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Freiheit muss man sich (er)kaufen

Von Klaudia Lagozinski / 2. Oktober 2024
picture alliance / Zoonar | Anastasiia Yanishevska

Geld ist mir wichtig. Klingt erstmal spießig, kapitalistisch, materialistisch? Wieso ich jeden Monat einen Teil meines Einkommens zurück- und anlege.

Ohne Zwang zwischen mehreren Optionen entscheiden zu können, das bedeutet Freiheit für mich. Mit Blick auf diese Definition sind arme Menschen in Deutschland nicht frei, lediglich sozial abgesichert. Sie verhungern nicht, erhalten Bildung und werden von einem Arzt versorgt, wenn sie krank sind. Ist das immer noch besser als in anderen Teilen der Welt? Klar. Aber mit Entscheidungsfreiheit hat das wenig zu tun.

Laut Kinderreport 2023 ist jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut betroffen.
Können diese Kinder wählen, welche Sportschuhe sie möchten? Ob sie auf eine Sprachreise gehen? Selbst bei Zahnspangen hängt Qualität vom Geld ab, es gibt verschiedene Modelle – nicht alle werden von Krankenkassen übernommen.

Wer arm ist, muss bitten, sich rechtfertigen. Später geht das weiter mit BAföG-Anträgen, in denen man jeden Cent auf dem Konto angeben muss, dem eigenen und dem Konto der Eltern. Wenn man sich für ein Studium in einer Stadt entscheidet, in der die 360 Euro, die für die Miete vorgesehen sind, nicht reichen, kann man im Zweifel auch nicht das studieren, was man will – weil man kein bezahlbares Zimmer findet.

Von der Schwierigkeit, sich hochzuarbeiten

Auch bei der Kindergrundsicherung, die 2025 kommen soll, ist der Name Programm: Sie sichert ab, ermöglicht einen Schulabschluss ohne Hungern und mit einem Dach über dem Kopf, aber keine Freiheit. „Arme Familien bleiben arm, und mit ihnen ihre Kinder”, schrieb der Paritätische Gesamtverband in einer Stellungnahme zur Kindergrundsicherung. 

Weil der Sozialstaat in Deutschland zu wenig auf Aufstieg und zu stark auf Erhalt setzt, bleiben arme Menschen arm und reiche Menschen reich. Aus der Einkommensschicht herauszubrechen, in die man geboren wurde? Ein Kraftakt.

Wieso ich das weiß? Weil ich eben so ein Kind war, das in der Schule einen Förderantrag stellen musste, um mit Klassenkameraden nach Frankreich fahren zu können. Eins, das mit 15 Jahren Zeitungen austrug, sich auf Stipendien bewarb und Auslands-BAföG beantragte, den komplizierten Antrag Seite für Seite durchackerte – weil sie von einem Schüleraustausch in den USA träumte. 

Eine junge Frau, die bis zum Master kein Semester hatte, in dem sie nicht irgendwo nebenbei arbeitete. Eine Halbwaise, die nichts zu erben hatte, weil sie das „Erbe” des Vaters ausschlagen musste. Er hätte ihr nur Schulden vermacht.

Eine Journalistin, die lange dachte, sie könnte sich die unsichere Branche nicht leisten. Die sich aufregte, weil viele Redaktionen, wenn überhaupt, wenige hundert Euro als Praktikagehalt zahlen wollten. Und das als Hürde empfand, weil das bedeutete, dass sie in Kneipen oder Supermärkten vorarbeiten musste, um sich Praktika leisten und Miete zahlen zu können.

Eine, die im Studium von Leuten umgeben war, die sagten, Geld sei nicht so wichtig und Kapitalismus doof. Später verstand sie: Diesen Kommilitonen war Geld nicht so wichtig, weil sie Geldsorgen schlicht nicht kannten. Die Angst, dass der Laptop kaputtgeht, die Sorge, ihn nicht ersetzt zu bekommen, schien ihnen fremd.

Haben die Eltern zusätzlich einen niedrigen Bildungsabschluss, haben Kinder einen doppelten Nachteil. Nicht nur kann man sich den Besuch einer Hochschule, wenn überhaupt, nur mittels Geld vom Staat leisten: Es kann einem auch niemand erklären, wie Studieren geht. Daher verwundert es nicht, dass es laut Hochschulreport nur elf von 100 Kindern aus Nicht-Akademikerhaushalten bis zum Masterabschluss schaffen – und 43 von 100 Kindern von Akademiker-Eltern.

Die Freiheit, den Staat um nichts bitten zu müssen

Man kann sich darüber aufregen. Oder beharrlich versuchen, selbst rauszukommen. Dafür muss man seine Berührungsängste mit dem Thema Geld ablegen. Den Konsum in jungen Jahren kleinhalten, sich bilden, Geld zur Seite schaffen, um irgendwann an den Punkt zu kommen, an dem man sagen kann: Ich entscheide frei. Ob ich den erstbesten Job annehme oder auf das Bauchgefühl höre und ein paar Wochen weitersuche. Ob ich die ärztliche Leistung in Anspruch nehme, die die Krankenkasse zahlt oder die Privatleistung, die wahrscheinlich schneller hilft. Ob ich die Markentiefkühlpizza kaufe oder die billigste.

Ich hatte ein wenig Glück. Investierte sehr wenig Geld in eine risikoreiche Anlageklasse, hatte plötzlich zum ersten Mal im Leben eine Rücklage. Dieses Anfängerglück bewegte mich dazu, mich mit Finanzen und Investieren auseinanderzusetzen – etwas, das ich mich zuvor nicht traute, weil es in meiner Familie weder Anleger noch Eigentümer gibt. Nun arbeite ich daran, nie wieder in die Situation zu kommen, dass ich den Staat um Geld bitten und mich vor ihm rechtfertigen muss.

Auch die sogenannte „FIRE-Bewegung” strebt Unabhängigkeit an, allerdings sehr viel radikaler als ich. Das Akronym steht für: „Financial Independence, Retire Early“ – auf deutsch: finanzielle Unabhängigkeit, frühe Rente. Erreicht werden soll das mit einem sparsamen Lebensstil, Konsumverzicht bis man das 25-fache seines jährlichen Bedarfs angespart hat und theoretisch vom breit angelegten Geld jedes Jahr vier Prozent entnehmen und davon leben kann. Der Preis? Wenig Freiheit auf dem Weg dorthin, ein frugaler – sparsamer – Lebensstil.

Für mich wäre das zu extrem, auch weil FIRE ein Komplettinvestment in die Zukunft ist und ich früh erlebte, wie schnell ein Leben enden kann. Doch FIRE als Gedankenspiel ist inspirierend. Ich selbst wähle einen Mittelweg: reflektierter Konsum, regelmäßige Investments, Neugier, stetiges Lernen. Mein persönliches Streben nach Freiheit, auf einem Weg, der entsteht, weil ich ihn gehe.

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