DebatteAuf Nachrichten verzichten, der Psyche zuliebe?
Nachrichten beeinflussen unseren Blick auf die Welt – und damit auch unser Wohlbefinden. Kritische Berichterstattung kann im Übermaß auf‘s Gemüt schlagen. Konstruktiver Journalismus soll versuchen, es anders zu machen.
Zuerst waren da die Festnahmen in Sachsen und Polen. Der Bundesanwaltschaft war es gelungen, eine neonazistische Terrorgruppe aufzuspüren. Das ist eigentlich eine gute Nachricht. Aber direkt springt das Kopfkino an. Was wohl passiert wäre, wenn die Sicherheitsbehörden die „Sächsischen Patrioten“ nicht entdeckt hätten?
Danach die Wahl in den USA. Es trat ein, was viele befürchtet hatten: Donald Trump zieht wieder als Präsident ins Weiße Haus ein. Kurze Zeit später zerbricht die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP. Das Bundeskabinett muss sich vorübergehend neu aufstellen, im Februar soll ein neuer Bundestag gewählt werden. Derweil toben die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten weiter.
Der November 2024 mutet uns allen viel zu. Die Negativmeldungen reißen kaum ab und die schiere Nachrichtenflut wirkt überfordernd.
Der Stress hat Folgen: in Deutschland nimmt die Nachrichtenmüdigkeit zu. Dem Reuters Institute zufolge vermied jede:r zehnte Internetnutzer über 18 Jahre im vergangenen Jahr gezielt Nachrichten, 65 Prozent schalten zumindest gelegentlich ab. Auch das Interesse am Tagesgeschehen lässt offenbar deutlich nach: Nur noch knapp die Hälfte der Menschen findet Nachrichten interessant. Vor zehn Jahren war das Interesse noch deutlich größer: 2014 sagten acht von zehn Befragten, sie interessierten sich für das, was in der Welt los ist. Woher kommt die Nachrichtenmüdigkeit?
Von der aktiven Nachrichtensuche zum passiven Konsum
Dazu ein rascher Rundgang durch die deutsche Mediengeschichte. Im 19. Jahrhundert kamen in den Druckereien neue Maschinenpressen auf. Durch die schnellere Produktion wurde die Zeitung nicht nur dicker, sondern konnte auch mehrmals die Woche gedruckt werden. Damit war die Tageszeitung geboren. Bis Ende des Jahrhunderts sollte sie sich als Massenmedium etablieren.
In den 1920er- und 1930er-Jahren bekam die Zeitung Konkurrenz von Radio und Fernsehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte die Bundesrepublik den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in den Achtzigern startete das Privatfernsehen in Westdeutschland.
In den 1990er-Jahren wurde dann das gesamte System durchgerüttelt. Das Internet, der Computer und später das Smartphone stellten schlichtweg alles auf den Kopf: Die Menschen müssen seit der Digitalisierung die Nachrichten nicht mehr selbst suchen – die Nachrichten kommen jetzt quasi von selbst zu den Menschen.
Es blinkt, es pusht, es eilmeldet: Inzwischen erfahren wir in Echtzeit, was in der Welt geschieht. Man muss nicht mehr warten, bis um 20 Uhr der Gong der Tageschau ertönt oder die Zeitung im Briefkasten liegt, sondern kann schon übers Smartphone verfolgen, was es Neues gibt. Kurznachrichtendienste wie X, Mastodon oder Threads sind dabei oft sogar schneller als die Nachrichtenagenturen.
Das macht den Medienkonsum natürlich einerseits sehr bequem. Aber bei vielen Menschen erzeugt diese Schnelligkeit enormen Stress und Überforderung. Ein Grund dafür könnte sein, wie Nachrichten heutzutage präsentiert werden.
Kritiker:innen sagen, der klassische Journalismus habe einen Negativdrall, nach dem Motto: Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Das eine Flugzeug, das abstürzt, sei eine Meldung wert, die tausend anderen, die jeden Tag sicher landen, eben nicht. Tatsächlich zeigen Studien, dass Journalist:innen ein pessimistischeres Bild von der Welt haben als die Gesamtbevölkerung. Ähnlich sieht es auf der Nutzer:innenseite aus. Eine Online-Umfrage unter 1.100 US-Amerikaner:innen hat ergeben, dass Menschen mit hohem Medienkonsum häufiger mit körperlichen und psychischen Belastungen zu kämpfen haben als diejenigen, die weniger fernsehen oder die Tageszeitung abbestellt haben.
Ist konstruktiver Journalismus die Lösung?
Einige Medien denken deswegen um. Sie wollen häufiger über Lösungen berichten statt ausschließlich über Probleme, um ein vollständigeres Bild zu vermitteln. Diese Richtung nennt sich konstruktiver Journalismus.
Der konstruktive Journalismus bricht nach eigener Angabe mit der Idee, dass nur Negatives berichtenswert sei. Das bedeutet nicht, dass die Berichterstattung unkritisch ist oder nur noch Wohlfühlnachrichten bietet. Probleme und Kritik werden mitberichtet, im Fokus stehen aber die Lösungsansätze, so der Ansatz. Also nicht nur über die Klimakrise berichten, sondern vor allem über Klimaschutz. Den Mediennutzer:innen soll dadurch ein zukunftsorientiertes Bild vermittelt werden.
Die Recherche wird idealerweise ausführlicher, die Artikel und Fernsehbeiträger länger, die Zahl an Veröffentlichungen entschleunigt. All das soll den Menschen nicht mehr das Gefühl vermitteln, dass alles immer schlechter wird, sondern dass es sich lohnt, Probleme anzupacken und nach Lösungswegen zu suchen. Konstruktiver Journalismus verspricht somit, eine Weltwahrnehmung zu schaffen, die nicht überfordert und lähmt, sondern aktiviert und empowert. Ob die Leute aber genug Zeit und Energie aufbringen, die längeren Artikel zu lesen anstatt die kurzen Push-Nachrichten, ist fraglich. Deswegen wird sich noch zeigen müssen, ob das der Weg ist, aus der Nachrichtenmüdigkeit herauszukommen.