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Kein Fremdkörper der Gesellschaft

Von Alex Wolf / 8. Juni 2017
picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

Der Verfassungsschutz ist Kritik von vielen Seiten ausgesetzt: Blindheit auf dem rechten Auge, Ineffizienz bei der Terrorabwehr, mangelnde interne Sicherheitsüberprüfungen. Wie vertrauenswürdig kann eine Behörde sein, deren Aufgabe das Operieren im Geheimen ist? Ein Veranstaltungsbericht

Die Debatte verspricht, ihrem Namen alle Ehre zu machen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat zur Online-Diskussion über „Verfassungsschutz – Aufgaben, Reformen, Perspektiven“ eingeladen – es geht um Glaubwürdigkeit, Transparenz und die Daseinsberechtigung einer Geheimbehörde, die ins Wanken geraten ist.

Gespannt sitzen sich Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, und Tagesspiegel-Journalist Frank Jansen gegenüber und mustern sich. Als Zuschauer fragt man sich: Schafft es die Moderatorin Simone von Stosch, dem Verfassungsschützer heikle Informationen über Interna der Behörde zu entlocken, die durch dubiose Verwicklungen in die NSU-Mordserie unter medialen Beschuss geraten ist? Zuletzt gelangten gar Pläne von Innenminister Thomas de Maizière ans Licht, in denen von einer Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz die Rede war, um alle deutschen Sicherheitsbehörden unter die Kontrolle des Bundes zu stellen. Diskussionsgegner Frank Jansen wurde bei seinen Recherchen in rechtsextremen Netzwerken selbst schon Ziel eines Anschlags – der durch rechtzeitiges Einschreiten des Verfassungsschutzes verhindert werden konnte.

Das Vertrauen bröckelt

An eine Abschaffung der Geheimbehörde wollen die beiden Diskutanten an diesem Abend im Mai nicht denken. Zwar sei es mittlerweile „in“, auf den Verfassungsschutz einzudreschen, wie Frank Jansen feststellt. Jedoch blieben viele Ermittlungserfolge der Behörde oftmals im Dunkeln, weil es sich um sensible Informationen und Erkenntnisse handele, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien.

Angesprochen auf die Versäumnisse im Fall Anis Amri, der vergangenen Dezember mit einem LKW in einen Berliner Weihnachtsmarkt raste, obwohl er den Sicherheitsbehörden schon lange im Vorfeld bekannt war, räumt Kramer Fehler bei den Ermittlungen ein. Für ihn liegt die Verantwortung für das Attentat jedoch weniger bei einer einzelnen Behörde, vielmehr habe das Zusammenspiel und der Informationsfluss zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und den Geheimdiensten versagt. „Verantwortlich hierfür ist eine Fehlinterpretation des Trennungsgebotes, welches eine strikte Gewaltenteilung zwischen Geheimdiensten und Polizei vorschreibt“, so Kramer. Besserung verspricht er sich von dem 2014 neu geschaffenem Terrorismusabwehrzentrum, in dem die Kräfte von 40 deutschen Sicherheitsbehörden gebündelt werden.

Den sauberen V-Mann gibt es nicht“

Neben der Institution des Verfassungsschutzes an sich steht vor allem der Einsatz von V-Leuten in der Kritik. Zwar hat der thüringische Verfassungsschutz als Reaktion auf den NSU-Skandal alle seine V-Leute aus der rechtsextremen Szene abgezogen, dennoch warnt Stephan Kramer: „Mit dem üblichen Handwerkszeug sind wir im rechtsextremen Bereich schlecht aufgestellt“. Zwar gebe es vielversprechende technische Abhörmethoden, jedoch gelten in Deutschland sehr strenge rechtliche Auflagen für eine Bespitzelung. Messenger-Dienste wie Whatsapp bleiben deshalb weitestgehend überwachungsfreie Räume, was bei dem Verfassungsschützer auf merkliches Unverständnis stößt, wenn er desillusioniert fragt: „Geht es hier um Datenschutz oder um Täterschutz?“

Auch Journalist Frank Jansen ist sich dem Risiko beim Einsatz von menschlichen Quellen bewusst. „Während meiner Recherchen im rechtsextremen Milieu bin ich mit einigen V-Leuten in Kontakt gekommen, deren Doppelmoral mir bis heute ein Rätsel ist“, so Jansen. Obwohl sie sensible Informationen an die Geheimdienste weiterleiten, bleiben sie meistens Teil der rechten Szene. Nicht selten kommt es vor, dass Vertrauensleute das Geld für ihre Zusammenarbeit direkt in ihre Netzwerke fließen lassen.

Die Skepsis bleibt

Verschärfte interne Sicherheitsüberprüfungen sollen nun sicherstellen, dass sich neue Mitarbeiter nicht als Risiko entpuppen. Bei Vertrauenspersonen wurden strengere Hürden für einen Missbrauch der Gelder für die Zusammenarbeit eingeführt. Auf die kritische Nachfrage eines Zuschauers der Live-Übertragung via Internet, wie glaubhaft solche Reformschritte seien, die von den eigenen Mitarbeitern überprüft würden, gab sich Stephan Kramer selbstkritisch: „Es mangelt uns an den personellen Ressourcen, um die neuen Reformen wirksam umzusetzen.“ Mehr als den guten Willen zur Erneuerung kann Frank Jansen bisher auch nicht erkennen.

Gründe für eine Aufrüstung des Verfassungsschutzes gibt es laut Stephan Kramer allenthalben, denn: Gefahren für die freiheitliche Grundordnung Deutschlands drohen von vielen Seiten. Ganz oben auf der Gefährdungsliste steht der islamistische Terror. Doch auch rechtsextreme Gruppierungen wie die Reichsbürger, von denen es in Deutschland mittlerweile knapp 13.000 gibt, sind auf dem Radar der Geheimdienste. Hierfür brauche es einen doppelt gestärkten Verfassungsschutz, so Kramer, gestärkt an technischen Möglichkeiten und rechtlichen Freiheiten, um modernen Phänomenen wie dem Darknet etwas entgegenzusetzen. Aber auch gestärkt an Vertrauen, um sich vom Fremdkörper zum akzeptierten Teil der Gesellschaft zu wandeln.

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