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Im Namen der Pressefreiheit

Von Luca Gerdes / 22. November 2021
Vision ekstase/ Bella Christmann

In Kolumbien riskieren Journalist*innen zum Teil ihr Leben. Auch in Deutschland verschärft sich der Umgang mit Medienschaffenden. Zwei Reporter über Ausnahmesituationen, die keine mehr sind.

Tränengas liegt in der Luft, es macht einem das Atmen schwer. In der Ferne hört man Schüsse. Verletzte liegen am Boden, werden von Sanitäter*innen abtransportiert. Die „primera Linea”, wie sich die Menschen in der ersten Reihe einer Demonstration bezeichnen, hat sich Schilder gebaut, um sich vor den Wasserwerfern zu verteidigen. „Die Straßenschlachten ziehen sich manchmal über Tage hinweg, regelmäßig werden Tote verzeichnet”, erzählt Fritz Pinnow. Erst kürzlich berichtete er als Krisenreporter aus Medellin, einer Stadt im Nordosten von Kolumbien.

Die Lage ist prekär – und das nicht erst seit gestern: In Kolumbien demonstrieren regelmäßig große Teile der Bevölkerung gegen eine geplante Steuerreform, welche unter anderem Sozialabgaben minimieren und die Steuern der Mittel- und Unterschicht anheben soll (mehr Infos). Trotz seiner Tätigkeit als Journalist wird Fritz Pinnow immer wieder von der Polizei angegriffen: „Unser Job macht uns zu militärischen Zielen”, berichtet er. Organisationen wie Amnesty International kritisieren schon lange den Umgang mit Journalist*innen bei Demonstrationen in Kolumbien.

Fritz Pinnow bei seiner Arbeit in Kolumbien. (Foto: Vista News International/ Catalina Rodriguez)

Pressefreiheit in Gefahr – Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien

„Als ich das erste Mal mit Protesten in Kontakt kam, merkte ich die fehlende Präsenz der internationalen Presse”, so Pinnow, „also beschloss ich, selber etwas in die Hand zu nehmen.” Somit erfüllt er gemeinsam mit Kolleg*innen eine wichtige Rolle vor Ort: Sie dokumentieren als Pressevertreter*innen regelmäßig Menschenrechtsverletzungen auf Demonstrationen in Kolumbien. Dort setzen sie sich automatisch Gefahren aus: „Allein der Umstand der Berichterstattung macht uns zu einer Bedrohung für Polizeibeamte, die unrechtmäßig handeln.”

Doch neben körperlichen Angriffen seien in Kolumbien auch immer wieder Tote unter Medienschaffenden verzeichnet worden. „Ich habe dort selber schon zwei Kolleg*innen verloren”, berichtet der Journalist. Aktivist*innen werden von der Polizei und dem Militär auch häufig bedroht oder getötet, wenn sie Menschenrechtsverletzungen anprangern. Seine Bilder veröffentlicht Pinnow auf Instagram und im Magazin „La Direkta”. „Instagram ist enorm wichtig, um Inhalte fernab von staatlich gelenkten Medien zu veröffentlichen”, sagt er.

Sorge um den Journalismus in Deutschland?

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Kolumbien den Platz 134 von 180. Deutschland hingegen befindet sich auf Platz 13. Doch im Vergleich zum letzten Jahr wurde die Pressefreiheit in Deutschland von „gut” auf „befriedigend” abgestuft. Ein Grund zur Sorge? Reporter Julius Geiler würde dies klar bejahen: „Durch das, was ich als Berichterstatter auf den Straßen erlebe, kann ich dies nur bestätigen.” Geiler sieht den Grund für diesen Abstieg in der Querdenken-Bewegung.

Julius Geiler im Interview mit Luca Gerdes. (Foto: Jugendpresse Deutschland/ Saad Yaghi)

Der Journalist wird häufig für seine Berichterstattung angefeindet: „Dieser Hass findet nicht nur auf Demonstrationen statt, sondern auch im virtuellen Raum.” Regelmäßig bekomme er Hassnachrichten, bis hin zu Morddrohungen. Aufgrund seiner Tätigkeit wurde immer wieder in sein Privatleben eingegriffen: erst veröffentlichen Unbekannte seine Handynummer, dann erscheinen Teile seiner Adresse auf Telegram. „Das hat mich sehr beunruhigt”, so Geiler, „schließlich wurde in Deutschland bereits ein Mensch von einem mutmaßlichen Querdenker ermordet.”

Angriffe auf Reporter*innen auch in Deutschland

Vermehrt werden Journalist*innen in Deutschland körperlich angegangen. Zuletzt kam es in Zwickau zu einem Angriff auf ein Kamerateam des MDR. Julius Geiler sieht eine große Gefahr darin, dass Journalist*innen lange nicht von der Polizei unterstützt worden seien. Deshalb würden sich immer mehr Berichterstattende professionelle Unterstützung von Sicherheitskräften suchen, die sie auf Demonstrationen begleiten.

Eine Hassnachricht auf einer Litfaßsäule in Berlin. (Foto: Julius Geiler)

In der Politik sei häufig die Rede von einer „Spaltung der Gesellschaft”, was Julius Geiler nicht unterstreichen kann. Er spricht vielmehr von einer Abspaltung kleiner Randgruppen, welche sich durch die Pandemie radikalisiert hätten. „Spaltung der Gesellschaft klingt so, als wenn sich 50 Prozent auf der einen und 50 Prozent auf der anderen Seite befinden, und das ist nicht der Fall.”

Artikel 5 des Grundgesetzes besagt, „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. (…) Eine Zensur findet nicht statt.” Sowohl Fritz Pinnow, als auch Julius Geiler wurden in ihrer Berichterstattung eingeschränkt. Auch wenn die Intensität dieser Einschränkungen stark variiert, ist es immer eine Grenzüberschreitung, wenn Berichterstattende gewaltsam an der Aufnahme der Wirklichkeit gehindert werden. „Die Menschen, die Journalisten angreifen, sind im Unrecht”, stellt Pinnow klar, „wir Journalisten werden mit richtigem Journalismus den richtigen Menschen Schaden zufügen. Wenn ein Polizist in Kolumbien einen Journalisten angreift, weil er die Wahrheit festhält, dann hat der Polizist Angst vor der Wahrheit, und genauso ist es bei den Leuten hier.”

(Alle Artikel zur YouMeCon kannst Du auf dem politikorange-Blog und hier auf sagwas, dem Debattenportal der Friedrich-Ebert-Stiftung, finden.)

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