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Nach uns die Sintflut

Von Max Benz-Kuch / 16. Oktober 2024
picture alliance / ANP | Sem van der Wal

„Vom Tellerwäscher zum Millionär“, „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ – die Liste der Phrasen, in denen das Individuum rein durch eigene Anstrengungen zum Erfolg findet, ist lang. Doch das Vertrauen in den Weg des stetig Besseren, nur dank eigenen Verdiensts, ist stark beschädigt und das ist auch gut so.

Sie parken gerne auf zwei Parkplätzen gleichzeitig, bieten Allradantrieb im Stadtverkehr (wo die allermeisten Straßen asphaltiert sind) und versinnbildlichen neben all der Rücksichtslosigkeit auf Mitmenschen und Umwelt altertümlich gesprochen den „Sitz auf dem hohen Ross“: Einschüchternd kommen sie daher, die Fahrzeuge des am stärksten diskutierten Autotyps, die SUVs.

Direkt nach Porsche, BMW und Mercedes stehen sie jedoch wie kein anderes Konsumgut für erreichten Status, auf der zuvor erkletterten Karriereleiter. Für die einen mag es die Erfüllung eines jahrelangen Traums sein, für andere hingegen Ausdruck von Dekadenz – das Vergnügen eines Einzelnen, auf Kosten der Anderen: SUVs bedrohten der Deutschen Umwelthilfe zufolge Fußgänger und Fahrradfahrer durch ihre Größe, ihr hohes Gewicht und die hohe Motorhaube; zudem fielen sie durch überdurchschnittlich hohe CO2-Emmissionen negativ auf. In Paris endete die Auseinandersetzung um Platz und Umweltverschmutzung im öffentlichen Raum sogar politisch. In einem Volksentscheid im Februar beschlossen 56 Prozent der Pariser, dass Touristen eines derart übergroßen Fahrzeugs ab Oktober diesen Jahres 18 Euro Parkgebühr pro Stunde zahlen müssen, was einer Verdreifachung der bisherigen Gebühren entspricht.

Das Vergnügen eines Einzelnen auf Kosten der Anderen

Wer den eigenen Lebensstandard durch teure Konsumgüter wie SUVs zur Schau stellt, wird bewundert, aber auch gehasst. In unserer auf die Individualisierung der Bürger ausgerichteten Gesellschaft war dabei das Verhältnis von Anerkennung und Neid lange Zeit ausgeglichen. Für die Bundesrepublik Deutschland heißt das: In der Nachkriegszeit entwickelte sich eine Erwartungshaltung, geprägt durch wirtschaftliches Wachstum und ein Versprechen darauf, dass für nachfolgende Generationen alles immer besser werde. Diese Hoffnung fütterte einen zügellosen Individualismus. Nach dem Motto „wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“ wurden und werden soziale Realitäten in vielen Bereichen kategorisch ausgeschlossen. Solidarität für Mitmenschen oder gar Rücksichtnahme auf die Umwelt spielen keine Rolle. Nicht nur in Zeiten des Klimawandels ist das fatal. Die Kehrseite eines breiten gesellschaftlichen Egoismus lautet: Gesorgt ist für nichts, denkt jeder nur an sich.

Nur wer an alle denkt, kennt sich selbst

Die Stärke westlicher Demokratien ist die Betrachtung des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat – von Individuum zum Kollektiv. Und so ist es andersherum auch nicht besser. Die DDR folgte beispielsweise der Idee des sowjetischen Marxismus-Leninismus: Der einzelne Mensch darf sich bei seinem eigennützigen Streben nie dem Gemeinwohl widersetzen. Diese Illusion der absoluten Verschmelzung des Ich im Kollektiv führte zur Unterdrückung der Persönlichkeit und war damit gleichermaßen schlecht für alle, besonders gut aber für niemanden. Die westdeutsche – amerikanisch inspirierte – gesellschaftliche Freiheitsidee bedeutete hingegen, den Liberalismus walten zu lassen. Zwar nicht in einer so extremen Ausführung wie die USA, aber immer noch „liberal“ genug, um soziale Ungerechtigkeiten gleichermaßen stark vererblich zu machen ebenso wie sorgenlosen Wohlstand. Oder ausreichend genug, um die Aufkäufe ostdeutscher Unternehmen unter deren Wert durch westdeutsche Investoren nach der Wiedervereinigung zu ermöglichen. Was auch Jahrzehnte später nichts anderes zur Folge hat, als die nachhaltige wirtschaftliche Schwächung der sogenannten „neuen Bundesländer“, der sich Tarifbindungen, erhöhter bundesdeutscher Mindestlohn und Subventionspakete in den Weg zu stellen versuchen.

Freiheit meint Vielzahl an Chancen, die für alle gelten

Der Anschluss der DDR an die BRD ermöglichte so zwar 16 Millionen Menschen erstmals das Recht auf freie Entfaltung durch Artikel 2 des Grundgesetzes, gleichzeitig machte es sie zu Verlierern im für sie neuen System. In einer Sendung vom 21. August 2024 thematisierte der Deutschlandfunk die Ungleichverteilung der Vermögensverhältnisse in Deutschland zwischen Ost und West mit: „Erst DDR-Planwirtschaft, dann Arbeitslosigkeit und Lohnunterschiede. Der Ruf nach einer Reform der Erbschaftssteuer wird lauter“. Der Beitrag des sächsischen-anhaltischen Landeskorrespondenten Niklas Otterbach darin beschreibt, wie die „Sanierung“ der vereinten Bundesrepublik zwar vielerorts zur schnellen Modernisierung verhalf, jedoch durch die großflächige Beteiligung westdeutscher Unternehmen der Ertrag daraus Anderen zugutekam. Und auch beim Erbe gilt laut MDR Data: „Im Westen profitierte nicht nur ein größerer Anteil der Bevölkerung; die Erbschaften und Schenkungen waren im Schnitt 2022 auch umfangreicher als im Osten. Pro Einwohner rund neunmal so viel“.

Die innerdeutsche Geschichte ist jedoch noch durch einen ganz anderen Graben gezeichnet. Der klafft zwischen Anspruch auf Freiheit zum sozialen Aufstieg, den letztes Jahr 21 Millionen der deutschsprachigen Bevölkerung laut Statista teilten, und der Realität, in welcher „Geringverdiener meist für immer arm bleiben“, wie das Handelsblatt einordnet.

Losgelöst von Phrasen, die inhaltsleere Versprechungen „vom Tellerwäscher zum Millionär“ machen oder sich vor Verantwortung mit „jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ drücken, sollte die Motivation nach Friedrich Ebert „ (…) volle politische Gleichberechtigung aller ohne Unterschied“ hochgehalten werden. Denn Freiheit hat schon immer dort aufgehört, wo begonnen wurde, sie Anderen zu verwehren.

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