Ins Netz gegangen
Deutsche Politiker und Parteien eifern einem großen Vorbild nach und nutzen zunehmend professionell Social Media. Doch was anderswo bestens funktioniert, hat in Deutschland möglicherweise nur geringe Auswirkungen.
Wenn sich Barack Obama die Krawatte bindet, freuen sich darüber 85.000 Menschen. Zumindest zeigten das kürzlich so viele User allein auf der Foto-Plattform Instagram mit einem Klick an der richtigen Stelle an. Damit scheint klar zu sein: Der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist vielleicht nicht der mächtigste Mann der Erde, aber zweifellos ist er der weltweit einflussreichste Politiker in den sozialen Netzwerken.
Allein auf Facebook haben bis dato mehr als 45 Millionen Nutzer seine Seite mit „Gefällt mir“ markiert, darunter etliche, die aus anderen Ländern als den USA kommen. Sogar noch erfolgreicher ist Obama beim Kurznachrichtendienst Twitter: Dort erhalten mehr als 65 Millionen Follower einen neuen Eintrag in ihrer Timeline, sobald Obama oder sein Team einen Tweet absetzen.
Fast alle deutschen Parlamentarier nutzen Social Media
Von dieser Reichweite können deutsche Politiker bislang zwar nur träumen – die erfolgreichste deutsche Politikerin auf Facebook ist Bundeskanzlerin Merkel mit knapp 1,5 Millionen Fans. Dennoch haben die Politiker und ihre Parteien längst verstanden, wie nützlich ein guter Auftritt in den sozialen Medien sein kann.
Einer Erhebung von 2014 zufolge sind ganze 95 Prozent aller Bundestagsabgeordneten auf Facebook und Co. aktiv. Die Vorteile liegen auf der Hand: Wer Beiträge in Netzwerken verbreitet, kann dies schnell und kostenlos tun. In wenigen Minuten lässt sich beispielsweise quasi kostenlos ein klares Statement zur Flüchtlingsdebatte verbreiten, ohne dafür den Umweg über die klassischen Medien gehen zu müssen.
Darüber hinaus haben die Nutzer je nach Plattform verschiedene Möglichkeiten, sich selbst einzubringen. Allein der offene Umgang mit Kommentaren löst bei vielen potentiellen Wählern ein Gefühl des „Akzeptiertwerdens“ aus. Gibt ein Politiker dann noch online Einblicke in sein Privatleben, kann das erhebliche Auswirkungen auf dessen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit haben. Die Folgen für das Abschneiden bei der Wahl sind jedoch unklar.
Die Grünen sind die beliebteste Partei im Netz
Spätestens bei seiner Wiederwahl profitierte Obama von seiner gezielten Social-Media-Strategie, so sind sich Kommunikationsexperten einig. Seither versucht man auch hierzulande, den sogenannten „Obama-Effekt“ zu nutzen.
Thorsten Faas, Professor für Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, glaubt nicht, dass die Nutzung sozialer Netzwerke Politikern erhebliche Vorteile bei Wahlen bringen könnte. „Die Parteien und auch viele Politiker verwenden das Internet mit all seinen Facetten sehr routiniert. Aber damit gehen sicherlich keine großen Gewinne und Verluste am Wahltag einher“, sagt Faas. „Das spricht jedoch nicht gegen eine Nutzung der sozialen Medien. Schließlich wirken auch andere, ältere Medien nicht besonders stark auf die Wähler ein.“
Bestätigt wird seine Ansicht durch das Ranking der freien Analyse-Plattform Pluragraph.de. Dieses listet sämtliche Politiker, Parteien und Parlamente im deutschsprachigen Raum, die über mindestens ein Social-Media-Profil verfügen. Pro Abonnent in den verschiedenen Netzwerken gibt es einen bestimmten Punktwert, der die Vergleichbarkeit gewährleistet. Mit deutlichem Abstand liegt Angela Merkel vorn. Die drei stärksten Parteien sind allerdings anders als bei der Bundestagswahl 2013 die Grünen, die Piraten und die Linke. Die Große Koalition aus CDU und SPD rangiert erst danach.
Bei seiner Untersuchung der Bundestagswahlen 2005 und 2009 stellte Politikwissenschaftler Faas fest, wie sich digitale Kampagnen als Ergänzung zu analogen bemerkbar machen. „Die Bürgerinnen und Bürger lernen sehr wohl etwas Politik, wenn sie ‚das Internet‘ als Quelle nutzen“, sagt Faas.
Es helfe ihnen offenkundig auch, sich ein klareres Bild von Parteien und Politikern zu machen. „Allerdings muss man natürlich einschränkend sagen, dass sich unsere Ergebnisse auf zurückliegende Wahlen beziehen, bei denen Social Media zum Teil noch keine Rolle gespielt haben.“ Insofern müsse die Forschung am Ball bleiben. „Letztlich sollten wir aber unser Denken anpassen. Offline oder online – diese einfache Gegenüberstellung stört mehr, als dass sie uns hilft, weil sie den Blick auf die wirklichen Wirkungszusammenhänge blockiert.“