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Koreas Nationale Einheit: Wirklichkeit und Vision

Von Jana Kugoth / 30. September 2014
Das Team des Projekts: Dokumentation zur Deutschen Einheit – Wissenstransfer für Korea am Instituts für Koreastudien an der Freien Universität Berlin: Katharina Müller, Werner Pfennig, Alexander Pfennig im Institutsgarten (Foto: Jana Kugoth)

Am 3. Oktober feiert Deutschland die Wiedervereinigung. Was hier Anfang der 90er Jahre Wirklichkeit wurde, ist in Korea noch Vision.
Dr. Werner Pfennig und sein Sohn Alexander Pfennig vom Institut für Koreastudien an der Freien Universität Berlin erzählen, warum Deutschland für das asiatische Land ein interessanter Untersuchungsgegenstand ist und welchen Blick Korea und Deutschland heute aufeinander haben.

Am 3. Oktober feiert Deutschland die Wiedervereinigung. Was hier Anfang der 90er Jahre Wirklichkeit wurde, ist in Korea noch Vision. Dr. Werner Pfennig und sein Sohn Alexander Pfennig vom Institut für Koreastudien an der Freien Universität Berlin erzählen, warum Deutschland für das asiatische Land ein interessanter Untersuchungsgegenstand ist und welchen Blick Korea und Deutschland heute aufeinander haben. Ein Interview von Jana Kugoth

Sagwas.net: 1989/90 erfüllte sich in Deutschland die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung zwischen den beiden deutschen Staaten. Nord- und Südkorea sind heute – nach knapp 60 Jahren – noch immer durch eine 248 Kilometer lange Grenze geteilt. Warum?

Dr. Werner Pfennig (Foto: privat)
Dr. Werner Pfennig (Foto: privat)

Werner Pfennig: Sowohl die Entstehung der koreanischen Grenze als auch die bisherigen Bemühungen, die Teilung zu überwinden, unterscheiden sich stark von der Vorwendesituation in Deutschland. Aber das, was in Deutschland nach 1990 versucht wurde – hinsichtlich der Angleichung der Lebensverhältnisse und der Übertragung des westdeutschen Systems auf die neuen fünf Länder im Osten – könnte für eine zukünftige Entwicklung in Korea vielleicht interessant sein. Aus meiner Sicht fehlen dort aber noch die notwendigen Voraussetzungen, die einerseits die friedliche Revolution in der DDR ermöglichten, und andererseits in Deutschland und der Sowjetunion die Idee einer Wiedervereinigung überhaupt denkbar machten.

Welche Voraussetzungen fehlen denn in Korea im Vergleich zu Deutschland und Europa in den 80er Jahren?

W.P.: Als in Mittel-/Osteuropa eine Entwicklung einsetzte, bei der die etablierten Systeme ökonomisch und mit ihrem Unterdrückungsapparat nicht mehr so erfolgreich waren, nahm die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung zu. Eine weitere Rolle spielten institutionelle Voraussetzungen. Zum Beispiel war die Evangelische Kirche in Ostdeutschland finanziell unabhängig vom SED-Staat. Vergleichbares gibt es in Nordkorea nicht. Der Informations- und Kontrollapparat funktioniert immer noch. Die DDR konnte Ende der 80er Jahre das „Feindbild Westeuropa“ nicht mehr glaubhaft pflegen. In Nordkorea wird noch immer der Süden für den Hunger der Bevölkerung und andere Missstände verantwortlich gemacht. Solange im Innern Nordkoreas nicht vergleichbare Prozesse wie in Deutschland und Europa in Gang gesetzt werden, kann es keine friedliche Revolution geben. Meiner Meinung nach trägt auch die Politik der Sanktionen gegen den Norden zum Erhalt des dortigen Regimes bei. Korea spielt auf der weltpolitischen Bühne und in der medialen Berichterstattung eine untergeordnete Rolle.

Was glauben Sie, wie wird der Status quo Koreas von der deutschen Öffentlichkeit aktuell wahrgenommen?

Alexander Pfennig: Ich glaube, was die Menschen hier interessiert und was dann auch berichtet wird, sind die spektakulären Dinge, wie die Raketentests. Andere wichtige Aspekte werden vernachlässigt. Wir werden oft zur Lage in Nordkorea befragt. Doch die Lage in Südkorea ist auch nicht unwichtig. Dort gibt es zwar freie demokratische Wahlen und Regierungswechsel, aber unter den verschiedenen Regierungen gibt es durchaus unterschiedliche Haltungen in der Nordkoreapolitik.

In Deutschland beschränkt sich die Berichterstattung über Korea also auf die militärischen Operationen Nordkoreas?

A.P.: Ja, überwiegend. Denn da ist die Darstellung relativ einfach. Es gibt einen nichtdemokratischen Staat, der den Leuten Angst machen möchte. Ob es dann wirklich so einfach und eindimensional ist, ist eine andere Frage.

W.P.: Die Aufmerksamkeit richtet sich fast immer auf negative und auf als bedrohlich empfundene Ereignisse. Bezogen auf die Bevölkerung gibt es eigentlich nur Berichte über den dort herrschenden Hunger. Dass sich in Nordkorea in den letzten Jahren sehr viel verändert hat, ist nicht medienträchtig. Die Versorgung ist relativ besser geworden und die jungen Leute haben bessere Informationsmöglichkeiten. Der Süden wird überwiegend positiv dargestellt mit seinem K-Pop – der koreanischen Popmusik – und seiner Technologie. Insgesamt ein recht selektives Bild.

