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Fuß im Dorf, Welt im Kopf

Von Christina Mikalo / 14. März 2018
picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer

Im eigenen Beet Gemüse gegen den Klimawandel züchten oder sich gleichzeitig zu Lederhosen und Laos bekennen – laut Trendforschern denken immer mehr Menschen global und handeln lokal. Ein Wort für diese Entwicklung haben sie auch schon: Glokalisierung.

Barbara Seibert hat für Klarheit gesorgt. Auf der Website ihres Projekts „Glokale Orte“ – einem Diskussionsforum für Deutsche und Zuwanderer, die ihr Zusammenleben gemeinsam gestalten wollen – hat sie den Buchstaben „k“ rot markiert. „Mein Team und ich haben schon einige Male erlebt, dass Leserinnen und Leser das ‚k‘ in der Mitte für einen versehentlichen Fehler halten“, erklärt die Leiterin des Hamburger Bildungszentrums Elbinstitut. „Seither schreiben wir es, wo immer möglich, in roter Farbe.“

Besagtes „k“ steht in der Mitte eines Wortes, das manche tatsächlich zum Stolpern bringen dürfte: Glokalisierung. Ausgedacht hat ihn sich der britische Soziologe Roland Robertson bereits 1998, um eine für ihn erkennbare Folge der Globalisierung zu beschreiben: Nach Robertson werden lokale Traditionen in der vernetzten Welt wichtiger – und gehen nicht in einem „kulturellen Einheitsbrei“ unter, wie Globalisierungsgegner unken. Ein Beispiel für Robertsons These: McDonald‘s. In Indonesien bietet der Fastfood-Riese Burger mit Reis an, um dem Geschmack der Einheimischen entgegenzukommen.

Die Politik „verortet“ sich neu

„Das Wort Glokalisierung umschreibt unseren Alltag“, sagt Barbara Seibert. Denn zu großen Teilen funktioniere dieser schon lokal und global gleichzeitig: Einheimische und Zuwanderer leben Seite an Seite, Menschen sprechen Dialekte und Fremdsprachen und ziehen zurück auf das Land, ohne dabei ihre Jobs in der Stadt aufzugeben.

Auch Tristan Horx, der am Zukunftsinstitut in Wien über die „Generation Global“ forscht, ist der Meinung, dass die Glokalisierung „als Prozess schon da ist“. Zu sehen sei das auch in der Politik. Etwa beim Global Parliament of Mayors. Der Zusammenschluss von Bürgermeistern aus aller Welt will gesellschaftliche Krisen wie den Klimawandel gemeinsam angehen. „Um praktische, handlungsorientierte Lösungen zu entwickeln, braucht es lokales Wissen“, schreibt das Parliament auf seiner Webseite. „Über 50 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Städten, die 80 Prozent des globalen Bruttoinlandproduktes erzeugen. Es ist unfassbar, dass die internationale und nationale Politik dennoch ohne uns entscheidet.“

Horx erwartet, dass sich die Bürgermeister nicht mehr lange werden aufregen müssen. „Städte werden in Zukunft als Innovationszentren eine große Rolle spielen. Schon jetzt haben Bürgermeister unter den Politikern die höchsten Zustimmungswerte in der Bevölkerung“, sagt der Trendforscher.

Eine neue Heimatsehnsucht

Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Infratest von 2015 ist der Begriff „Heimat“ sehr beliebt. Neun von zehn Deutschen empfinden ihn als positiv. Was sie als Heimat ansehen, ist dabei vielfältig: 92 Prozent der Befragten verstehen darunter „Familie und Freunde“. 88 Prozent bezeichnen Heimat als „Ort, an dem sie leben“. Auch „Geborgenheit und Sicherheit“ verbinden viele mit dem Begriff, genau wie bestimmte Städte, Sprachen und Traditionen.

Beate Mitzscherlich überrascht die neue Landlust nicht. Die Psychologin von der Westsächsischen Hochschule Zwickau forscht seit mehr als zwanzig Jahren zum Thema Heimat. Dass der Begriff eine Zeit lang „en vogue“ ist, hat sie immer wieder erlebt. „Es passiert dann, wenn die realen Verhältnisse unheimatlich werden“, erklärt Mitzscherlich. „Heimat ist der Fluchtort für Sehnsüchte nach Gemeinschaft, nach Zugehörigkeit und Gerechtigkeit. Es ist die Idee eines Raums, in dem ich Geborgenheit erfahre und Kontrolle über meine Lebensverhältnisse habe.“

Heimatsehnsucht ist daher auch eine Reaktion auf die Globalisierung, die viele kaum noch überblicken. „Inzwischen sieht man die Kostenseite und die Risiken, die mit der Globalisierung einhergehen. Da ist das kleine Haus im Wald auch wieder Schutz- und Rückzugsort vor einer Überforderung“, sagt Mitzscherlich.

Offenheit statt Angst

Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge macht die Globalisierung vielen EU-Bürgern Angst. 45 Prozent der Befragten fürchten an ihr vor allem die Migration. Durch die Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturen fühlen sie sich im eigenen Land entfremdet oder glauben, gesellschaftlich abgehängt zu werden.

Laut den Autoren der Studie wählen Globalisierungspessimisten besonders häufig populistische Parteien. 78 Prozent der AfD-Anhänger sind globalisierungskritisch. Entsprechend wirbt die Partei mit dem Spruch „Hol dir Dein Land zurück“.

Am Hamburger Elbinstitut spricht man lieber von „Glokalität“ als von „Heimat“. Das Kofferwort entspreche der Wirklichkeit, findet Direktorin Seibert. „Wir leben weder in einer nur unübersichtlichen globalen, noch in einer nur überschaubaren lokalen Welt.“ Das Projekt „Glokale Orte“ setzt diesen Gedanken um. Seibert ist wichtig, dass „miteinander, nicht übereinander“ geredet wird. Nur in einem Austausch auf Augenhöhe lasse sich entscheiden, wie das Zusammenleben in der globalisierten Welt für alle möglichst gut gestaltet werden kann.

Schon im nächsten Jahr sollen bundesweit „glokale Orte“ wie in Hamburg entstehen. Vielleicht kommt das Wort „Glokalisierung“ dann bald ohne das rote „k“ aus.

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