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Grüne Großstädter – oder wenn einen die Landlust überkommt

Von Christina Braun / 23. November 2018
picture alliance/dpa | Andreas Arnold

Urban Gardening, kollektives Brotbacken und sogar Bienenkörbe im Wohnzimmer: Der
neue Urbanismus tut alles dafür, sorgfältig idealisierte Ausschnitte des
Landlebens in die Stadt zu holen.

Frischgemähtes Gras riechen, Äpfel direkt vom Baum pflücken und sich auf die einfachen Dinge konzentrieren: Immer mehr Großstädter verordnen sich eine Detox-Kur vom Stadtleben. „Ich finde es super, die Erde zu spüren und hier rumzubuddeln“, sagt Sarah Kuppe aus Berlin. Sie fährt übers Wochenende ins Havelland, um auf einem Bauernhof Unkraut zu jäten – wer braucht schon Spa, wenn man auch auf dem Acker Erholung findet?

Gerade in den angesagtesten Großstadtvierteln scheinen immer mehr junge Ökohipster ein Verlangen zu verspüren, sich mit Ackerbau und Viehzucht statt mit Shoppingtrends und Start-Up-Smalltalk zu beschäftigen. „Es gibt eine reale Sehnsucht nach einem naturnahen und entschleunigten Leben“, bestätigt der Humangeograf Gerhard Henkel von der Universität Duisburg-Essen. Dafür erklären mittlerweile sogar Ratgeber, wie ein naturverbundenes Leben auszusehen hat. In seinem Buch „Raus aufs Land“ bedient Niklas Kämpargard das in der Stadt gewachsene Verlangen nach Selbstgemachtem und Ursprünglichem. Einkochweisheiten und Digitalisierungsverweigerung für einen besseren Einklang mit sich selbst und der Natur, sozusagen.

Sinnsuche statt Szeneviertel

In der Stadt zu leben bedeutet schon lange nicht mehr, gnadenlos zu konsumieren und eine Cocktailparty nach der anderen zu schmeißen. Echte Großstadthipster wollen bewusst und vor allem grün leben: Sie kaufen im Biomarkt, fahren Fahrrad, bepflanzen beim Urban Gardening alte Holzplatten mit Bio-Tomatensetzlingen und gründen Vereine, um gemeinsam zu stricken und Apfelringe zu trocknen. Sie engagieren sich für den Zusammenhalt in ihrem Viertel, zimmern ihre eigenen Möbel und kaufen nur noch im Unverpackt-Laden um die Ecke.

Nachhaltigkeit, Naturnähe und sozialer Zusammenhalt in der Nachbarschaft sind die neuen Tugenden des urbanen Lebensstils, die allerdings verdächtig nach Landleben klingen. Aber kommt die aktuelle Faszination für ein grünes Leben wirklich vom Land?

Inspiration Landleben?

„Gerade in Sachen Nachhaltigkeit ist das Land schon lange Vorreiter“, erklärt Gerhard Henkel. „Es gibt dort eine Kultur des Hegens und Pflegens, des Bewahrens.“ Wer weiß, wo das Essen herkommt und wie viel Arbeit darin steckt, verschwendet weniger, versorgt sich lokal aus dem eigenen Garten, produziert weniger Müll und weiß alte Dinge zu reparieren, anstatt sie einfach wegzuschmeißen, so die These.

„Auf dem Land gab es schon immer Genossenschaften und Vereine, die das solidarische Denken gefördert haben. Man weiß dort, wie man anpackt und sich gegenseitig hilft“, sagt der Humangeograf. Aber mal ehrlich: Passen Dorfkultur und Szenecoolness wirklich zusammen? Immerhin scheinen Initiativen und urbane Vereine das auf den Dörfern zurückgelassene Gemeinschaftsgefühl durch Gruppenaktivitäten in die Stadt holen zu wollen. Natürlich nicht ohne dem Ganzen vorher einen trendigen Anstrich zu verpassen: Gewöhnliches Kuchenbacken wird zum roh-veganen Trend-Event, Putzmittel selber machen (wie Oma einst) mausert sich zum moralischen Gesundheits-Workshop: kein Plastik und erst recht keine Zusatzstoffe! 

Was auf dem Land schon immer normal war, wird jetzt in der Stadt neu entdeckt und aufgehübscht als grüner Lifestyle erfolgreich an den Mann bzw. die Frau gebracht. Produkte mit Slogans wie „frei von“ und „nachhaltig“ verkaufen sich zudem gerade auch ziemlich gut. Also profitieren doch alle davon. Oder nicht?

Landluft ja, aber bitte nicht zu provinziell

Dass es auf dem Land aber nicht immer nur nach frisch gemähtem Gras, sondern vor allem nach Gülle riecht, dass junge Menschen massenhaft in die Städte abwandern auf der Suche nach Arbeit, dass die Infrastruktur langsam wegbricht und die hochgelobte Dorfgemeinschaft mit ihrem tagtäglichen Tratsch besser überwacht als Google, all das passt nicht zur Vorstellung einer friedlich-freien Landidylle. Für viele Städter sind das Schreckensbilder eines rückständigen Provinzlebens, das sie lieber schnell wieder ausblenden wollen – was ihnen auch ganz gut gelingt.

Das ist auch nicht schwer, denn wenn’s unangenehm wird, kann man ja wieder gehen. Nach vier Stunden Ackertherapie ruft das Szeneviertel, wo man dann – die Lungen mit bester Landluft gefüllt – bei Matetee und Grünkohlchips damit angeben kann, dass man mit seinen eigenen Händen in echter Erde gewühlt hat statt nur auf dem Smartphone herumzuwischen. Der Beweis des ruralen Abenteuers darf aber nicht fehlen: ein Instagram-Foto auf dem Feld bei Sonnenuntergang zwischen Apfelbäumen. Das Land als Ort der persönlichen Stressbewältigung, das nebenbei noch ordentlich das eigene Image aufpoliert. Die Lust auf’s Land scheint sich auf die Aspekte zu beschränken, die dem urban-grünen Trend-Lebensstil dienlich sind. Es sind sorgfältig gewählte Idealbilder, die der Imagination gestresster Hochhausstädter entstammen und den Trugschluss aufrechterhalten, es gäbe irgendwo da draußen einen Rückzugsort, an dem die Welt noch simpel und nicht aus den Fugen ist.

Der grünen Utopie ins Auge schauen

Wer genug hat vom persönlichen Greenwashing, setzt die rosarote Brille ab und fängt an, das Landleben so zu sehen, wie es wirklich ist. Denn zu viel Landträumerei bedient am Ende nur Klischees und verstärkt die Stadt-Land-Kluft, anstatt Annäherung zu schaffen. Landleben ist nun mal kein „Lifestyle“, den man sich im Biomarkt aus dem Regal nimmt und ins Jutesäckchen packt.

Aber, zugegeben, es kann eine wichtige Inspiration für grüne Großstadt-Utopien sein: Denn wer sich sein eigenes Beet im Kiez zimmert und in schlaflosen Nächten über Landlust-Ratgebern brütet, ist vielleicht ein „Trend-Öko“, aber immerhin tut er etwas Gutes für die Umwelt und macht die Stadt zu einem Ort, an dem Lebensqualität, Mitgestaltung und Gemeinschaft möglich sind. Auch wenn er später auf Instagram damit angeben muss.

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