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DebatteCONTRA: Die Mauer im Kopf ist weg

Von kamilachilewski / 15. Mai 2014
picture alliance / dpa | Maurizio Gambarini

Ossi oder Wessi – 25 Jahre nach dem Mauerfall wird nicht mehr ernsthaft in diesen Kategorien gedacht. Deshalb müssen wir uns auch nicht mehr ständig an die Prozesse der Wiedervereinigung erinnern und erinnern lassen. von Vera Kern Wer heute seinen Bachelorabschluss macht, ist meist ein Post-Wende-Kind. Nach 1989 in ein vereintes Deutschland geboren. Für viele […]

Ossi oder Wessi – 25 Jahre nach dem Mauerfall wird nicht mehr ernsthaft in diesen Kategorien gedacht. Deshalb müssen wir uns auch nicht mehr ständig an die Prozesse der Wiedervereinigung erinnern und erinnern lassen.

von Vera Kern

Wer heute seinen Bachelorabschluss macht, ist meist ein Post-Wende-Kind. Nach 1989 in ein vereintes Deutschland geboren. Für viele Studenten stellt sich die Ossi-Wessi-Frage der Herkunft nicht mehr. Freunde finden sich vor allem über gemeinsame Interessen.

Wirklich entscheidend ist heute nicht, wo jemand aufgewachsen ist, sondern wie: Sozialisierung geht über geographische Herkunft. Man ist befreundet, weil man den gleichen Musikgeschmack hat oder vegan lebt, durch Lateinamerika getrampt ist oder gerne an Felsen klettert.

Ossi-Wessi-Denken: Eine Generationenfrage

Ossi oder Wessi? Für die jüngere Generation, die ein Leben ohne Reisefreiheit, Konsumüberfluss und demokratische Grundwerte nicht mehr kennt, ist das keine geschichtsträchtige Unterscheidung mehr. Die gesamtdeutsche Identität steht nicht zur Debatte.

„Die weltanschaulichen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind immer geringer geworden“, stellt Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach fest. Dennoch können vor allem ältere Menschen das sozialistische Weltbild, das ihnen in der DDR antrainiert wurde, nicht einfach an der Garderobe abgeben.

Aber ihre Kinder hinterfragen dieses Denken. Wenn die eigenen Eltern in einer anderen Welt groß geworden sind, kommt es zu Generationenkonflikten – eine Erfahrung, die für jede erste Generation gilt, die nach dem Ende einer Diktatur in ein demokratisches Land geboren wird. Eine vergleichbar große Kluft zwischen Jung und Alt gab es nach dem Ende der NS-Zeit. „Wir erleben in Ostdeutschland jetzt das, was wir in Westdeutschland in den 60er Jahren erlebt haben“, so Petersen.

Nicht alles rosig – aber ein Volk

Natürlich ist das Zusammenwachsen des „neuen“ und „alten“ Deutschlands auch deshalb nicht reibungslos verlaufen. Von den einst versprochenen „blühenden Landschaften“ sind in so manchem neuen Bundesland heute wenn überhaupt ein paar hübsch restaurierte Fassaden geblieben. In Ostdeutschland ist die Arbeitslosigkeit immer noch höher als im Westen, jeder dritte Bewohner der ehemaligen DDR gilt einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge als ausländerfeindlich, regelmäßig streiten Politiker über Solidarpakt und Länderfinanzausgleich.

Dennoch ist die Mauer im Kopf heute ein Relikt aus den 1990er Jahren. 25 Jahre nach dem Mauerfall ist sie weitestgehend durchbrochen. „Die Deutschen haben sich immer als ein Volk gefühlt“, sagt Meinungsforscher Petersen, der die deutsch-deutschen Beziehungen schon lange beobachtet. Die Mehrheit der Deutschen ist der Ost-West-Debatte überdrüssig, lautet das zentrale Ergebnis einer repräsentativen Allensbach-Studie. „Das Misstrauen gegenüber der jeweils anderen Seite hat sich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten stark zurück gebildet“, sagt Petersen.

Besser-Wessi und Jammer-Ossi sind passé

Wer jetzt von Ost nach West oder von West nach Ost umzieht, nimmt zwar seinen „Migrationshintergrund“ mit – genauso wie der Niederbayer, den es an die Nordsee verschlägt. In der Regel klappt das neue Zusammenleben jedoch ganz gut.

