Flucht ist kein Spiel
Mit einem neuen Spendenformat will die UNO-Flüchtlingshilfe eine junge Generation von Streamer*innen für sich gewinnen. Deren Reichweite im Netz zum Spenden sammeln zu nutzen, klingt gut. Zu Ende gedacht ist das Konzept trotzdem nicht.
„Let’s change the game for refugees” heißt es auf der Projektseite „Flucht ist kein Spiel” der UNO-Flüchtlingshilfe. Sie ist der offizielle deutsche Partner des UNHCR, des United Nations High Commissioner for Refugees, der ursprünglich als Antwort auf die große Anzahl an Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg mit Hauptsitz in Genf gegründet wurde und sich seitdem für den Schutz und die Rechte Geflüchteter weltweit einsetzt. Oder vielleicht besser: einsetzen soll.
Reichweite für die “gute Sache“
In einem auf der Website platzierten Werbevideo werden neben Kindern und Jugendlichen auch Profis gezeigt, wie sie Fußball spielen, online wie offline. Die Ansprache bedient sich durchgehend dem Spielejargon. Es die Rede von “Spiel pausieren” und “Reset-Button” – quasi als Entsprechung zum Vermeiden und Beenden weltweiter Hunger- und Energiekrisen.
Mit der 2021 gestarteten Kampagne will man immer noch Menschen mobilisieren, „um die weltweite, lebensrettende Arbeit des UNHCR, finanziell zu unterstützen”. Für dieses Ziel will das Format Geflüchteten Gehör verschaffen: Streamer*innen sind angehalten, als Multiplikator*innen diverse Fluchtgeschichten und Botschaften Geflüchteter mit in die Welt zu tragen. Mithilfe des sogenannten Charitystream, über die Website betterPlay, ein Ableger der Crowdfunding- und Spendenplattform betterplace, ruft die UNO-Flüchtlingshilfe Streamer*innen dazu auf, die eigene Reichweite als Influencer*innen für „die gute Sache” zu nutzen. Ganz simpel soll es sein: Einfach bei betterplay anmelden und beim Spielen Spendengelder aus der Community einsammeln. Um alles Organisatorische kümmere sich betterplace.
Charity-Gaming für tiefgreifendes Verständnis?
Meine anfängliche Begeisterung für das Projekt wird schnell getrübt. An keiner Stelle in der Kampagne kommen Geflüchtete selbst zu Wort. Spendeneinsammeln beim Spielen? Das erregt vielleicht kurzfristig die Aufmerksamkeit der Follower*innen. Aber langfristiges Engagement wird sich daraus wohl kaum entwickeln.
„Flucht ist kein Spiel. Unter diesem Kampagnenthema schaffen wir Analogien für Gamer*innen, die zeigen, was Menschen auf der Flucht durchleben. Wir geben Geflüchteten eine Stimme, damit sie über ihre Schicksale berichten können.“ Offenbar scheinen der UNO-Flüchtlingshilfe eine Projektbeschreibung von drei Sätzen und ein paar Videos zu reichen, um ein paar Einblicke in die Lebensrealität von Geflüchteten zu bieten.
Mit der Weiterleitung auf betterplace macht man es sich auffällig bequem. Während es nicht an Spiele-Anleitungen mangelt, um die Aktion zu unterstützen, bleibt das nötige Hintergrundwissen mangels Zusatzinformationen für eine tiefgreifendere thematische Auseinandersetzung eher vage. Wer genau sind die tatsächlichen Nutznießer*innen der beworbenen Spendenaktionen? Mit Kurzvorstellungen hätte sich dieses Fragezeichen erst gar nicht aufgetan. Und wie wäre es, insbesondere geflüchtete Livestreamer*innen prominent miteinzubeziehen? In seiner Ausgestaltung beschränkt sich das Projekt auf den spielerischen, monetären Austausch.
Die Gesichter hinter den Geschichten
Maja liebt Basketball, Arana spielt gerne Federball und Ludmilla reserviert sich ganze Nachmittage für FIFA-Spiele. Das weiß ich. Aber nicht, weil ich in einem Livestream mit einem Klick Geld transferieren wollte, sondern durch mein Ehrenamt als Rechtsberaterin bei der Refugee Law Clinic. Und durch Initiativen, wie die living library, in der biografische Geschichten “ausgeliehen“ werden können.
Dort kann ich denen unmittelbar begegnen, um die es hier tatsächlich gehen sollte, und von ihnen selbst erfahren, was sie zu sagen haben. Warum hilft die UNO-Flüchlingshilfe nicht, diese Formate zu digitalisieren und in einen Gaming-Livestream einbetten? Der Verein Zeugen der Flucht e.V. lässt Geflüchtete ihre Lebensgeschichte digital und interaktiv erzählen. Hier findet ein direkter Austausch statt und bietet so die Basis, um aus echter Überzeugung mit dem gesetzten Ziel spenden zu können, anstatt nur dank ein paar Euros Teil einer werbeträchtigen, unterhaltsamen Kampagne zu werden.
Klare Botschaft
Falls es an dieser Stelle so wirkt: Dieser Artikel will nicht zu einem Boykott der Kampagne aufrufen. Alle Streamer*innen, die sich beteiligen, und jede Spende, die dadurch gewonnen wird, haben ihren Wert. Auch schlechte Publicity ist am Ende genau das: Publicity. Doch die fehlenden konkreten Informationen hinter den Spendenaktionen – wie viel Geld ist bisher angekommen, bei wem, wofür? – sollte man vorab selbst recherchieren, wenn man wirklich einen Unterschied machen will. Und wem das alles zu aufwendig ist, der kann einfach ein Projekt seiner Wahl mitfinanzieren. Auswahl gibt es, leider, genug. So wird der Slogan „Let’s change the game for refugees” lebendig.