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„Die Politik sollte sich stärker mit Trends auseinandersetzen“

Von Sophie Hubbe / 19. Oktober 2022
picture alliance / PantherMedia | -

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist selbstverständlich. An jeder größeren Universität kann man Geschichte studieren. Aber wer sich der Zukunft widmen will, findet weit weniger Angebote. Sascha Dannenberger hat es trotzdem versucht.

An der Freien Universität Berlin gibt es den deutschlandweit einzigen Masterstudiengang Zukunftsforschung. Sascha Dannenberger war einer der ersten Studierenden und arbeitet heute als Koordinator des Studiengangs. Im Interview erklärt er, wie sich Zukunft erforschen lässt und warum Zukunftsforschung selbst so etwas wie ein Trend ist.

sagwas: Ich habe Geschichte studiert und nie hinterfragt, warum es diesen Studiengang gibt. Ist es genauso selbstverständlich, die Zukunft zu erforschen?

Sascha Dannenberger: Ja, die Auseinandersetzung mit der Zukunft ist so alt wie die Menschheit selbst. Der Mensch hat immer schon versucht, verschiedene Signale zu interpretieren, um zu wissen, was morgen bringt. In der Zukunftsforschung geht es um das Verstehen von Entwicklungen. Man lernt, historische Perspektiven einzunehmen und ein systemisches Verständnis von Problemen zu entwickeln, sich Diskurse zu vergegenwärtigen sowie plausible und fundierte Aussagen über Veränderungen zu treffen. Wir investieren viel Geld in die Erforschung unserer Geschichte und das ist richtig und gut. Wir müssen Rückschau halten, um unsere Identität und unsere Werte zu verstehen. Aber der Blick nach vorne ist mindestens genauso wichtig, um zu beschreiben, wer wir sind und wo wir hinwollen. Aber die Anerkennung der Zukunftsforschung als Wissenschaft wird bis heute infrage gestellt.

Sind Zukunfts- und Trendforschung das Gleiche?

Wir arbeiten in der Zukunftsforschung mit Trends. Die Frage ist, ob es sowas wie eine „Trendforschung“ überhaupt gibt. Was größtenteils betrieben wird, ist aus meiner Sicht eine Trendbenennung oder -identifizierung. Es werden aber selten Gründe oder wissenschaftliche Erklärungen dafür angeführt. Wenn das geschieht, dann meistens bezogen auf einen bestimmten Trend. Das wirkt wie eine Modeerscheinung. Die Zukunftsforschung ist da breiter aufgestellt. Sie identifiziert nicht nur einen Trend als solchen, sondern fragt, was dieser bedeutet. Sie definiert, was wir schlicht nicht wissen können. Nicht weil die Zukunft per se nicht erforschbar wäre oder man keine Aussagen darüber treffen könnte. Aber wenn wir nach wissenschaftlichen Orientierungen für die Zukunft suchen, müssen wir wissen, wo es überhaupt Forschungsprobleme oder offene wissenschaftstheoretische Fragen gibt. Entsprechend sind Trends ein Teil der Zukunftsforschung.

Wie würdest du den Begriff Trend definieren?

Es gibt keine einheitliche Definition. Ich würde Trends als Phänomene im Hier und Jetzt beschreiben, eine aktuelle Entwicklung. Die ist weder zyklisch noch periodisch. Ein Sonnenaufgang oder die Tatsache, dass jeder Abend seinen Verkehrsstau hat, sind keine Trends. Trends sind etwas Ungewöhnliches, Neues und haben grundsätzlich das Potenzial, zu einer Veränderung beizutragen. Der Unterschied zwischen Trend- und Zukunftsforschung liegt darin, dass Trendforschung Veränderungen wahrnimmt und Zukunftsforschung dazu Gründe liefert. Sie stellt damit Plausibilität her. Das ist kein „wahres Wissen“ wie bei anderen Wissenschaftsdisziplinen. Es ist solches erst einmal unsicher, insofern es größtenteils aus Ad hoc-Annahmen gespeist ist. Gesicherte Aussagen über künstliche Intelligenz lassen sich beispielsweise nicht treffen, aber was wir heute wissen, können wir mehr oder weniger gesichert erwarten.

