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Nie wieder Bienchen und Blümchen

Von Daniel Schrader / 19. Oktober 2018
picture alliance | Christian Ohde

Die Aufklärung von Kindern und Jugendlichen ist Grundlage für ein gesundes Verhältnis zu Körper und Sexualität. Allumfassend behandelt wird das Thema dennoch selten. Ein Problem mit weitreichenden Folgen.

In der letzten Reihe wird gekichert, während vorne an der Tafel der Biolehrer mit leicht gerötetem Kopf versucht, seinen Schülern die Erektion eines Penis so klinisch wie möglich zu erklären. Es scheint ihm weniger um Aufklärung als solche zu gehen, sondern darum, einen Haken an das Thema Sexualkunde im Lehrplan machen zu können. Und damit ist er nicht allein.

Sexuelle Aufklärung ist für Lehrer und Eltern oft eine verzwickte Angelegenheit. Immerhin geht es bei dem Thema nicht bloß um das Beantworten von Wissenslücken. „Sie stehen dann auch als Menschen mit ihrer eigenen Sexualität im Raum“, sagt Jörg Nitschke vom Institut für Sexualpädagogik in Dortmund. Doch ein Ausschweigen oder Ausweichen auf ‚Bienchen und Blümchen‘ ist keine Lösung. Schließlich hat die sexuelle Aufklärung in Kindheit und Jugend einen großen Einfluss auf die Beziehung zu unserem Körper und unserer Sexualität.

Noch immer sehen sich viele mit ihrer Furcht konfrontiert, nicht „normal“ zu sein. Darum brauchen vor allem Kinder und Jugendliche Unterstützung. „Eine unzureichende Begleitung im Finden der eigenen sexuellen Identität kann schwerwiegende Folgen haben“, warnt Nitschke. Das reicht von anhaltenden Identitätskrisen und unglücklichen oder gescheiterten Beziehungsversuchen bis hin zu Depressionen oder gar sexueller Gewalt.

Und wenn Eltern und Lehrer das Thema umschiffen, holen sich die Jugendlichen ihre Antworten auf eigene Faust aus anderen Quellen. Wenn nicht in der Schule oder zu Hause, dann aus dem Freundeskreis oder Internet, was im schlimmsten Fall noch mehr verunsichert als hilft.

Kein Mindestalter für Aufklärung

Wie das Thema Sex im Jahr 2018 am besten angehen? Jörg Nitschke plädiert für Offenheit und Ehrlichkeit. Das funktioniere dann am ehesten, wenn sich Lehrer oder Eltern an die eigene Aufklärung erinnerten und vor Augen führten, was damals gut und was schlecht lief. „So kann man sich besser sortieren und bekommt Verständnis für die Ängste und Unsicherheiten des Gegenübers“, erläutert der Sexualpädagoge. Ehrlichkeit bedeute aber auch, sich Fehler und Unwissenheit einzugestehen. Denn kaum jemand kenne auf alle Fragen eine Antwort. „Wenn ich selbst nicht so ganz genau Bescheid weiß, ist es wichtig, dies auch zuzugeben“, rät Nitschke. Und sich selbst und die jungen Fragesteller bei nächster Gelegenheit weiterzubilden.

Ein Mindestalter für Aufklärung gibt es nicht, lediglich die Art und Weise sollte dem Alter angepasst sein. „Der Mensch ist ein sexuelles Wesen von Anfang an“, erklärt Nitschke. Bereits im Kindergarten erforschten die Kleinen ihren Körper, wobei die Geschlechtsorgane nicht ausgelassen würden. Im Grundschulalter gehe es dann zielgerichteter um Gefühle und Veränderungen des Körpers durch die teilweise schon einsetzende Pubertät.

Vielen Eltern ist eine frühe Aufklärung jedoch ein Dorn im Auge. „Übersexualisierung“ lautet dabei das gerne verwendete Schlagwort. Oft verbunden mit skandalträchtigen Märchen, nach denen Kinder im Unterricht Sexspielzeuge bekämen. Wissenschaftler sehen in dieser Gegenwehr ein falsches Verständnis von Sexualpädagogik. „Sexualpädagogik indoktriniert nicht und stülpt den Kindern und Jugendlichen keine Themen über, die sie nicht selbst mitgebracht haben“, erklärt Nitschke.

Der Mensch ist von Geburt an ein sexuelles Wesen

Dass der Nachwuchs im Alltag ohnehin durch Sexszenen in Filmen oder leicht bekleidete Models in der Werbung ständig mit den Themen Körper und Sexualität in Berührung kommt, scheint keine Rolle zu spielen. Alleine deshalb, sagt Nitschke, sei Schweigen die schlechteste Lösung.

So gut verhütet wie noch nie

Andererseits: Über Themen wie das „erste Mal“ oder Masturbation mit Eltern oder Lehrern sprechen?! Das muss dann auch nicht sein. Abhilfe verspricht das Projekt „Mit Sicherheit verliebt“ der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. Diese besuchen Schüler an weiterführenden Schulen, um mit ihnen auf Augenhöhe über Sex zu sprechen. Der geringere Altersunterschied lockert nicht nur die Atmosphäre auf, sondern verringert auch die Hemmungen, selbst peinliche Fragen zu stellen.

Hannah Lutz koordiniert das Projekt und geht selbst regelmäßig in Schulen. Ein Teil der Projektarbeit findet in geschlechtergetrennten Gruppen statt. „Viele Schülerinnen und Schüler tauen dann auf“, erzählt sie. Beliebte Fragen seien beispielsweise „Warum verhalten sich Mädchen/Jungs so komisch?“ oder „Wie erkenne ich, ob er/sie Sex haben will?“ Dabei moderieren die Studenten nicht nur, sondern beantworten auch persönliche Fragen, die die Schüler an sie richten. „Wenn dann herauskommt, dass ein Teil der coolen Studierenden bei seinem ersten Mal älter als 18 war, spürt man die plötzliche Erleichterung unter den Schülerinnen und Schülern“, berichtet Lutz.

Doch trotz vieler offener Fragen: Jugendliche von heute sind alles andere als unwissend. „Heute schauen wir auf eine Jugend, die so gut verhütet, wie keine Vorgängergeneration“, sagt Jörg Nitschke. Das zeige sich beispielsweise an der aktuell geringen Rate an Teenagerschwangerschaften. Auch dies, so Nitschke, sei ein Erfolg moderner Aufklärungsarbeit.

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