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Eine tierische Systemkritik

Von Tim Bredtmann / 28. August 2019
picture alliance/dpa | Paul Zinken

Die Vereinten Nationen haben im Mai einen Bericht veröffentlicht, der besagt, dass im Moment ca. eine Million Arten vom Aussterben bedroht sind. Vielen droht schon in wenigen Jahrzehnten das Ende. Ein alarmierendes Zeichen, das verdeutlicht, dass bestehende Verhältnisse wie Überproduktion geändert werden müssen.

Eine Gruppe von Aktivist_innen hat sich entschieden, weltweit zu einer gewaltfreien Rebellion aufzurufen. Sie wollen die Klimakatastrophe soweit wie möglich begrenzen und das Überleben aller Lebewesen sichern. Sie nennen sich Extinction Rebellion (Rebellion gegen das Aussterben). Florian und Tino sind Aktivisten dieser globalen Bewegung und haben sich Zeit für ein Interview genommen.

Sagwas: Eine Begrifflichkeit, die ihr oft benutzt, ist „toxisches System“. Was meint ihr damit?

Tino: Ein toxisches System beschreibt, dass unsere aktuelle Lebensweise giftig und zerstörerisch ist. So, wie wir leben, ist es giftig für unsere Umwelt. Wir produzieren endlos auf einem Planeten, der aber endliche Ressourcen hat.

Wie hängt unser Konsumverhalten mit dem Artensterben konkret zusammen?

Florian: Der enorme Ressourcenverbrauch, den wir in diesem toxischen System haben, also immer mehr und immer billiger zu produzieren, hat dazu geführt, dass wir fast gar keine natürlichen Habitate mehr haben. Sprich kein Gebiet, wo die Natur noch die Natur sein kann. In Deutschland sind das weniger als zwei Prozent der Gesamtfläche. Das geht gar nicht! Denn die Grundlage dieser Ressourcen, die wir in unserem toxischen System verbrauchen, ist das Ökosystem. Ohne das Ökosystem regenerieren sich diese Ressourcen nicht. Wenn das Ökosystem nicht funktioniert, kollabiert unser System und damit kollabiert auch die Menschheit.

Was verstehst du unter „Ökosystem“?

Florian: Man muss sich das Ökosystem wie ein riesengroßes Spinnennetz vorstellen. Jede einzelne Art ist eine der Fäden dieses Netzes. Wenn wir einen Faden rausziehen, dann ist das Netz geschwächt. Momentan gehen hundert- bis tausendmal mehr Fäden verloren, als wir das jemals hatten, mit einer sehr großen Geschwindigkeit.

Hast du dafür ein konkretes Beispiel?

Florian: Wir haben ja das Insektensterben. Es gibt einen Rückgang von über siebzig Prozent der Insektenmasse. Das klingt für viele Menschen vielleicht erstmal angenehm. Aber keine Insekten bedeutet: Keine Bestäubung von Nutzpflanzen, keine Früchte für uns, kein Fressen für Vögel und Säugetiere. Somit ist einer der Grundpfeiler des Ökosystems massiv beeinträchtigt. Das Aussterben einer einzigen Art kann dadurch, dass alle Arten miteinander vernetzt sind, zu weiterem Aussterben führen. Wir haben jetzt die Voraussage, dass etwa eine Million Arten aussterben werden. Da kann man sich vorstellen, was das alles nach sich ziehen wird. Ich fürchte, dass wir ein globales ökologisches Problem bekommen werden, dass uns in ähnlicher Weise beeinflussen kann wie der Klimawandel.

Was kann der einzelne Mensch dagegen tun?

Tino: Du kannst schauen, wie du lebst und ob deine Lebensweise eben auch zu diesem toxischen System beiträgt. Wie du einkaufst, wie du konsumierst usw. Ich denke, an dieser Stelle reden wir von einer Sensibilisierung von Lebensweisen. Das heißt, sich Stück für Stück Herantasten an neue Ernährungsweisen und Kaufverhalten ist eine schöne Sache. Damit ist es aber nicht getan, wenn wir Lebensweisen ändern, aber trotzdem in einem wachstumsorientierten System leben. Hier ist eine Veränderung des Systems wichtig. Es ist wichtig, als Einzelperson auch an der Rebellion teilzunehmen. Das bedeutet aber nicht, sich festnehmen zu lassen oder sich irgendwo festzuketten. Die Rebellion braucht viele Gesichter und viele Tätigkeiten.

Florian: Kauft regional, kauft saisonal. Muss es zu Weihnachten Erdbeeren geben? Konsumiert insgesamt weniger und den Jahreszeiten angemessen.

Das System verändern, Menschen sensibilisieren. Wie wollt ihr diese Ziele erreichen?

Florian und Tino: Wir haben drei Forderungen. Erstens wollen wir, dass Bürger_innen endlich ehrlich über den Zustand der Erde informiert werden. Zweitens fordern wir, dass die Emissionen durch Treibhausgase bis 2025 auf netto-null reduziert werden. Drittens fordern wir einen partizipativen Prozess, indem die Regierungen Bürger_innenversammlungen einberufen. Wir sagen nicht: Wir können das besser. Wir wollen das mit allen zusammen machen. Wir wollen an dieser existenziellen Bedrohung arbeiten. Das oberste Prinzip ist das Vertrauen. Wir vertrauen der Politik und der Wirtschaft und erwarten, dass dieses Vertrauen auch uns entgegengebracht wird.

Vielen Dank für dieses sehr spannende Interview!

Die Aktivist_innen von Extinction Rebellion haben eine klare Vorstellung von einer Welt, in der alle leben können, Menschen und Tiere. Ist der Weg dorthin der richtige? Das weiß niemand so genau. Was wir aber wissen: Wenn sich nichts tut, werden hunderttausende Arten aussterben und wir vielleicht auch.

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