Gesetzeskonform beliefern lassen
Der Bundestag hat mit großer Mehrheit das Lieferkettengesetz beschlossen. Es sieht die Einhaltung von Mindeststandards für Mensch und Umwelt in Produktions- und Lieferketten vor. Was bedeutet das für die vielbeschworene unternehmerische Verantwortung?
Das deutsche Lieferkettengesetz kann als Vermächtnis des Entwicklungsministers Gerd Müller betrachtet werden. Dem CSU-Politiker ist es kurz vor seinem angekündigten Rückzug aus der Politik gelungen, seinen Wunsch von einem gesetzlich geregelten Rahmen für internationale Lieferketten wahr werden zu lassen. Gegenüber der Deutschen Welle erklärte er, dass der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza 2013 in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka Ausgangspunkt für das Vorhaben gewesen sei.
Das Lieferkettengesetz, das Georg Schwarte vom ARD-Hauptstadtstudio „Müllers Meisterstück“ nannte (und den dazugehörigen Beitrag des sozialdemokratischen Bundesarbeitsministers Hubertus Heil zumindest erwähnte), ist jedoch nicht nur das Herzensanliegen des Entwicklungsministers, sondern ein brennendes Thema für zahlreiche NGOs, Gewerkschaften und Kirchen, die sich im Verband „Initiative Lieferkettengesetz“ für die Verrechtlichung stark gemacht haben. Selbst Großunternehmen wie Daimler oder BMW, die mit Tausenden von Lieferanten zusammenarbeiten, haben sich öffentlich dafür ausgesprochen.
Ein Gesetz zuerst für die großen Unternehmen
Das Wichtigste zuerst: Das Lieferkettengesetz tritt Anfang 2023 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt sind Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland dazu verpflichtet, ihre Lieferketten zu überwachen und aktiv gegen Menschenrechtsverstöße und Umweltverschmutzungen vorzugehen. Ab 2024 soll diese Regelung auch für Betriebe ab 1.000 Mitarbeitern gelten.
Sollten die Unternehmen nachweislich nicht ihrer Pflicht nachkommen, drohen hohe Bußgelder und der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) kontrolliert wiederum die Einhaltung der Sorgfaltspflicht für die Lieferkette seitens der Unternehmen.
NGOs mit verhaltener Freude
Für viele NGOs ist das Gesetz ein kleiner Meilenstein. Weg von den freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, hin zu einer rechtlichen Grundlage, die die Unternehmen tatsächlich zum Handeln zwingt, zum Beispiel im Fall von Kinderarbeit. Weltweit sind davon heutzutage immer noch ca. 160 Millionen Kinder betroffen. Auch die Entsorgung von giftigen Abwässern in Flüssen gerät nun in den unternehmerischen Fokus.
Andererseits zieht das Gesetz die Kritik einiger NGOs auf sich. Oxfam bezeichnet es als „Lieferkettengesetz light“. Die Reichweite der Kontrollpflicht sei noch ausbaufähig. Die von bestehenden rechtlichen Verstößen Betroffenen könnten nicht einfach vor deutschen Gerichten klagen und Umweltaspekte spielten in der Realität nur eine marginale Rolle. Insbesondere wird angemahnt, dass das Lieferkettengesetz vollumfänglich nicht nur für die direkten Zulieferer großer Unternehmen gelten sollte, zumal diese meist sowieso in Deutschland und eben nicht in besonders problematischen Staaten ansässig seien. Im Fall von ausländischen Firmen, die den Anfang der Lieferkette bilden, müssen deutsche Unternehmen tatsächlich nicht genau hinschauen und nur dann eingreifen, wenn es konkrete Hinweise auf Missstände gibt. Mit anderen Worten, dann muss es dort schon zu Verstößen gekommen sein. Eine unternehmerische Risikoabwägung vorab ist im Gesetzestext nicht vorgesehen.
Kritik auch von Seiten der Industrie
Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen und Anlagenbau, bezeichnete das Gesetz in einem Interview als „schlecht gemacht“. So beträfe es kleine und mittelgroße Firmen gleichermaßen, da die Großunternehmen die Standards in ihren Lieferketten weitergeben müssten. Außerdem würden Unternehmen laut Brodtmann auf diese Weise zur „Hilfspolizei der Politik“ gemacht. Für ihn ein inakzeptabler Umstand, schließlich sei es die Aufgabe der Politik und nicht die der Wirtschaft, Menschenrechtsstandards durchzusetzen. Als problematisch führt er zudem an, dass es keine „White List“ derjenigen Ländern gebe, in denen der regulatorische Aufwand für Überprüfungen nicht betrieben werden müsse. Somit müsse ein Unternehmen jedes Land seiner Lieferkette berücksichtigen, selbst wenn es sich um ein entwickeltes Industrieland handele, wo entsprechende Verstöße eher weniger erwartbar seien.
Ein deutscher Alleingang?
Ein wesentlicher Kritikpunkt ist auch, dass eine nationale Gesetzgebung eine Wettbewerbsverzerrung schaffen kann. Immerhin genießen Unternehmen aus Ländern ohne vergleichbare Rechtsprechung einen Wettbewerbsvorteil, da sie nicht zur Einhaltung ebensolcher Mindeststandards verpflichtet sind. Deutsche Unternehmen könnten dadurch das Nachsehen haben, so die Befürchtung.
Man kann das deutsche Lieferkettengesetz allerdings auch als Blaupause für Brüssel sehen. Ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene ist bereits in Arbeit und sieht sogar strengere Regularien vor als sein deutscher Vorreiter. So ist damit zu rechnen, dass die EU-Variante gleich von Anfang an auch kleinere und mittelgroße Unternehmen in die Verantwortung nehmen wird. Außerdem soll die Ahndung von Umweltschäden eine noch größere Rolle spielen und eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen möglich sein. Den genauen Gesetzesvorschlag will die EU-Kommission im Herbst vorliegen.
Fairness als Verkaufsargument
Fazit: Ob Unternehmen die Mindeststandards einhalten, wird im Endeffekt von ihrer Fähigkeit abhängen, ihre gesamte Lieferkette zu überblicken und ebenso von ihrem Willen, Verbesserungen herbeizuführen. Während Berlin und Brüssel einen gesetzlichen Rahmen schaffen, wird die Komplexität globaler Lieferketten wohl eine ganze Weile noch zu eher weniger Kontrollmöglichkeiten beitragen. Immerhin haben einige Start-Ups erkannt, dass nachweisbar hohe Menschen- und Umweltstandards in der Lieferkette ein sehr gutes Verkaufsargument sind. Vielen Menschen ist es eben nicht egal, wie und unter welchen Bedingungen die von ihnen konsumierten Produkte hergestellt werden.