis ins Ministerium reichen, aber auch Ermittlungen gemäß der Wehrdisziplinarordnung. Diese regelt auch, wann ein Fall an die zivile Staatsanwaltschaft zu übergeben ist.
Genau diese Abläufe haben aber bei den bekanntgewordenen Skandalen nicht reibungslos funktioniert. Im Falle des rechtsextremen Franco A. lagen seit 2014 Hinweise auf seine rechte Einstellung vor, trotzdem blieb er weiter im Dienst.
Bestehende Weisungen und traditionelle Befehle zu überprüfen, findet der Oberst dennoch richtig. Sofern ergebnisoffen gehandelt werde. Die Initiative dafür müsse vom Ministerium ausgehen. „Als Parlamentsarmee können wir uns nicht einfach von innen heraus verändern“, so Wagner. Die Notwendigkeit von tiefgreifenden Reformen sieht er im Gegensatz zu von der Leyen nicht. „Wenn wir die politische Bildung so, wie wir sie im Grundsatz angelegt haben, mit Leben befüllen, auf allen Ebenen, mit klugen Ideen und Partnern, dann ist diese in der Bundeswehr hinreichend.“