Filmkritik: Flüchtige Melancholie
Eine persönliche Geschichte über Familie, Sexualität und Akzeptanz: Der Sehsüchte-Gewinnerfilm in der Kategorie “Best Documentary Film“ stammt von dem 1997 in Wenzhou (China) geborenen Regisseur und Autor Shuli Huang: “Will You Look at Me“ (im Original: Dang Wo Wang Xiang Ni De Shi Ho).
Mit einer Super-8-Kamera filmt Shuli Huang den Alltag seiner Eltern in Wenzhou und seiner Freund*innen in Beijing. Die intimen Aufnahmen, körnig und teilweise verwackelt, zeigen die Eltern beim Schwimmen im Fluss, Shuli Huangs Mutter, wie sie auf dem Dachgarten die Pflanzen gießt, und lachende Freund*innen, die alle in kreativen Berufen tätig sind, wie er uns erzählt.
Es sind Aufnahmen von sehr schönen Menschen, alt wie jung. Die Farben sind warm. Huang hält sowohl kurze Schnipsel wie auch an ausgedehnten Szenen fest, meist ohne Dialog; so wie Erinnerungen sind sie alle auf ihre Weise flüchtig, schön und melancholisch, manche mehr, manche weniger intensiv. Shuli Huangs Stimme aus dem Off zerstört die vermeintliche Idylle. So kommentiert er das Bild eines Paars in inniger Umarmung: „Nächstes Jahr werden sie nicht mehr zusammen sein.“
Auch seinen Freund zeigt er uns. Seit vier Jahren leben die beiden in einer gemeinsamen Wohnung in Peking (Beijing). Als Huangs Mutter für eine Woche zu Besuch kommt, stellt er seinen Partner als auf dem Sofa schlafenden Mitbewohner vor. Doch sie durchschaut die Situation, wie ein Gespräch zwischen den beiden verdeutlicht, das wir nur zu hören, nicht zu sehen bekommen. Im Vergleich mit den vorausgegangenen Aufnahmen, ist dieser Dialog seltsam konkret.
Darin kommt es zu einer Offenheit, die verletzt – trotzdem wird das Wort „schwul“ nie ausgesprochen. „Bei Frauen werde ich nicht hart“, sagt Shuli Huang zu seiner Mutter, die ihm vorwirft, durch seinen Lebensstil die Familie, die Ahnen zu enttäuschen. Auch vor sich selbst machen ihre Vorwürfe nicht halt. Ob sie etwas falsch gemacht habe, zu streng zu ihm gewesen sei? Nein, beteuert er. Beide brechen in Tränen aus, schluchzen, hysterisch und roh. Nur bruchstückhaft zu erkennen sind die unverarbeiteten Probleme: die Homophobie in der chinesischen Gesellschaft, das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. Sie sehe ihn nicht wirklich, wirft er ihr vor. Will You Look At Me.
Shuli Huang selbst betrachtet durch seine Kamera häufig eine Landschaft oder ein Haus, um dann die Aufnahme mit seinem eigenen Schatten zu beenden. Als wolle er sagen: „Das ist die Welt –“, Kameraschwenk, „– und hier bin ich!“ Am Ende der 20 Minuten hebt er die Hand und winkt.
Will You Look At Me
Regie: Shuli Huang
China, 2022, 20 Minuten
Der Preis für den besten Dokumentarfilm ist mit 5.000 Euro dotiert und wird vom rbb gestiftet.