Eine für alle?
Eine gemeinsame Armee für Europa könnte den gesamten Erdteil sicherheitspolitisch stärken und Kosten sparen. Dennoch ist ihre Umsetzung unrealistisch.
Im Oktober 1950 schlug der damalige französische Verteidigungsminister René Pleven erstmals vor, eine gemeinsame Armee für Europa einzuführen. Doch über die Entwurfsphase kam seine Idee nie hinaus. Knapp 70 Jahre später ist die Diskussion angesichts sicherheitspolitischer Herausforderungen wieder aufgeflammt. Das Thema polarisiert: Schließlich würde eine „Europaarmee“ an den Kern der Nationalstaats gehen – in die hoheitliche Aufgabe der eigenen Verteidigung lässt sich kein Land gerne reinreden. Entscheidungen der Sicherheitspolitik auf europäische Ebene zu verlagern, ist unpopulär – insbesondere in Zeiten der EU-Skepsis.
Derzeit unterhalten die 28 Mitgliedstaaten der EU 28 selbstständige Streitkräfte. Bei einer einheitlichen Armee würden die Streitkräfte einem einzigen europäischen Verteidigungsminister unterstellt, die Staaten müssten einen beträchtlichen Teil ihrer Rechte abgeben. Nicht mehr die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen würde die Richtlinien der Bundeswehr bestimmen und im Kriegsfall würde nicht mehr der französische Staatspräsident François Hollande die Armée francaise befehligen. Stattdessen würde ein einzelner gesamteuropäischer Verteidigungsminister Einsätze kommandieren sowie Budget und militärisches Gerät verwalten.
Anhänger gibt es in Deutschland
Befürworter einer solch denkbaren „Europaarmee“ sind unter anderem der Chef der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker und der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. In einem Interview verwies Steinmeier darauf, dass sich heutige Bedrohungen nicht auf einzelne Staaten beschränken ließen, sondern vielmehr Europa als Gemeinschaft träfen. „Angesichts der neuen Gefahren und Bedrohungen unserer europäischen Friedensordnung brauchen wir jetzt als ersten Schritt eine zügige Anpassung und Aktualisierung der gemeinsamen europäischen Sicherheitsstrategie.“
Europas Armee muss nicht nur eine Antwort auf neue Anforderungen in der Sicherheitspolitik sein. Sie soll auch den Haushalt der europäischen Länder schonen. Der Vergleich zu den USA zeigt, wie aufwändig 28 verschiedene, voll ausgerüstete Streitkräfte innerhalb der EU sind, während die Mitgliedstaaten politisch und wirtschaftlich eng verflochten sind. Während es in der EU etwa anderthalb Mal so viele Soldaten wie in den USA gibt, entspricht die Verteidigungsfähigkeit nur 10 bis 15 Prozent der der amerikanischen Streitkräfte. Das Militär in den USA speist sich aus Soldaten aller 50 Bundesstaaten und wird von einem einzigen Oberbefehlshaber geführt – dem amerikanischen Präsidenten.
Deutsche Tornados über Griechenland
Kosten sparen würde das Prinzip des Pooling and Sharing. Die nationalen Streitkräfte würden gemäß dem Pooling gemeinsam an Rüstungsprojekten arbeiten, Material beschaffen und unterhalten. Die Anschaffungspreise wären geringer, schließlich hätte diese große Armee eine größere Marktmacht, um niedrigere Preise auszuhandeln. Mit einem gemeinsamen Haushalt könnte die Europaarmee Rüstungsprojekte umsetzen, die einzelne Staaten nicht finanzieren könnten.
Nach dem Prinzip des Sharings würden die militärischen Aufgaben innerhalb der EU verteilt. Die Länder würden ihre jeweiligen Fähigkeiten zur Verfügung stellen und im Gegenzug auf ihre Partner setzen. So würde zum Beispiel Deutschland mit seinen Tornados den griechischen Luftraum sichern und griechische Fregatten würden deutsche Handelsschiffe in der Ägäis bewachen. Doppelte Strukturen würden abgeschafft, nicht jede Armee müsste jedes Material vorhalten.
Es mangelt an Vertrauen
Bestehendes Misstrauen und unwägbare Abhängigkeiten sind die größten Kritikpunkte der Gegner einer solchen Europaarmee. Ihre Angst vor Profiteuren ist groß – Staaten also, die im Ernstfall zurückziehen und ihre Kapazitäten nicht zur Verfügung stellen. Das ist nicht unrealistisch, solange die EU außenpolitisch nicht mit einer Stimme spricht. Zu oft gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wann ein Einsatz gerechtfertigt ist und wann nicht. Und wie müsste die Europaarmee reagieren, wenn Deutschland einen Kampfeinsatz ablehnt, den Frankreich befürwortet?
Hoffnung auf eine einheitliche militärische Position und eine entsprechende Ausgestaltung geben den Befürwortern bereits bestehende kleine Bündnisse innerhalb der EU, in denen einzelne Länder erfolgreich zusammenarbeiten. Ein Beispiel ist der Eurofighter, ein gemeinsames Rüstungsprojekt von Vereinigtem Königreich, Spanien, Italien und Deutschland. Eine derartige Zusammenarbeit ersetzt jedoch keinesfalls die erwartbare Schlagkraft einer gesamteuropäischer Armee.
Wie (un-)realistisch das Anliegen Plevens jedoch auch heute noch – aller europäischer Integration zum Trotz – weiterhin ist, zeigt sich an den vielen gegensätzlichen Auffassungen, die führende europäische Politiker gegenüber diverser offener Angelegenheiten vertreten. Sollten die nationalen Armeen langfristig abgeschafft werden und einer Großarmee weichen, die alleine und unter ausschließlich europäischem Hoheitszeichen zu Tage tritt? Hätte der Deutsche Bundestag die Möglichkeit, deutsche Soldaten aus einem Einsatz rauszuhalten? Wer würde wie viel Geld zur Finanzierung des Projekts beisteuern? Solange diese Fragen nicht geklärt sind, wird es keine geeinte Armee für Europa geben.
Haben wir in der EU derzeit nicht andere Aufgaben, als ausgerechnet über eine gemeinsame Armee zu diskutieren? Europa steht für die Macht der „Soft-Power“, Trump steht auch nicht für Militär-Interventionen. Da sollte es doch eine Chance geben, nicht weiter Opfer infolge militärischer Auseinandersetzungen zu produzieren, die von der westlichen Welt ausgehen. Und Rüstungsausgaben reduzieren kann man auch ohne eine gemeinsame Armee.