Dazu ein Beispiel: In Nordkorea wurden einige Mittelstreckenraketen getestet. Zu einer Zeit, in der Südkorea zusammen mit den USA eine riesige Manöverübung durchführte, mit 85.000 Soldaten und computersimulierten Landungsoperationen im Norden sowie der Eroberung der Hauptstadt des Nordens. In den deutschen Medien wird aber immer ganz selbstverständlich dargestellt: Der Süden ist defensiv, der Norden aggressiv. Das stimmt, ist aber nur ein Teil des Gesamtbildes.

Ihr Forschungsprojekt „Dokumentation zur Deutschen Einheit – Wissenstransfer für Korea“ konzentriert sich auf die Geschehnisse in Deutschland nach 1990. Könnten die damals in Deutschland angestoßenen Prozesse – trotz aller Unterschiede – Korea als Modell dienen?

W.P.: Der Begriff des Modells ist so eine Sache. Ich würde Deutschland als ein Studienmodell bezeichnen, das für Korea interessant ist.

Wie wird die deutsche Wiedervereinigung 1990 in Korea wahrgenommen? Gilt sie als Vorbild, das man nachahmen sollte? Oder ist sie ein abschreckendes Beispiel?

W.P.: Für Nordkorea ist es ein abschreckendes Beispiel. Denn die deutsche Wiedervereinigung bedeutet dort: Einer gewinnt, einer verliert. Für Südkorea ist es ein positives Beispiel, das zeigt: Eine friedliche Wiedervereinigung ist möglich. In den frühen 1990er Jahren herrschte in Südkorea eine positive Haltung zur deutschen Wiedervereinigung vor. Doch spätestens seit der Deindustrialisierung Ostdeutschlands war für Südkorea auch klar, dass ein solcher Prozess für das eigene Land keinesfalls wünschenswert sei. Die wirtschaftlichen Verluste und die Kosten waren in Deutschland, aus südkoreanischer Sicht, viel zu hoch.

Gibt es ein Szenario der Wiedervereinigung für Korea, das vom wirtschaftlich starken und technisch hoch entwickelten Südkorea bevorzugt diskutiert wird?

W.P.: Es gibt sicherlich mehrere. Eine mögliche Lösung wäre eine Konföderation über einen längeren Zeitraum und die Bemühung um Anpassungsprozesse. Das Horrorszenario beinhaltet: Was passiert mit den Atomwaffen bei einem unkontrollierten Zusammenbruch? Und mit den vielen Flüchtlingen? Es ist mir aber noch nicht gelungen, eine konkrete Einschätzung Südkoreas zu bekommen. Teuer wird eine Wiedervereinigung auf jeden Fall, aber sie würde auch die Kosten der Teilung reduzieren. Was in Nordkorea diskutiert wird, wissen wir ohnehin kaum.

A.P.: Auf meinen Reisen nach Südkorea habe ich den Eindruck gewonnen, dass eine Wiedervereinigung für die jungen Menschen heute weniger attraktiv ist als für ihre Vorgängergenerationen. Sie haben keinen direkten Bezug mehr zu den Menschen im Norden. Zum Beispiel für Uniabsolventen dürfte die eigene Zukunft wichtiger sein, als eine mögliche finanzielle Unterstützung von Menschen in dem ihnen unbekannten Norden.

Dennoch ist die südkoreanische Regierung heute an den Erfahrungen Deutschlands interessiert. Wie kam es denn konkret zu ihrer Projektidee, die Prozesse aus Deutschland zu dokumentieren und für Korea zugänglich zu machen?

W.P.: Das Projekt zur Deutschen Einheit wird seit 2010 vom südkoreanischen Vereinigungsministerium gefördert. Es gibt dort zwar unzählige Institutionen, die sich mit dem Thema Wiedervereinigung beschäftigen, aber die Verantwortlichen in Verwaltung und Politik, die den Prozess dann gestalten müssten, wissen zu wenig darüber. So entstand die Idee, für die praktischen Schritte im Falle einer Vereinigung Koreas die Prozesse der deutschen Wiedervereinigung zu dokumentieren und ins Koreanische zu übersetzen. Begleitend kommen Beamtendelegationen Koreas nach Deutschland, um unter anderem von ehemaligen Akteuren der DDR zu lernen. Sie treffen zum Beispiel General von Scheven, der als Vertreter der Bundeswehr gemeinsam mit anderen die Zusammenführung der beiden Streitkräfte in Deutschland bewerkstelligte. Ob, wie und wann etwas aus unserem Projekt in Korea zum Tragen kommt, wissen wir nicht. Doch wenn es zur Annäherung der beiden koreanischen Staaten kommen sollte, werden unsere Ergebnisse interessant und hoffentlich auch relevant sein.



Das Projekt: Dokumentation zur Deutschen Einheit – Wissenstransfer für Korea

Unter der Leitung von Professorin Dr. Eun-Jeung Lee untersucht ein Projektteam am Institut für Koreastudien an der Freien Universität Berlin den deutschen Einigungsprozess seit 1989/90. Das Projekt wird vom südkoreanischen Vereinigungsministerium gefördert. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erstellen Materialbände, in denen sie Problembereiche des Vereinigungsprozesses in Deutschland dokumentieren. Die Ergebnisse werden ins Koreanische übersetzt. Beispielsweise untersuchte das Team die Anpassung und Anerkennung der in der DDR erworbenen Bildungsabschlüsse an das Qualifikationssystem der Bundesrepublik Deutschland.

Eine weitere wichtige Säule des seit 2010 laufenden Projekts bilden Workshops. Regelmäßig kommen deutsche und koreanische Expertinnen und Experten sowie ehemalige und aktive politische Entscheidungstragende für den akademischen und institutionellen Austausch zusammen.

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