Der unklare Blick von außen
Der Nahostkonflikt ist zwar keine Separatismuserscheinung ähnlich der in unserer Separatismus-Reihe porträtierten Bewegungen. Dennoch geht es auch hier um die Durchsetzung von Partikularinteressen. In jüngster Zeit spitzt sich der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern wieder zu. Die Welt diskutiert eifrig mit.
Der Nahostkonflikt ist zwar keine Separatismuserscheinung ähnlich der in unserer Separatismus-Reihe porträtierten Bewegungen. Dennoch geht es auch hier um die Durchsetzung von Partikularinteressen. In jüngster Zeit spitzt sich der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern wieder zu. Die Welt diskutiert eifrig mit.
„Mehrere Tote bei Angriff auf Synagoge in Jerusalem“[1]: So lautete eine von vielen schlechten Nachrichten aus dem Nahen Osten in den vergangenen Wochen. Der Nahostkonflikt, der schon viele Jahrzehnte schwelt, ist nicht kleinzukriegen.
Seine Geschichte ist lang und sehr komplex. Am 14. Mai 1948, als das britische Mandat über Palästina endete, rief der erste Premierminister David Ben Gurion in Tel Aviv den Staat Israel aus. Noch in derselben Nacht griffen Armeen aus Ägypten, Syrien, dem Libanon, Transjordanien und dem Irak Israel an. Für die Juden erfüllte sich mit der Staatsgründung ein Traum, für die Araber ging der Tag als „Nakba“ (Katastrophe) in die Geschichte ein.[2]
Omnipräsenter Konflikt
Bemühungen um eine Konfliktbeilegung hat es seit jeher viele gegeben. Das Interesse des „Westens“ an jenem Konflikt ist sehr groß. Es gibt wenige Konflikte, die so lange währen und dabei so gut erforscht sind, sagt die Magdeburger Politikwissenschaftlerin Hanna Pfeifer.
„Es existieren viele Konflikte auf der Welt, von denen unser Wissen viel geringer ist, die aber trotzdem gelöst werden,“ so Pfeifer. Der Konflikt ist omnipräsent – und viele Leute haben das Gefühl, mit ihm zu tun zu haben, obwohl sie sonst nichts mit dem Nahen Osten gemein haben.
„Bei anderen Konflikten, die teils viel höhere Opferzahlen aufweisen und von enormer Brutalität gekennzeichnet sind, scheint die eigene Identität nicht so berührt zu sein, wie das im israelisch-palästinensischen Konflikt oftmals der Fall ist“, sagt Pfeifer.
Ein entscheidender Punkt sei, dass die mächtigen Staaten des Westens, also Europa und die USA, denken, sich alle dazu verhalten und positionieren zu müssen.
„Das hat einerseits historische Gründe wie die kolonialen Verflechtungen, die es in der Region mit England und Frankreich gibt, sowie die deutsche Geschichte des Holocausts und Gründe aus dem größeren Zusammenhang des europäischen Antisemitismus“, so Pfeifer. „Andererseits gibt es die heutigen Interessen in der Region und die Idee, dass Israel als einzige Demokratie im Nahen Osten ein strategischer Verbündeter, aber eben auch ein Freund ist.“
Sie appelliert dafür, vor dem emsigen Suchen nach einer Lösung des Konfliktes erst einmal zu fragen, zwischen wem eine Einigung erzielt und welcher Konflikt geklärt werden soll. „Der palästinensisch-israelische Kernkonflikt kann nicht unabhängig von den anderen Konfliktlinien betrachtet werden“, sagt die Politikwissenschaftlerin.
„Sozialkonstruierte Konfliktlinien“
Der Konflikt wird laut Pfeifer gerne hochstilisiert auf einen generellen Konflikt zwischen dem „Westen“ und dem „Islam“, wobei Israel zum Westen gezählt wird. „Es handelt sich um sozialkonstruierte Konfliktlinien. Mein Gefühl ist, dass dieser Konflikt als eine Projektionsfläche für viele globale Auseinandersetzungen dient, die derzeit ausgetragen werden.“
Lange Geschichte der Gewalt
Einen konkreten Auslöser für den Nahostkonflikt gibt es nicht, meint Tobias Pietsch, Vorstandsmitglied des Fördervereins Willy-Brandt-Zentrum e.V. Er hat als Freiwilliger in einem deutsch-israelisch-palästinensischen Team des Willy Brandt Centers (WBC) in Jerusalem bei Projekten für einen Dialog zwischen israelischen und palästinensischen Jugendlichen mitgearbeitet.
Seit 2003 hat das WBC seinen Standort genau zwischen dem jüdischen und dem arabischen Teil Jerusalems auf der sogenannten Grünen Linie, der Grenze, die bis 1967 das israelisch und das jordanisch kontrollierte Gebiet trennte.
In jenem Jahr fand mit dem Sechs-Tage-Krieg eine der ersten militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel, Ägypten, Syrien und Jordanien statt. In dessen Folge nahm Israel Ost-Jerusalem ein und besetzte die Sinai-Halbinsel, das Westjordanland, die Golanhöhen und den Gaza-Streifen, jene Gebiete, die bis heute im Zentrum des Konflikts stehen.
Es folgten der Jom-Kippur-Krieg sowie die Erste und Zweite Intifada. Zwischendurch gab es immer wieder Versuche, den Konflikt beizulegen, wie beispielsweise das Oslo-I- oder das Hebron-Abkommen. Immer wieder mischten sich westliche Staaten in den Konflikt ein und versuchten, eine Schlichtung herbeizuführen.
