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DebatteSicherheitspolitik im Schatten des Terrors?

Von Steffen Haake / 1. April 2016
Foto: Steffen Haake

Die Anschläge von Paris und Brüssel zeigen: Der Terror rückt immer näher. Anschläge finden vor unserer Haustür statt. Doch leben wir wirklich in gefährlichen Zeiten?

Die Zahlen sprechen dagegen, dass der Terror uns heutzutage in Europa näher ist als früher. Laut Global Terrorism Database gab es in den 1970er und 1980er Jahren um ein Vielfaches mehr Terroropfer in Westeuropa als heute. Städte in Westeuropa sind außerdem weit weniger häufig Opfer von Terrorattacken als Städte in Ländern Nordafrikas oder in den Krisenregionen Afghanistans und Georgiens.

In Deutschland hat es noch keinen Anschlag der Terrormiliz IS gegeben. Dennoch ist die Sorge davor groß. Rechtsmotiviertem Terror wird dagegen vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt – und das trotz Schreckenstaten wie der des Rechtsextremen Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 Menschen, überwiegend junge Sozialdemokraten, tötete. Die Anschlagsserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und die Verstrickung des deutschen Verfassungsschutzes in diesen ist noch immer nicht aufgeklärt.

Warum fürchten wir den IS so sehr?

Woher kommt der Eindruck, machtlos gegenüber dem IS zu sein?

Die Risikogesellschaft

Der Soziologe Ulrich Beck formulierte als Reaktion auf die Terroranschläge des 11. September 2001 das Konzept der Risikogesellschaft. Er argumentiert, dass es keine absolute Sicherheit gebe und Terroranschläge dies den ansonsten in großer Sicherheit lebenden Gesellschaften des Westens vor Augen führe.

Beck argumentiert, im Zuge der Moderne sei eine Transition von der Industrie- zur Risikogesellschaft erfolgt. Das früher sagbare Narrativ der Politik sei einst das Erreichen von Gutem gewesen, heute aber sei es das Verhindern von Schlechtem.

Laut Beck gibt es massive Risiken in der Gesellschaft: von der realen Bedrohung des Klimawandels bis zum globalen Terrorismus. Dennoch sei es Sache der Medien und der Politik, welche Risiken wie behandelt würden. Die verzerrte Darstellung der Presse führe zu einer schiefen Wahrnehmung von Risiken. Dieses Bild lasse uns machtlos gegenüber Terroristen wie denen des IS erscheinen. Der Wunsch nach absoluter Sicherheit sei unendlich, gleichzeitig aber nicht zu befriedigen. In der individualisierten Wohlstandsgesellschaft sei Sicherheit so zum Komplex der Moderne geworden.

Che Guevara, RAF und IS

Ist der Terror des IS, wie er zuletzt in Paris und Brüssel, aber auch in Ankara, Tunis und vielen anderen Städten der Welt aufgetreten ist, eine neue Erscheinung? Elie Tenenbaum, Dozent für Guerilla-Kriegsführung an der Pariser Grande École Sciences Po, widerspricht: „Die Form von Terrorismus, wie sie der IS praktiziert, ist keineswegs neu. Che Guevara schrieb ein Buch darüber und wandte ihn in seinen Guerilla-Kriegen zur Befreiung von Kolonialmächten in Ländern wie Kuba und Bolivien an.“

Schon der französische Intellektuelle Régis Debray habe ausgeführt, wie es sowohl Che Guevara auf Kuba als auch der südvietnamesischen kommunistischen Nationalen Befreiungsfront, den Vietkong, immer darum ging, einen übermächtigen Gegner mit begrenzten Ressourcen zu zermürben.

„Während des Deutschen Herbsts in den 1970er Jahren hat auch die Rote Armee Fraktion (RAF) versucht, die BRD mit gezielten Anschlägen in die Knie zu zwingen“, sagt Tenenbaum. Das Ziel sei gewesen, das Wesen des deutschen Staates als illiberal zu entlarven und die Menschen in Angst zu versetzen. Durch letztlich besonnenes Handeln des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt sei dies aber trotz aller Kritik am Vorgehen während dieser großen Belastungsprobe nicht gelungen. „Heute wird Westeuropa jedoch nicht mehr durch linksmotivierte Terroranschläge erschüttert, sondern neben rechtsmotiviertem Terror des NSU besonders auch durch religiöse Fundamentalisten“, meint Tenenbaum. So unterschiedlich die Motivationen auch sind, so ähnlich sind die Vorgehensweisen.

Europa reagiert – aber wie?

Es scheint, als habe der IS-Terror in Europa bereits Etappensiege errungen: In Umfragen steigen die Zustimmungswerte für rechte Parteien wie AfD oder Front National.

Frankreichs Präsident Hollande reagierte auf die Pariser Anschläge mit Luftangriffen in Syrien, obwohl die Täter, wie auch bei den Brüsseler Attentaten, aus Europa kamen. Innenpolitische Probleme wie die wachsende Ungleichheit oder die gescheiterte Integrationspolitik in den Banlieues des postkolonialen Frankreich werden durch Außenpolitik verdrängt. Der État d’Urgence, der Ausnahmezustand, wurde nach Brüssel auf unbestimmte Zeit verlängert.

In Ungarn ist Ministerpräsident Orbán schon etliche Schritte weiter gegangen: Terrorismus dient ihm zur Rechtfertigung des Aufbaus eines illiberalen Staates. Ágnes Heller, eine in Ungarn einst vor den Nazis, später vor den Kommunisten geflohene, jüdischstämmige Philosophin, sagt: „Mitten in der EU hat Orbán das Gegenbild des liberalen Europas errichtet. Er hat eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament und schränkt Freiheiten systematisch ein. Hier kann man sehen, was aus einer tief gespaltenen Gesellschaft werden kann.“

Die Bevölkerung lasse sich leicht verführen, wenn Populisten mit Angst und Sicherheitsbedürfnissen spielten. Aber: „Das Versprechen der Rechten auf absolute Sicherheit zu Lasten von Freiheitsrechten ist ein falsches.“

 

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Pro | Absolute Sicherheit gibt es nicht 

Contra | Nicht weniger Sicherheit, sondern neue Methoden



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