Missgebildet und stolz
Behindert, aber selbstbestimmt durchs Leben kommen – das will der Berliner Rapper Graf Fidi. Und anderen ein Vorbild sein. Doch ein Problem bleibt.
Die Tür öffnet Fidi Baum im Stehen. „Komm herein!“, ruft er, lächelt und stakst voraus. Zwei Zimmer, Küche, Bad – kurze Strecken läuft der blonde Mittdreißiger auf seinen krummen Beinen langsam, aber ohne Hilfsmittel. Für Besorgungen in der Nachbarschaft nutzt er ein umgebautes Dreirad „und ansonsten den Rolli“, erzählt er. Die Augen noch rot vom Schwimmen, die Glieder erschöpft. Aber aufs Schwimmen verzichten? Niemals. Im Wasser ist Fidi untenrum quasi barrierefrei.
Den Rollstuhl versteckt er in der Sprecherkabine. „Da nimmt er nicht so viel Platz weg“, erklärt Fidi lässig. Im Wohnzimmer hat sich der Berliner ein Tonstudio eingebaut. Hier nimmt er als Rapper Graf Fidi seine Songs auf, kreiert Musik, die mehr will als unterhalten.
Ausgerechnet Rap? Für ihre Feinfühligkeit ist die Szene ja nicht gerade bekannt. Doch als Fidi Mitte der 1990er Jahre „Lauschgift“ hört – das legendäre Album der Hip Hop-Band Die Fantastischen Vier – steht für ihn fest, „es gibt gute deutsche Rap-Mucke.“ Kurze Pause. Und, fügt er hinzu, Rap half auch, die Verletzungen aus der Vergangenheit zu verarbeiten.
Barrieren in den Köpfen
„Krüppel“ schimpfen ihn die Kinder auf dem Schulhof. Fidi, der damals nur Hans-Friedrich heißt, lernt früh die Barrieren in den Köpfen anderer kleiner und großer Menschen kennen. Auf seine Gehbehinderung kommen nicht alle Mitschüler klar. Und nur die allerwenigsten wissen, wie sie mit Fidis kurzem rechten Arm umgehen sollen, an dem ein Finger ist statt der üblichen fünf.
Auf kindische Hänseleien folgt institutionelle Benachteiligung. Als Student wächst Fidi beim Treppensteigen fast täglich über sich hinaus. Denkmalschutz, wehrt die Evangelische Hochschule in Berlin Anfragen nach einem rollstuhlgerechten Zugang ab. Fidi reagiert mit einem Song. Das Video zu „EHBarrierefrei“ wird in wenigen Wochen tausende Male geschaut, geteilt und bringt Bewegung in die Sache. Vier Semester später weiht der diplomierte Sozialarbeiter Fidi dort, wo lange „nichts zu machen“ war, einen längst überfälligen Fahrstuhl ein.
„Da ist mir klar geworden, dass ich mit einem einzigen Lied extrem viel erreichen kann.“ Hauptsache, „content is king“. Die Botschaft also genauso wichtig wie der Beat. Von Texten über sein Handicap, das Verhältnis zu seinem Vater, die Liebe zu Berlin – Fidi hat viel zu erzählen. Und er nutzt jede Gelegenheit, das Thema Inklusion zu propagieren. Schließlich weiß er, wovon er redet.
Selbstbestimmung ist ein Recht, kein Privileg
„Man ist immer nur so behindert, wie das Umfeld, in dem man sich befindet.“ In Sachen körperlicher Beeinträchtigung ist Fidis Anliegen unmissverständlich. Glaubwürdig. Deshalb tritt er häufig auf Infoveranstaltungen von Unternehmen und Initiativen auf, engagiert sich in Rap-Workshops für Kinder und Jugendliche. Sein Talent hat sich sogar bis nach Nicaragua herumgesprochen. An der Deutschen Schule in Managua hat er diesen Sommer einige Tage lang eine Mischung aus Musik- und Sozialkundelehrer gegeben.
„Nein, ich leide nicht an einer Behinderung // Ich fühl mich gut so wie du // Schreib das auf: Ich bin gesund“, rappt Fidi im Song „Klartext“. Seinen rechten Arm bezeichnet er zwar als Missbildung, erwähnt aber im gleichen Atemzug stolz, wie er damit Einkaufstüten schleppt und Computer spielt. „Ich mach das mit links“ – für Fidi Albumtitel und Lebensmotto zugleich. Er verkörpert es ja auch wie kein Zweiter.
Behinderung als Alleinstellungsmerkmal
Aber kann so einer ein Vorbild sein für jene, die immer wieder Vorurteile überwinden müssen? Kann er denjenigen, die voreilig Schlüsse ziehen und allzu gern Schubladen bedienen, Respekt gegenüber Menschen beibringen, die anders sind? Ihnen erklären, dass jeder das Recht auf Selbstbestimmung hat? Illusionen machen sollte man sich in dieser Hinsicht wahrscheinlich lieber keine. Die meisten Leute lassen sich nichts sagen. Aber wer hat schon was gegen eine gute Geschichte einzuwenden?
Solche wie die der lettischen Singer-Songwriterin Viktoria Modesta etwa. Ihr Alleinstellungsmerkmal steht Fidis in nichts nach: Eine Beinprothese, die je nach Laune zum spitzen Metallstachel oder zum roboterhaften Accessoire wird. Anstatt ihren Stumpf zu verstecken, fordert die 29-Jährige Aufmerksamkeit dafür. „Ich bin deswegen nicht agressiv, sondern progressiv“, betont sie.
Diese Form der Selbstermächtigung, bei der die Deutungshoheit nicht mehr anderen überlassen wird, lebt auch die Maysoon Zayid, eine palästinensisch-amerikanische Komikerin vor. Zayid lebt seit ihrer Geburt mit Zerebralparese, die eine Spastik in Armen und Beinen mit sich führt. Ihr unkontrollierbares Zappeln verharmlost die 43-Jährige nicht, sondern begegnet ihm mit Humor.
Auch für Fidi ist der richtige Kontext nicht nur für seine Kunst enorm wichtig. Sein Sohn wird bald laufen lernen, anfangen, Fragen zu stellen. Dann will Fidi verständliche Antworten parat haben. Was er jetzt schon sicher hat, ist ein kleines Kind, das zu ihm aufschaut und es völlig normal findet, dass Papa alles mit links macht.