„Die Juden“
„Juden haben zu viel Einfluss auf die öffentliche Meinung“. „Juden haben zu viel Kontrolle und Einfluss an der Wall Street“. „Durch ihr Verhalten sind die Juden an ihren Verfolgungen mitschuldig“. Klassische antisemitische Vorurteile. Immer wieder reproduziert. Nicht nur an Stammtischen und in rechtsradikalen Kreisen. Es passiert überall, immer wieder. Schon, wenn jemand von „den Juden“ […]
„Juden haben zu viel Einfluss auf die öffentliche Meinung“.
„Juden haben zu viel Kontrolle und Einfluss an der Wall Street“.
„Durch ihr Verhalten sind die Juden an ihren Verfolgungen mitschuldig“.
Klassische antisemitische Vorurteile. Immer wieder reproduziert. Nicht nur an Stammtischen und in rechtsradikalen Kreisen. Es passiert überall, immer wieder. Schon, wenn jemand von „den Juden“ redet, haben wir es mit irgendeiner Spielart von Antisemitismus zu tun. Eine Art die, wiederum leider, nicht ausschließlich bei den Gedanken der Neonazis beheimatet, sondern weit verbreitet ist.
Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt, dass der klassische oder „primäre“ Antisemitismus bei ungefähr jedem zehnten in Deutschland lebenden Menschen anzutreffen ist (8,6 % bis 11,5 %.) Fast jeder vierte denkt demnach „sekundär“ antisemitisch (knapp 24%.) Dazu gehören Menschen mit Aussagen wie: „Die Juden nutzen die Erinnerung an den Holocaust für ihren eigenen Vorteil aus“.
Antisemitismus ist heute in der Mitte der Gesellschaft immer noch stark verankert. Ein Gespräch über alles Mögliche kann ganz normal, ja sogar sehr sympathisch verlaufen bis plötzlich das Thema auf Israel oder „die Juden” gebracht wird. Was dann folgt ist oft erschütternd.
Uralte Vorurteile oder auch längst wiederlegte Verschwörungstheorien haben ein erschreckendes Beharrungsvermögen und werden immer wieder mit neuen, aktuellen ideologischen Versatzstücken angereichert. In dem letzten Buch von Umberto Eco („Der Friedhof in Prag“) ist dieses Phänomen sehr treffend beschrieben.
Gerade bei Personen mit höherer Bildung wird Antisemitismus häufig nicht offen, sondern vorsichtig oder verklausuliert artikuliert. Wissenschaftler nennen dieses Phänomen Kommunikationslatenz. Das zu berücksichtigen, ist z.B. bei der Bewertung von Umfragen wichtig, weil im Antwortverhalten manchmal eine gewisse Vorsicht an den Tag gelegt wird. Der sogenannten „sozialen Erwünschtheit“ wird damit Rechnung getragen, weil diese Personengruppe weiß, dass „man das nicht sagt“. Aber denken tun sie es trotzdem. Manchmal mündet das dann in die bekannte Phrase von „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen…“
Ein Nährboden ist auch der Nahost-Konflikt: Nicht selten begegnet uns Antisemitismus in Gestalt von Anti-Zionismus. Außerdem bringen manche Migranten-Communities in Deutschland ihren Antisemitismus aus den Herkunftsländern mit. Dem Antisemitismus wie auch andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit liegt ein Muster zugrunde: Selbstaufwertung durch Abwertung von anderen. Ängste vor sozialem Abstieg zum Beispiel können Vorurteile verstärken.
Was wir als Gesellschaft dagegen tun können? Bildung hilft, aber leider nicht immer. Einem überzeugten Antisemiten ist mit rationalen Argumenten nicht beizukommen. Da heißt es dann: Null Toleranz zeigen! Und sich nicht anstecken lassen von dem neu-rechten Gerede über „political correctness“ oder angeblichen Tabus, wie etwa, dass man Israel nicht kritisieren dürfe. Natürlich darf man das. Aber es ist eben ein großer Unterschied, ob man eine bestimmte israelische Politik sachlich kritisiert oder – was mitunter geschieht – die Besetzung des Westjordanlandes mit der Vernichtungspolitik des NS-Regimes gleichsetzt.
