Pass weg als Strafe?
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Noch vor kurzem wurden Forderungen laut, Straftäter*innen mit zwei Pässen in gewissen Fällen die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen. Eine sinnvolle Reaktion auf Kriminalität oder doch nur plumper Populismus?
Man muss im deutschen Grundgesetz (GG) nicht weit blättern, bis man auf Artikel 16 stößt. Dort heißt es bereits im ersten Satz: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ Staatsangehörigkeit hat in unserem Rechtssystem also einen hohen Stellenwert. Wenn sie unfreiwillig entzogen wird, hat das gravierende Folgen und muss entsprechend schwerwiegende Gründe haben. Die Staatsangehörigkeit darf zudem in Deutschland nur entzogen werden, wenn die Person dadurch nicht staatenlos wird, sondern sie noch eine andere Staatsangehörigkeit besitzt. Genau das war jüngst Gegenstand hitziger politischer Debatten.
Das Recht, Teil einer Gemeinschaft zu sein
Doch beginnen wir mit einer Begriffsklärung: Was heißt es eigentlich Staatsbürger*in zu sein? Viele denken dabei wohl zunächst an ihren Personalausweis oder Reisepass. Nicht umsonst ist häufig die Rede davon, einen „deutschen Pass zu haben“. Doch diese Ausweisdokumente bestätigen lediglich, dass es sich bei der entsprechenden Person um eine*n Deutsche*n handelt. Dahinter steckt jedoch viel mehr.
Ganz grundsätzlich bedeutet Staatsbürger*in sein, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Wer deutsch ist, darf in Wahlen darüber mitentscheiden, wer das Land regiert. Nur wer deutsch ist, darf bestimmte Berufe im öffentlichen Dienst ausüben. Wer deutsch ist, dem hilft der Staat bei Problemen im Ausland. Wer in der Bundesrepublik lebt, ohne diese Rechte zu haben, ist somit etwas weniger Teil der Gemeinschaft.
Auch auf das Aufenthaltsrecht hat die Staatsbürgerschaft Auswirkungen. Während Deutsche und EU-Ausländer*innen sich unbegrenzt im Bundesgebiet bewegen dürfen, darf sich zum Beispiel eine US-Staatsbürgerin oder ein Vietnamese nur für eine bestimmte Dauer hierzulande aufhalten. Wer zu lange bleibt, muss befürchten, abgeschoben zu werden.
Wer wie zu welchem Staat gehört
Wie man Staatsbürger*in wird, ist in allen Staaten unterschiedlich. Die zwei häufigsten Varianten des Erwerbs der Staatsangehörigkeit sind der Erwerb durch Abstammung und Geburtsort. Kommt es auf die Abstammung an, wie zum Beispiel in Polen, ist (vereinfacht gesagt) entscheidend, ob die Eltern polnisch sind oder nicht. Beim Geburtsortprinzip, das etwa in den USA (noch) gilt, kommt es darauf an, wo die Geburt stattfand, ungeachtet der elterlichen Nationalität.
In vielen Staaten kommt aber auch ein Mischsystem zur Anwendung, in dem sowohl das Abstammungs- als auch das Geburtsortprinzip eine Rolle spielen, so ist es auch in der Bundesrepublik Deutschland. In manchen Ländern ist es sogar möglich, die Staatsangehörigkeit zu kaufen („citizenship by investment“). Für circa 86.000 Euro kann man sich zum Beispiel in den karibischen Inselstaat St. Lucia “einkaufen“.
Eine weit verbreitete Möglichkeit ist die sogenannte Naturalisation, also die Einbürgerung, durch die eine Staatsangehörigkeit als Ausländer angeeignet werden kann, durch den Nachweis der Sprachfertigkeit und der Integration. Das ist auch in Deutschland möglich und ist unter anderem mit gewissen Integrations- und Sprachanforderungen verbunden.
Zur Strafe Ausbürgerung?
Vor diesem Hintergrund mutet es befremdlich an, wenn Deutsche mit Migrationshintergrund in öffentlichen Debatten herabsetzend als „Passdeutsche“ bezeichnet werden. Denn bloße Abstammung ist, wie oben erläutert, nicht das einzige Kriterium für die deutsche Staatsangehörigkeit und bekanntlich führen auch hier mehrere Wege nach Rom beziehungsweise Berlin. Die Behauptung, deutsch „qua Blut“ zu sein sei irgendwie wertvoller, ist einerseits schlicht rechtlich falsch und andererseits ein diskursiver Irrweg, auf den sich Demokrat*innen nicht begeben sollten.
Ein solches Verständnis schwingt bei den aktuellen Vorschlägen zu Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht jedoch mit. Gefordert wird der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit bei Doppelstaatlern, die sich bestimmter Straftaten schuldig machen. Doch ist die „Ausbürgerung“ wirklich eine sinnvolle Sanktion?
Es wird nur in seltenen Fällen überhaupt verfassungsgemäß anwendbar sein, den Verlust der Staatsangehörigkeit als Strafe einzusetzen, denn in Deutschland gilt das sogenannte Verhältnismäßigkeitsprinzip: Der Staat muss bei seinen Sanktionen das mildeste Mittel wählen, das geeignet ist, um das intendierte Ziel zu erreichen. Das wird in aller Regel mit den klassischen strafrechtlichen Sanktionsmitteln bereits möglich sein, vorzugsweise mit Geld- und Freiheitsstrafen.
Deutsche allerdings für Straftaten zur Persona non grata zu erklären und sie gleich gänzlich aus der Gemeinschaft auszuschließen, ist im Vergleich zu einem Gefängnisaufenthalt nicht nur tiefgreifender, sondern auch noch dauerhaft. Insbesondere würde diese Sanktionsform zudem ausschließlich Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit treffen. Wie lässt sich rechtfertigen, dass Deutsche mit nur einem Pass weniger Konsequenzen für begangenes Unrecht erfahren?
Die in jüngster Zeit laut gewordenen Rufe nach einem neuen Staatsangehörigkeitsrecht verkennen einerseits verfassungsrechtliche Grundprinzipien und zeigen andererseits ein krudes Verständnis von Gemeinschaft. Straftaten zu sanktionieren, ist Aufgabe des Strafrechts und das muss für alle Bürger*innen die gleichen Folgen haben – Doppelstaatler*in oder nicht. Alles andere ist plumper Populismus.