„Es gab nie ernsthafte Zweifel am Gefühl der Einheit“, sagt Petersen. Selbst in der schwierigen Umbruchphase Anfang der 1990er Jahre nicht. Die Stereotype vom Jammer-Ossi und Besser-Wessi mag es laut Petersen teilweise immer noch geben. „In Umfragen kann ich sie noch abrufen“, so der Meinungsforscher: „Aber das geht alles nicht wirklich tief.“

Mögliche Skepsis löst sich spätestens dann auf, wenn Ost- und Westdeutsche persönlichen Kontakt miteinander haben. Petersen: „Das ist ein ähnliches Phänomen wie bei der Ausländerfeindlichkeit: Die ist überall dort besonders stark, wo es keine Ausländer gibt.“

Das deutsch-deutsche Wir-Gefühl wächst

Wer sich die politische Spitze Deutschlands anschaut, merkt ohnehin schnell, wie angestaubt die Ost-West-Schere im Kopf ist. Mit Angela Merkel regiert eine Bundeskanzlerin aus Ostdeutschland – schon die dritte Amtsperiode in Folge. Auch Bundespräsident Joachim Gauck hat eine DDR-Vergangenheit. Diese betont er sogar bewusst, wenn er über die Errungenschaft der demokratischen Freiheit nach dem Ende des SED-Regimes spricht. Doch Gauck ist vor allem eines: Bundespräsident aller Deutschen. Es ist schlicht Realität, dass Ostdeutsche wie Westdeutsche dieses Land gestalten.

Damit das deutsch-deutsche Wir-Gefühl auch weiter wächst, braucht es keine verklärende Ostalgie. Es hilft weder, die Vergangenheit zu romantisieren, noch sie in Geschichtsbücher zu verbannen. Was vor allem wichtig ist: Ein klares Ja zur gemeinsamen Geschichte. Denn Deutschland, das ist im Jahr 2014 eine Patchworkfamilie aus Ostdeutschen und Westdeutschen, aus Hiergeborenen und Zuwanderern. Ein vielfältiges Land mit unterschiedlichen Lebensentwürfen und Biografien. Ob im Reisepass nun als Geburtsort Düsseldorf oder Dresden steht – diese Ossi-Wessi-Kategorien sind inzwischen Geschichte.

4 Antworten auf „CONTRA: Die Mauer im Kopf ist weg“

  1. Von Tillman Bästlein am 21. Mai 2014

    Ich danke Frau Kern für diesen überaus positiven Befund!
    Ich denke, das Thema Deutsche Einheit wird von den Generationen unterschiedlich reflektiert: für die Jüngeren ist es kein Thema mehr, über das man sich bei einem Grillabend auseinander dividiert, für die Jahrgänge der über 50 Jährigen hingegen schon: hier erlebe ich noch sehr viel Emotionalität und Verletzung, wenn es Z.B. um die Bewertung der DDR geht.
    Bücherneuerscheinungen sind für Debatten immer ein sehr gutes Kaleidoskop. So sind für den Herbst mindestens schon 2 Bücher angekündigt worden, die sich mit dem Thema „Westdeutsche im Osten“ befassen. Da geht es um Fremdheit und den Schwierigkeiten, in Ostdeutschland anzukommen.
    Da sollten sich die Ostdeutschen schon wirklich mal an die Nase fassen – ja, es sind nicht nur die Westdeutschen, die vorurteilsbeladen sind!!

  2. Von FräuleinLee am 21. Mai 2014

    Erhlich gesagt, ist mir dieser Beitrag zu weichgezeichnet!! Ich bin selbst Westdeutsche und treffe auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung immer wieder auf Vorbehalte Seitens der Ostdeutschen.
    das will ich hier mal gesagt haben!

  3. Von Anja Hofmann am 21. Mai 2014

    Ich habe da andere ERfahrungen: ich finde 25 Jahre nach der Wiedervereinigung sind wir eigentlich da , wo wir sein sollten: nämlich „zusammen“, jedenfalls erlebe ich das in Berlin so. Da fragt doch keiner mehr: woher kommst du, aus Ost oder West. Da geht es eher um Alltag oder aktuelle politische Themen in den Gesprächen. Wir sollten uns auch nicht so groß mehr mit der Frage aufhalten, was Ost und West trennt, sondern was uns eint: und das ist doch z.B. Europa und seine neue/ alte Erzählung.

  4. Von Peter Lange am 23. Mai 2014

    Ich finde, es kommt sehr darauf an, wo man lebt: natürlich in Berlin, da leben die Zugezogenen, da ist Ost und West gemischt.
    Aber fahr mal in die Bayrische Provinz oder ins Mecklenburger Land – da hört man dann schon mal Dinge wie: mit denen da drüben wollen wir nichts zu tun haben.

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