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Essensmarken sind keine Zukunft

Von Nico Schmolke / 28. Juni 2016
Foto: Nico Schmolke

Warum Hilfe immer auch Befähigung zur Selbsthilfe bedeuten sollte. Ein Interview.

Carolina Kamratzki, 23 Jahre, Studentin aus Basel, hat bis Juni 2016 knapp ein Jahr in Jordanien gelebt und dort mit Flüchtlingen aus Syrien gearbeitet, die vergeblich auf eine Verbesserung ihrer Situation warten. Im Gespräch erzählt Carolina, wie die Arbeit bei einem Hilfsprojekt sie verändert hat und warum die Hoffnungen von Tausenden Flüchtlingen in Jordanien nicht in Erfüllung gehen.

Carolina
Carolina hat in Basel Soziologie und Islamwissenschaften studiert. (Foto: privat)

Carolina, beim „Collateral Repair Project“ hast du Flüchtlinge in der jordanischen Hauptstadt Amman unterstützt. Sind dafür nicht die UN-Camps und das Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) da?

Von den in Jordanien offiziell registrierten 650.000 syrischen Flüchtlingen leben nur 20 Prozent in den UN-Camps auf dem Land. Wenn es stimmt, dass sogar bis zu 1,5 Millionen Syrer im Land sind, ist der Anteil der Camp-Bewohner noch geringer. In den Camps ist einfach kein Platz mehr. Das Geld zur Erweiterung reicht nicht aus, weil die Budgets der internationalen Fördermittelgeber schrumpfen. Die anderen Flüchtlinge müssen dann bei Verwandten in den Städten unterkommen. Wer bedürftig ist, erhält bei unserem Hilfsprojekt Essensmarken. Außerdem machen wir Freizeitangebote oder Kurse zur Berufsvorbereitung in unserem Gemeindezentrum.

Geht es syrischen Kriegsflüchtlingen in Jordanien besser als in Deutschland?

Kulturell gesehen ja. In Jordanien können die Menschen zumindest eher ihre Würde bewahren, denn besonders die Älteren werden wie in ihrer Heimat mit viel Respekt behandelt. Außerdem kennt fast jeder Flüchtling im Land schon jemanden, schließlich ist Jordanien seit vielen Jahrzehnten Zufluchtsort. In Deutschland ist das nicht so ausgeprägt, da wird man eher pampig angemacht und gilt schlicht als bedürftiger Flüchtling. Andererseits haben es städtische Flüchtlinge in Amman auch extrem schwierig, denn ein soziales Absicherungssystem existiert nicht. Da nur die Wenigsten legal arbeiten dürfen, landen viele der Flüchtlinge in der Armut. Laut UN leben 90 Prozent der syrischen Flüchtlinge in den Städten unter der jordanischen Armutsgrenze von 87 Dollar pro Kopf und Monat.

Pfadfinderinnen
Im Gemeindezentrum des „Collateral Repair Project“ betreut Carolina Pfadfinderinnen bei einem Erste-Hilfe-Kurs. (Foto: Carolina Kamratzki)

Müssten die Industriestaaten ihre Hilfsprogramme für die Nachbarländer Syriens und des Iraks aufstocken, damit die Flüchtlinge dort besser versorgt werden und nicht über das Meer nach Europa fliehen?

Mehr Geld bringt die Menschen nicht von der Flucht nach Europa ab. Die Frage ist ja: Haben die Menschen in Jordanien eine Zukunft? Ohne Hilfsprogramme wie unserem müssten viele Familien hungern. Wir können eine Notlage überbrücken, das Selbstbewusstsein stärken. Doch langfristig bringt diese Hilfe wenig. Niemand will lebenslang von Essensmarken abhängig sein. Viele waren vorher Architekten, Elektriker, Obstverkäufer, die wollen ihr Leben wieder in die Hand nehmen. Ihr Zuhause ist aber nicht mehr bewohnbar, liegt in Trümmern – und in Jordanien dürfen sie nicht arbeiten. Es sind in den vergangenen Jahren ja nicht nur viele Syrer gekommen. Auch aus Jemen oder Somalia kommen Flüchtlinge. Einige Arbeitgeber schlagen daraus Profit und zahlen auf dem Schwarzmarkt niedrige Löhne. Die Jordanier haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren. Wer sich als Flüchtling nicht dem harten Konkurrenzkampf um schlechte Arbeitsplätze aussetzen will, plant seine Zukunft in den reicheren Industriestaaten – Essensmarken hin oder her.

Was wissen die Menschen, denen du begegnet bist, über die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Deutschland?

Wer in Deutschland Verwandte hat, skypt mit ihnen und sieht, dass man es dort deutlich besser haben kann. Nur sind die Verwandten dann vielleicht schon länger in Deutschland, sind mit einem Visum gekommen und konnten sich etwas aufbauen. Dass es jetzt deutlich schwieriger geworden ist, in Deutschland Fuß zu fassen, wissen wenige. Und kaum ein Verwandter gibt zu, dass es ihm in Deutschland schlecht geht und er keine Arbeit findet.

Wie hat dich persönlich die Arbeit in Amman verändert?

Es gab schon schlimme Erlebnisse. Im Gemeindezentrum hatten wir einen ganz fürsorglichen Großvater. Im März ist seine Gasheizung zu Hause explodiert. Er erlitt schwere Verbrennungen. Das Geld für eine Behandlung konnte niemand so schnell aufbringen, der Mann ist verstorben. In Deutschland wäre das unmöglich. Solche Erlebnisse haben mich verbittert. Wenn mir ein Kind sagt, dass es Krankenpfleger werden will, dann denke ich, dass es das sowieso nicht wird. Die Chance wird es wohl nie bekommen, das ist deprimierend.

Hast du dennoch auch positive Erfahrungen in Jordanien gemacht?

Trotz dieser traurigen Umstände und des ganzen Hasses, den die Menschen erlebt haben, kommen in Amman Menschen aller Religionen und Ethnien friedlich zusammen. Dass es bei uns im Gemeindezentrum funktioniert, macht mir Hoffnung, dass es auch auf größerer Ebene gehen könnte. Man muss nicht befreundet sein, aber man muss sich ja auch nicht gleich umbringen.

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