Die emotionale und ideologische Aufladung der Konfliktthemen erschwere Lösungen, meint Pietsch. „Einigungen würden Kompromisse und Verzicht bedeuten – für beide Seiten. Das erfordert mutige Entscheidungen, die bisher keine israelische oder palästinensische Regierung treffen konnte oder wollte, weil Mut oder Mehrheiten fehlten.“
Intervention von außen?
Würde eine Intervention von außen helfen? „Es braucht einen fairen Moderator, der Verfahren festlegt und auf die Einhaltung vereinbarter Regeln und auf einen produktiven Verhandlungsmodus achtet“, sagt Pietsch. Externe Akteure könnten Sicherheiten geben, wo Vertrauen zwischen den Konfliktparteien fehlt. Gleichzeitig könnten sie Anreize für erfolgreiche Verhandlungen schaffen.
Politikwissenschaftlerin Hanna Pfeifer steht Interventionen skeptisch gegenüber. „Gehen wir davon aus, dass beide Konfliktparteien einen solchen Mediator überhaupt wollen, stellt sich die Frage, wen man sich dafür aussucht“, so Pfeifer. „Bisher hat man mit den USA einen sogenannten Powermediator, einen mächtigen Akteur, der viele Möglichkeiten hat, Druckpunkte zu setzen, in wirtschaftlicher, politischer und sogar militärischer Hinsicht.“
Oft werde jedoch kritisiert, dass die USA nicht neutral seien. Für die EU als Mediator spricht, dass es innerhalb Europas sehr unterschiedliche Positionen gegenüber dem Konflikt gibt, sodass man insgesamt von einem differenzierten Geflecht von Solidaritäten und Unterstützungstendenzen ausgehen kann. Einige vermuten darin in der Summe eine Art Neutralität. Allerdings würde die EU so natürlich auch ihre eigenen inneren Konflikte mit in den Nahostkonflikt hineintragen. so Hanna Pfeifer. Ebenso müsse beachtet werden, wer an der Aushandlung beteiligt ist. Handelt es sich um eine Eliten-Entscheidung oder einen gesellschaftlich ausgehandelten Prozess?
Selbst wenn eine Intervention von außen möglich wäre, bleibt die Frage, ob die Konfliktparteien überhaupt ein ernsthaftes Interesse an einer Lösung haben. In der Bevölkerung wachsen die Zweifel am Friedenswillen der jeweils anderen Seite. „Das Prinzip Land für Frieden hat nach dem Ägyptischen Friedensschluss seine Strahlkraft verloren. Alle weiteren Landaufgaben haben aus israelischer Sicht zu Terror geführt“, sagt Pietsch. „Gleichzeitig bestehen große Ängste aufgrund der Dynamiken in der Region, ausgelöst durch die arabischen Umbrüche, die jahrzehntelange Stabilitäten ins Wanken gebracht haben.“
Angesichts des fortschreitenden Siedlungsbaus und zahlreicher gescheiterten Verhandlungen schwindet auf palästinensischer Seite der Glauben an ein Interesse Israels am Frieden. „Die andauernde Besatzung und die flächendeckende Kontrolle über alle Bereiche des Lebens werden nicht als Signale in Richtung Frieden gedeutet“, so Tobias Pietsch. Auch auf israelischer Seite schwindet der Glauben, unter anderem wegen anhaltender Raketenangriffe und Anschläge.
Pfeifer mahnt, die Betrachtung des Konflikts von außen vorsichtig anzugehen. „Wir sitzen alle hier im friedlichen Westen, blicken auf diesen Konflikt und fordern endlich eine Lösung für ihn. Das ist fast zynisch“, meint Pfeifer. „Es ist etwas grundlegend anderes, ob man in einem demokratischen, friedlichen Staat groß wird oder ob Generationen die Erfahrungen autokratischer Regime gemacht haben, unter Unterdrückung groß geworden sind und massive Gewalt erleben mussten.“
Man müsste in einem ersten Schritt überlegen, wie es sich auswirkt, dass ganze Generationen keine Erfahrung einer friedlichen Koexistenz gemacht haben, sondern nur eine Kultur der Gewalt kennengelernt haben. „Oft geht es für die Menschen vor Ort nur um die Bewältigung des Alltags, die oft bereits äußerst schwierig ist. Das ist etwas, das wir mit unserem Blick von außen auf diesen Konflikt oft übersehen.“
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[1] Artikel: Netanjahu will mit „harter Hand“ auf Anschlag reagieren, in: Sueddeutsche.de vom 18.11.2014, URL: www.sueddeutsche.de/politik/israel-netanjahu-will-mit-harter-hand-auf-anschlag-reagieren-1.2225597
[2] Vgl.: Löffler, Roland: Zwischen Erinnerungsgeschichte und Realpolitik. Stationen auf dem Wege zum Staat Israel im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Herbert Quandt-Stiftung (Hrsg.): Reisen nach Jerusalem. Nachwuchsjournalisten zu Alltag und Politik in Israel, Palästina und Deutschland, S.19.
endlich mal ein ausgewogener Artikel über diesen Konflikt. DU stellst mehr Fragen als du Antworten gibst. Meiner Meinung nach ist der Nahostkonflikt genauso: Je mehr man sich damit beschäftigt, desto unklarer wird es. Frage an die Autorin: Warst du selbst mal in der Region?
Hallo,
bitte entschuldige, dass ich jetzt erst antworte.
Ja, ich war selber einmal (leider nur für zwei Wochen) in Israel und dort auch ganz direkt an Grenzregionen.