Prävention statt Strafe
Wie kann man Heranwachsende vor einer kriminellen Laufbahn bewahren? Im Verein Gefangene helfen Jugendlichen sensibilisieren ehemalige und aktuelle Häftlinge Jugendliche für die Folgen einer Straftat.
Wegen Kokainschmuggels wurde Volkert Ruhe 1995 zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Absitzen musste er davon sieben. In der berüchtigten Justizvollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel, gemeinhin als „Santa Fu“ bekannt, entwickelte er mit zwei Mitinsassen die Idee, Häftlinge in der Kriminal- und Gewaltprävention für Jugendliche einzusetzen. 2001 gründete er den Verein Gefangene helfen Jugendlichen (GhJ), dessen Geschäftsführer er heute ist.
Neben dem Prototypen in Hamburg ist das Tätigkeitsfeld bereits auf Hannover und Bremen ausgeweitet worden. Seit 2014 ist auch ein Team in Nordrhein-Westfalen im Aufbau. Langfristig soll der Verein bundesweit tätig sein.
Im Dialog mit Häftlingen
Zum Kernbereich des Vereins gehören die JVA-Besuche. Wenn Eltern, Lehrer, Erzieher oder Sozialarbeiter zu kriminell anfälligen Jugendlichen keinen Zugang mehr finden, wenden sie sich an GhJ. Oft geht es um Jugendliche, die bereits eine Straftat begangen haben und am Anfang einer schiefen Laufbahn stehen.
In Begleitung von ehemaligen Häftlingen, die ehrenamtlich für Gefangene helfen Jugendliche arbeiten, treffen die jugendlichen Straftäter in den Anstalten auf aktuell Inhaftierte, die zuvor sorgfältig ausgewählt und geschult wurden. Sexualstraftäter werden von vornherein von diesem Programm ausgeschlossen.
Gefangene, die für GhJ aktiv sind, erleichtern sich selbst die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, eine Win-Win-Situation für beide Seiden. „Früher habe ich in den Tag hineingelebt, gekifft und getrunken“, erzählt der Inhaftierte Manfred, der als ehrenamtlicher Mitarbeiter mitwirkt, in einem Beitrag auf der GhJ-Webseite. „Heute habe ich eine Aufgabe und kann meine Erfahrungen an Jugendliche weitergeben. Die Arbeit gibt mir Stabilität und Halt, um nicht zurückzufallen.“
Im Dialog zwischen Häftlingen und Jugendlichen sollen die Konsequenzen einer Straftat aufgezeigt werden. Dabei geht es um das Leben nach dem Gefängnis, aber auch um die Haftzeit an sich. Diese ist oft geprägt von Frust, Einsamkeit und Gewalt unter Gefangenen.
„Ihr werdet schon die Finger vom Scheißebauen lassen!“
Diese Gespräche bilden ein Konzept, das aufgeht. „Bei einigen Jugendlichen hatte ich den Eindruck, dass der Besuch in Santa Fu sie in ihrem Beschluss, sich von der Kriminalität abzuwenden, endgültig bekräftigt hat“, sagt Diplompädagogin Isabelle Klauck von der Universität Hamburg.
„Ich fand das Projekt sehr nützlich und würde das auch anderen raten, die eine schlechte Vergangenheit hatten“, äußert sich ein Jugendlicher auf der Webseite des Vereins. „Jungs, ich sag es nicht zum Spaß. Geht dahin und ihr werdet schon die Finger vom Scheißebauen lassen!“, lautet ein anderer Kommentar.
„Wir hatten bislang mehr als 5.000 auffällig gewordene Jugendliche zu Besuch in einer JVA“, sagt GhJ-Geschäftsführer Volkert Ruhe. Zwei Drittel dieser Jugendlichen haben sich ganz von der Kriminalität abgewandt oder seien zumindest weniger auffällig geworden. Der Rest habe sich selbst vom ungeschönten Knast-Alltag nicht beeindrucken lassen.
Keine Gewalt zur Abschreckung
„Wir bieten keine Abschreckungsprojekte an, sondern wollen sensibilisieren“, erklärt Volkert Ruhe. Damit grenze sich Gefangene helfen Jugendlichen deutlich von gängigen Präventionspraktiken wie beispielsweise denen in den USA ab. Dort sei es zwar ebenfalls üblich, Jugendliche Gefängnisse besuchen zu lassen. Doch statt eines konstruktiven Austauschs mit den Inhaftierten liege der Fokus eher auf einer besonderen Gewaltdarstellung als Hemmmittel.
Alternativ zum JVA-Besuch können Jugendliche über ein halbes Jahr mit regelmäßigen Treffen mit GhJ-Mitarbeitern individuell betreut werden. Auch Volkert Ruhe erzählt dann in Einzelgesprächen von seiner Vergangenheit.
Störenfriede nicht ausgrenzen
Mit vielen Projekten geht Gefangene helfen Jugendlichen direkt in die Schulen, um Jugendliche zu erreichen. 2015 ist der Verein 77 mal im Rahmen von Präventionsunterrichten tätig gewesen und hat 21 JVA-Besuche mit Jugendlichen organisiert.
„Wir führen Aktionstage zu Suchtprävention, Cybermobbing, Anti-Gewalt-Trainings oder gleich ganze Projektwochen durch“, sagt Ruhe.
„Wenn wir in die Schulen gehen, ist nach drei Minuten klar, wer die Störenfriede in einer Klasse sind“, sagt Ruhe. Wichtig sei dann aber, diese nicht auszugrenzen, sondern mit pädagogischen Mitteln soweit in den Griff zu bekommen, dass der Unterricht nicht beeinträchtigt werde.
Verwahrvollzug hilft nicht nachhaltig
Das in Deutschland angewandte Strafmaß für Jugendliche hält Ruhe für angemessen. Überarbeiten müsse man vielmehr die Art und Weise, wie Jugendliche im Gefängnis behandelt würden.
„Der Begriff Resozialisierung ist dehnbar wie ein Gummiband. In vielen Fällen handelt es sich dann doch nur um einen bloßen Verwahrvollzug“, bemängelt Volkert Ruhe. Straffällig gewordene Jugendliche wegzusperren bringe aber keinen Gesinnungswandel, schließlich hätten sie keinen Schalter, der im Gefängnis einfach umgelegt werde. Eine hohe Rückfallquote sei dann nicht verwunderlich.