Wenn ich an Trends denke, tauchen bei mir im Kopf verschiedene Akteur:innen und Plattformen auf. Welche Rolle spielen diese?

Es ist wichtig, die Ebene der Akteur:innen zu betrachten. Ein Trend ist ja nicht naturgegeben, sondern ein Konstrukt. Er muss erst einmal benannt und wahrgenommen werden. Dann muss eine gewisse Öffentlichkeit erzeugt werden: Leute müssen an den Trend als solchen glauben, sie müssen dafür sensibilisiert werden. Da haben einige Akteur:innen – machttheoretisch betrachtet – bessere Ausgangspositionen als andere, weil sie zum Beispiel besser oder schneller Aufmerksamkeit herstellen können. In unseren Breitengraden ist die Wirtschaft sehr weit vorne, Trends zu kreieren. Das sind dann oft kurzfristige Trends, die ökonomische Beweggründe haben. Sicher wäre es darum sinnvoll, wenn sich Politik stärker mit Trends auseinandersetzen und diese wahr- und aufnehmen würde.

Sieht das Trendpotenzial hierzulande vor allem bei der Wirtschaft: Zukunftsforscher Sascha Dannenberger (Foto: S. Dannenberger)

Ist die Zukunftsforschung selbst so etwas wie ein Trend?

Immer wenn es unsichere Phasen gibt, wenn Krisen auftreten oder Sicherheiten verloren gehen, dann ist der Ruf nach Zukunftsforschung und Orientierungswissen groß. Wir sind wieder in Krisenzeiten, nicht nur geopolitisch, sondern auch beim Klima- oder dem demographischen Wandel. Es entsteht ein Bewusstsein für Veränderungen und es fehlen gleichzeitig gesicherte Antworten auf diese. In solchen Phasen ist die Zukunftsforschung im Trend.

Jetzt mal ganz praktisch: Was lernen Studierende der Zukunftsforschung?

In unserem Masterstudiengang geht es um eine kritische wissenschaftstheoretische Haltung, um die Frage, was kann ich eigentlich über die Zukunft wissen. Wie kann ich etwas wissenschaftlich erforschen, das es ist nicht gibt? Dazu braucht es eine methodische Ausbildung. Die Studierenden lernen, mit statistischen Verfahren modellhafte Prognosen zu erstellen, mittels elaborierter Umfragetechniken Expertenwissen zu erheben und sich kreativ-analytisch komplexen Fragestellungen zu nähern, zum Beispiel über Metaphern.

Welche Rolle spielen dabei Social Media-Plattformen? Haben wir es hier mit einer grundsätzlich anderen Art von Trends zu tun?

Was wir auf Tik Tok oder anderen Social Media-Plattformen erleben, ist nichts anderes als das, was die Wirtschaft schon immer in der Werbung macht. Es geht um Bedürfnisse, um Lifestyle-Trendsetting. User auf Social Media-Kanälen gehen das auf einem anderen Niveau an. Sehr viel schneller und persönlicher wird das Gefühl generiert: Das brauchst du, das ist gut für dich. Hier werden Trends persönlich gesetzt und als Trends behauptet. Die Zukunftsforschung reagiert hierauf eher distanziert, entspannt. Nicht jeder Trend verdient Beachtung. Vielleicht ist es nur ein Hype, der morgen schon wieder vergessen ist.

Und was unterscheidet einen Hype von einem Trend?

Ein Hype ist zunächst eine Art Übertreibung, dem der Wunsch anhängt, eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Meist vergehen Hypes genauso schnell, wie sie gekommen sind, und führen – im Gegensatz zu Trends – nicht zu wahrnehmbaren, bleibenden Veränderungen.

Danke für das Gespräch!

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