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Jung und chancenlos in Europa?

Von Delia Friess / 19. Dezember 2016
picture alliance / pressefoto_korb | Micha Korb

Er ist Abgeordneter im EU-Parlament und sieht den Wirkungsgrad seines Arbeitgebers durchaus kritisch: Joachim Schuster (SPD) über nutzlose Interrail-Tickets und wie Jugendarbeitslosigkeit begrenzt werden könnte.

Sagwas.net: Wo sehen Sie die Zusammenhänge von Jugendarbeitslosigkeit und Rechtspopulismus?

Joachim Schuster: Wir haben im Moment das Phänomen, dass wir unter den Jugendlichen eigentlich die stärksten Befürworter der EU haben. Allerdings ist es da anders, wo die Jugend keine Chance bekommt. Einer Studie zufolge sollen nur rund zehn Prozent aller Griechen die EU befürworten. Das kann ich nachvollziehen, wenn ich mir anschaue, wie die wirtschaftliche Situation und wirtschaftliche Entwicklung in Griechenland ist. 50 oder 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit bedeuten, eine Generation bekommt keine Chance, in den Arbeitsmarkt reinzukommen. Und weswegen sollten diese Personen eigentlich die EU befürworten? Genau deshalb gibt es da einen sehr engen Zusammenhang: Soziale Spaltung und soziale Probleme führen auch zu einer Delegitimierung von Politik.

In der Öffentlichkeit hat man von dem Policy-Paper der EU „Jugend in Aktion“ kaum etwas mitbekommen. Woran liegt das und was kann dieses Policy-Paper bewirken?

Wir müssen sehen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in allen Staaten enorm hoch ist. In einigen, besonders in südeuropäischen Staaten sogar unerträglich hoch, was ein Handeln erfordert. Die Bekämpfung ist eine nationale Aufgabe. Deshalb gibt es auch Initiativen, die von nationaler Seite umgesetzt werden, für die es aber zusätzliche Finanzmittel von der EU gibt. Denn die Jugendarbeitslosigkeit ist eines der zentralen Probleme für die Legitimation von Europa. Wenn die Jugend keine Chancen bekommt, gibt es auch wenige Gründe, warum sie auch Europa gut finden sollte.

Kann ein von der EU koordinierter Mindestlohn eine Wirkung auf die Jugendarbeitslosigkeit haben?

Wir brauchen eine Spannbreite von Mindestlöhnen. Diese muss man im Verhältnis zum nationalen Durchschnittslohn definieren. Das ist ein wichtiger Aspekt von Armutsbekämpfung. Ich glaube aber nicht, dass das einen nachhaltigen Einfluss auf die Frage der Jugendarbeitslosigkeit hat. Da ist viel wichtiger, inwieweit wir wachstumsstimulierende Politik machen. Oder inwieweit wir durch die strenge Stabilitätsorientierung nicht sogar Wachstumschancen vermindern und dadurch Arbeitslosigkeit verstärken.

Haben Sie konkrete Maßnahmen vor Augen?

Wir müssen diskutieren, wie man Jugendliche konkret für den Arbeitsmarkt gewinnen kann. Das andere Problem ist, dass es nicht an der mangelnden Qualifikation der Jugendlichen hapert, sondern schlicht die Jobs fehlen. Das ist besonders in Südeuropa der Fall. Und da wäre die EU mehr gefordert, auch über das, was wir als Koordinierung der Wirtschaftspolitik verstehen, etwas zu verändern.

Momentan scheinen eher elitäre Gesellschaftskreise wie Studierende von den EU-Programmen zu profitieren.

Der Lebensweg von Menschen, die sofort ins Arbeitsleben oder in eine Ausbildung gehen, ist anders als bei Studierenden und wir haben mit dem Erasmus-Programm sehr interessante Austauschmöglichkeiten. Ich glaube aber, man kann das nicht in Richtung Elitenbildung kritisieren, sondern es ist eine Frage der Ausrichtung. Diese hat in den letzten Jahren insbesondere in der Binnenmarktpolitik sehr vielen Arbeitnehmern Nachteile gebracht. Und das ist das Klientel, das anfälliger ist für Kritik. Dann muss ich mich nicht wundern, dass die Leute dann sagen: „Das ist nicht unser Weg, den wir haben wollen.“ Das Problem im Moment ist, dass das gegen Europa an sich gewertet wird und nicht als gegen eine bestimmte Politik, die in Europa vertreten wird.

Welche Gegenmaßnahmen schlagen Sie vor?

Man muss vernünftige Lebensbedingungen schaffen und einen Binnenmarkt, der so konstruiert ist, dass man soziale und ökologische Standards fest verankert anstatt zusätzlich Konkurrenz zu erzeugen. Dass man Möglichkeiten schafft – es gibt sie teilweise auch schon –, dass Schüler und Auszubildende an einem europäischen Austausch teilhaben können.

Austausch bedeutet auch Mobilität. Was halten Sie ganz konkret von Interrail-Tickets für Jugendliche?

Das ist Populismus! Natürlich ist es schön, wenn man ein anderes Land kennenlernen kann. Es gibt aber auch die Möglichkeiten, dass man Leute ins Parlament einlädt oder dass man das Erasmus-Programm verstärkt. Das billige Interrail-Ticket ist ja auch für viele, die das auch gar nicht nötig hätten.Meine Tochter würde auch davon profitieren, aber das kann ich mir gegebenenfalls doch auch selbst leisten. Ein zweiwöchiger, internationaler Klassenaustausch würde sich viel mehr lohnen.

(Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Jackie Macumba, Melvina Kotios, Lukas Antoine und Joschka Frech.)

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