Frauen, Leben, Freiheit
Seit Jina Mahsa Aminis Tod und dem Start der feministischen Revolution in Iran sind zwei Jahre vergangen. Den Protestierenden begegnet noch immer brutale Repression durch Regierung und Polizei, doch sie setzen weiter alles auf‘s Spiel – für ein Leben in Freiheit.
Seit Juli hat Iran einen neuen Präsidenten. Massud Peseschkian sagt von der Kopftuchpflicht, dass er das „jahrzehntealte Problem lösen“ will, aber von einer Abschaffung spricht er nicht. Für viele Iraner*innen hat sich in den letzten zwei Monaten dahingehend wenig verändert. Anders als vor zwei Jahren.
Am 16.09.2022 starb die 22-jährige kurdische Iranerin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam, nachdem die Sittenpolizei sie verhaftet hatte, weil sie ihr Kopftuch nicht dem Sittengesetz entsprechend trug. Was folgte, war die größte, anhaltende Protestbewegung, die der Iran gesehen hat. Der Vorwurf von Menschenrechtler*innen: Amini soll misshandelt und mutmaßlich so stark verprügelt worden sein, dass sie ins Koma fiel und starb. Die iranische Regierung dagegen behauptete, Amini sei wegen Herzversagens ins Koma gefallen. Aminis Familie weist das zurück. Sie sei eine gesunde junge Frau gewesen ohne Erkrankungen.
Landesweit und auch international sind nach Aminis Tod hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen. Das Besondere: An den Protesten nahmen alle Geschlechter und Gesellschaftsschichten teil. Frauen nahmen die Kopftücher ab, die das Ayatollah-Regime in der Öffentlichkeit vorschreibt, verbrannten sie symbolisch. Lautstark forderten sie ein Ende des Verschleierungsgesetzes, der Unterdrückung von Frauen allgemein und ein Leben ohne staatliche Kontrolle. Denn in Iran sind Frauen in fast allen Lebensbereichen benachteiligt, sind abhängig von Vätern oder Ehemännern und durch das Sittengesetz stark in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt. Darüber hinaus sind geschlechtsunabhängig viele Grundrechte wie Presse- und Meinungsfreiheit nicht gesichert. So rückten bald auch Polizeigewalt und Korruption in der Regierung in den Fokus der Protestbewegung.
Doch diese antwortete brutal: In den ersten Monaten wurden über 300 Demonstrant*innen getötet, über 14.000 verhaftet. Im Gefängnis kam es zu Folter und sexueller Gewalt. Eine Untersuchung der UN spricht von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
„Jin*, Jîyan, Azadî“: Ohne Frauen kein Leben
„Frau, Leben, Freiheit“ lautet ein politischer Slogan der Arbeiterpartei Kurdistans, der Ende des 20. Jahrhunderts die Rolle von Frauen hervorheben sollte. „Jin*, Jîyan, Azadî“ (auf Deutsch: „Frau*, Leben, Freiheit“) ist aber längst auch zum Slogan zahlreicher Freiheitsbewegungen geworden. Weltweit wird er auf Demonstrationen in der jeweiligen Landessprache skandiert und ist überall auf Social Media zu finden.
„Zan*, Zendagi, Azadi.“ Auch auf Persisch ist der eng mit der kurdisch-feministischen Arbeiterbewegung verbundene Ausspruch verbreitet. Dabei ist die Beziehung zwischen Kurd*innen und Iraner*innen keine einfache. Die kurdische Minderheit wird in Iran unterdrückt, genau wie ihre Unabhängigkeitsbestrebungen. Die Region Kurdistan in Iran kämpft mit wirtschaftlicher Unterentwicklung, politischer Marginalisierung und ist mit umfassender Militarisierung konfrontiert. Sogar kurdische Namen sind in Iran verboten. Unter anderem deswegen ist Jina Mahsa Amani zumeist ohne ihren ersten Vornamen „Jina“ bekannt, der als kurdischer Name im Iran nicht anerkannt ist.
Der Spruch ist zum Motto einer ganzen Generation junger Iraner*innen geworden, die für ihre Freiheit und ihre Zukunft kämpft. Für die Protestierenden steht „Freiheit“ dabei für Unabhängigkeit von männlichen Angehörigen, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, auch körperlich. Und frei sein von Unterdrückung und von Gewalt durch Regierung und das Patriachat. Dafür sind sie bereit, alles zu geben und gehen weiter öffentlich auf die Straße, äußern sich kritisch im Netz.
Ein Krieg gegen Frauen und Mädchen
Jina Mahsa Aminis Todestag war auch dieses Jahr wieder Anlass von internationalen Protesten und Gedenkfeiern. Doch was hat die Revolution erreichen können? Wie ist die Lage in Iran heute?
Vor allem in den großen Städten wie Teheran sieht man immer mehr Frauen ohne Kopftuch. Sie bestehen auf ihrer Freiheit und körperlicher Selbstbestimmung, trotz brutaler Strafen. Laut Amnesty International führt die Regierung des Iran einen „Krieg gegen Frauen und Mädchen“. Sogar ein neues Keuschheitsgesetz bahnt sich an, das die geltenden Repressionen noch verstärken würde. So würden sich beispielsweise auch Männer strafbar machen, wenn sie Frauen ohne Kopftuch bedienen, etwa in Restaurants.
Doch die Revolution hält Stand, die Frauen kämpfen weiter. Die Proteste sind zwar deutlich zurückgegangen, aber der Freiheitsdrang wächst dessen ungeachtet weiterhin. Das Kopftuch abzunehmen ist ein Akt zivilen Ungehorsams, der zeigt, dass niemand aufgegeben hat.
Das Zentrum für Menschenrechte in Iran (CHRI) spricht von einer kulturellen Revolution, in der die Stellung der Geschlechter mittlerweile in allen Sphären hinterfragt wird. So sehen immer mehr Männer ihre Machtpositionen nicht mehr als selbstverständlich an.
Frauenrechte sind überall ein zentrales Thema. Sie sind der Meilenstein für die Veränderung der Zukunft, für Freiheit nicht nur für Frauen, sondern für alle Menschen. Das CHRI zitiert Protestierende: „Man könnte denken, dass die „Frau*, Leben, Freiheit“-Bewegung unterdrückt wurde, bevor sie ein bestimmtes Resultat erreicht hat. Aber eine große Revolution und Transformation hat in iranischen Frauen und Mädchen stattgefunden, und zwar zu lernen, gegen unsere Ängste zu kämpfen.“
Der konservative, aber moderate Präsident Massud Peseschkian hat wenig Handlungsspielräume, die religiöse Oberschicht noch viel Einfluss. Die internationale Gemeinschaft könnte anbieten, Sanktionen zu lockern, wenn sich die Menschenrechtslage im Iran verbessert. Könnte, denn was die Zukunft bringt, ist weiter ungewiss. Sicher ist, dass der Kampf um mehr Rechte für alle weitergeht, solange die junge Generation ihre Angst weiter überwinden kann. Für Frauen, Leben und vor allem: für Freiheit.