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Luxusgut Freizeit

Von Clara List / 27. Oktober 2021
picture alliance / Westend61 | Joseffson

Spätestens seit der Pandemie hat sich unser Umgang mit freier Zeit verändert. Im Homeoffice vermischen sich Mittagspausen mit Meetings, Feierabende mit Email-Verkehr. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft ist Freizeit immer mehr zur Rarität geworden.

Lange Arbeitstage und Erledigungen verschlingen unsere freie Zeit manchmal wie ein schwarzes Loch. Kein Wunder: Produktivität ist in. Jede Minute unseres Alltags füllen wir effizient, einfach in den Tag hinein leben wird zur Seltenheit. Freizeit erscheint fast wie ein Luxus, den man sich leisten können muss.

Selbstoptimierung und Hektik

Am Ende des Tages geht es darum, wie viel wir geschafft haben, und nicht, wie viel Zeit wir unseren Hobbys gewidmet haben. To-Do-Listen und Terminkalender zeugen immer mehr von Strategien zur Selbstoptimierung, Beschleunigen statt Entschleunigen, heißt die Devise. Andauernd unter Strom eilen wir zu Terminen, Verabredungen, Verpflichtungen. Abends fallen wir erschöpft ins Bett, haken halbherzig unsere Aufgabenlisten ab und planen den Folgetag durch. Im Stundentakt. Wir sind aller Aufklärung zum Trotz im so bekannten wie unausweichlichen Hamsterrad gefangen, das nie stillsteht. Nichtstun und den eigenen Gedanken nachhängen wirkt wie Zeitverschwendung und ist keine Option. Dabei sehnen wir uns alle insgeheim nach freien, unverplanten Minuten. Nur warum ist es dann scheinbar so schwierig, sich diese freie Zeit zu gönnen?

Stress als Statussymbol

Begriffe wie Stress, Hektik und Eile sind längst nicht nur geläufige Wörter in unserem Sprachgebrauch. Dahinter offenbaren sich Konzepte, die wir eher verinnerlichen denn hinterfragen. Wer viel zu tun hat, gilt in der Gesellschaft als unentbehrlich, Stress ist ein Statussymbol. Ein sehr ungesundes zwar, doch die ständige Erreichbarkeit ist ein erbarmungsloser Gegner. Eine Pause vom Internet – unvorstellbar. Dabei ist spätestens seit Beginn der Coronapandemie und den daraus resultierenden Kontaktbeschränkungen deutlich, wie sehr der Mensch andere Menschen braucht und wie abhängig wir alle von einem sozialen Miteinander sind.

Gemeinsame Aktivitäten bringen am meisten Spaß

Wenig überraschend ist, dass es jungen Erwachsenen am meisten Freude bereitet, etwas mit ihren Freund*innen zu unternehmen. Dennoch nimmt sich Umfragen zufolge lediglich jede/r sechste Zeit, regelmäßig Freund*innen zu treffen. Das klingt paradox, oder? Dabei bringen gemeinsame Aktivitäten am meisten Spaß. Die Mehrheit der Befragten geben an, dass sie in ihrer Freizeit am liebsten Zeit mit dem/der Partner*in verbringen. Danach folgen diejenigen, die den meisten Spaß in ihrer freien Zeit haben, wenn sie diese in der Natur verleben. Es geht aber nicht nur um individuelle Bedürfnisse. Sich Zeit für jemanden zu nehmen signalisiert außerdem, wie wichtig der andere einem ist. Beides – garantierter Erholungsfaktor in der Natur und gemeinsame Aktivitäten – lässt sich ja auch wunderbar miteinander verbinden.

Corona verändert unser Freizeitverhalten

Als zu Beginn der Coronapandemie die Sportvereine gemeinsame Trainingseinheiten absagten, Schwimmbäder geschlossen wurden und Museen in den Lockdown gingen, veränderte sich das Freizeitverhalten der Deutschen schleichend, aber nachdrücklich. Von da an fand die Freizeitgestaltung überwiegend in den eigenen vier Wänden statt. Wohnung oder Haus wurden kurzerhand umfunktioniert und verkörperten – jenseits von schnell eingerichteten, alternativen Klassenzimmern und Arbeitsplätzen – zum Beispiel Kinosaal und Yogastudio in einem. Zumindest bei denen, die sich ein solch umfangreiches Freizeitvergnügen dank riesiger Flachbildschirme, Streamingabos und ausreichend Wohnfläche leisten können. Corona hat dadurch nicht nur Schattenseiten des Gesundheitssystems aufgedeckt, sondern auch verdeutlicht, wie sehr unser Umgang mit freier Zeit an private Möglichkeiten gebunden ist. Für nennenswerte gesellschaftliche Empörung hat diese Erkenntnis nicht gereicht. Doch die Forderung, dass diejenigen, die auf weniger kostspielige, sogar kostenlose Freizeitangebote von außen bauen, nicht nochmal das Nachsehen haben sollen, wurde hörbarer.

Proaktiv statt passiv

Abgesehen von der sozialen Komponente: Wir hatten theoretisch Zeit für alles, was wir schon immer tun wollten, aber stets aufgeschoben haben. Viele haben während der Pandemie ihr Zuhause aufgeräumt oder verschönert oder ein altes Hobby zu neuem Leben erwecken können. Anderthalb Jahre nach dem ersten Lockdown scheint sich so vor allem die Fähigkeit, den eigenen Alltag kurzfristig neu zu strukturieren, verbessert zu haben. Und viele haben realisiert und in diversen Blogs resümiert, dass es mehr lohnt, die eigene Zeit bewusster zu verbringen, als es vor der Pandemie der Fall war.

Dass zu einem gelungenen Durchschnittstag selbstbestimmte Freizeit ebenso dazugehört wie konzentriertes Arbeiten, muss vielleicht noch ein paar Mal wiederholt werden. Freizeit mag vor vielen Generationen als Ausdruck einer höheren gesellschaftlichen Stellung gegolten haben. Heute trägt sie einer gesunden Balance im Alltag bei, egal ob passiv oder proaktiv verbracht. Zum Luxusgut verkommen darf sie darum auf keinen Fall.

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