Und nein, es stimmt nicht, dass jeder Einzelne nichts dagegen tun kann. Wir können verbal dagegenhalten, wann immer wir antisemitische Sprüche hören. Am Stammtisch zum Beispiel, auf dem Schulhof, in der Universität, im Fußballstadion. Die Friedrich-Ebert-Stiftung bietet einmal im Jahr auch ein Argumentationstraining für Schulen an, um dabei zu helfen. Der Kampf gegen Antisemitismus geht uns alle an. Es geht um die Grundprinzipien von Menschlichkeit.
Ich würde gerne folgenden Satz aufgreifen: „Schon, wenn jemand von „den Juden“redet, haben wir es mit irgendeiner Spielart von Antisemitismus zu tun“, und diesem gerne widersprechen. Ob die Phrase „die Juden“ antisemitisch aufzufassen ist oder nicht, kommt auf den Kontext an.
Gerade bei Jugendlichen fängt die Unsicherheit bei dem Thema schon bei der richtigen Begriffswahl an. Welcher Begriff ist „richtig“, welche sollte ich nicht nehmen…
Leider, so meine Erfahrung, greift die Unsicherheit dann meist auf die ganze Diskussion über und es bedarf Anstrengungen eine ungezwungene Gesprächsatmosphäre zu schaffen.
Daher möchte ich mich gerne für einen ungezwungen, selbstbewussten Umgang mit der Phrase „die Juden“ starkmachen – lasst ihn uns benutzen, immer dann, wenn er sich anbietet.
Befreien wir die Phrase „die Juden“ von ihrer negativen Konnotation und holen ihn als positiv geprägte Phrase in den normalen Wortschatz zurück.
Eine Positionierung gegen Antisemitismus kann bei der Prägung von Begriffen/Phrasen anfangen und den Antisemiten im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache nehmen.
Das Problem ist, dass der „sekundäre Antisemitismus“ kein genuiner Antisemitismus ist, sondern das Problem definitorisch unendlich ausfasert in einer sprachwissenschaftlich eigentlich unhaltbaren Art und Weise. Die Definition schafft das Problem. Nun ist der Begriff Antisemitismus aber aus gutem Grund so extrem geladen, dass wir mit ihm nicht mehr sinnvoll arbeiten können, weil wir natürlich überhaupt keinen Antisemitismus zulassen wollen (oder wie es im Artikel heisst „Null Toleranz zeigen“). Antisemitische Chiffren wandeln sich und funktionieren auch ohne Juden. Strukturell antisemitisch ist zum Beispiel auch die südeuropäische Kritik an der vorgeblich deutschen Euro-Krisenpolitik der Gläubigerstaaten.
Was eine Instrumentalisierung der Holocaust-Erinnerung für politische Zwecke betrifft, so ist das doch in jeder Hinsicht zu erwarten und normal. Die Problematik liegt in der kollektiven Pauschalisierung „die Juden“. Wenn eine rechtsextremistische Regierung eine hässliche Besatzungspolitik aus der Shoa an den Juden rechtfertigt oder Gegner ihrer Politik als Antisemiten (oder jüdische Selbsthasser) denunziert, macht man es ihr einfach zu leicht. Die Instrumentalisierung der Shoa verbietet sich, weil sie unanständig ist. Wer den Antisemitismusbegriff unnötig verbreitert, nimmt ihm den eigentlichen scharfen Gehalt. Es muss ein Raum zu Reden bleiben. Der Begriff „Antisemit“ ist vielleicht die zeitgenössische Variante von „Volksverräter“. In einem solchen Diskurs kann man nicht mehr diskutieren. „Sekundäre Antisemiten“ oder „sekundäre Volksverräter“, da wird es dann ganz windig…
Bin ich, wie H. M. Broder meint, ein „linker Antisemit“, wenn ich die israelische Regierungspolitik kritisiere?