DebatteKönnen Filme historischen Ereignissen gerecht werden?
Wie echt können Filme sein? Eine Auseinandersetzung mit dem Spektrum der Geschichte im Film.
„Was auch immer wir produzieren, wird eine ganze Generation als historische Wahrheit akzeptieren“, sagte Regisseur James Cameron nach dem Dreh von „Titanic“. Diese Aussage verdeutlicht die Macht des Films, historische Narrative zu formen, aber auch die potenziellen Gefahren, die damit einhergehen.
Historische Filme sind kein Phänomen unserer Zeit. Bereits 1915 wurde mit dem US-amerikanischen Stummfilm „The Birth of a Nation“ über den Amerikanischen Bürgerkrieg ein Meilenstein in der Darstellung historischer Ereignisse auf der Leinwand gesetzt.
Einblicke in das Leben von Oppenheimer und Gandhi
Seither sind Filme ganz besonders beliebt, die mit der Charakterisierung „nach einer wahren Geschichte“ oder „beruhend auf wahren Begebenheiten“ beworben werden. Ein Beispiel ist der biografische Spielfilm „Oppenheimer“ (2023)über die Lebensgeschichte von Robert Oppenheimer, dem Erfinder der Atombombe. Solche Filme versuchen, das Leben und die Lebensleistung historischer Persönlichkeiten möglichst genau nachzuzeichnen.
Sie bieten Einblicke in das Leben von Menschen wie Oppenheimer oder Mahatma Gandhi, basierend auf den verfügbaren historischen Aufzeichnungen. Die Popularität solcher Filme ist groß – gerade wegen der vermeintlichen Authentizität. Denn auch wenn das Ziel ist, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen, so bleibt die Darstellung doch immer eine Interpretation, die von den subjektiven Entscheidungen der Filmemacher und den Quellen, die sie in ihrer Recherche verwenden, geprägt ist.
Und damit stellen sich weitere Fragen: Wer schreibt Geschichte? Welche Stimmen wurden überliefert, welche fehlen?
Realität und Fiktion im Film sind nie klar voneinander zu trennen. Sie bewegen sich vielmehr innerhalb eines Spektrums, das vom detailgetreuen Nachstellen historischer Ereignisse bis hin zur kreativen, plausiblen Imagination vor historischer Kulisse reicht. Filme bieten einen Einblick in vergangene Welten, die vielleicht so existiert haben könnten, aber nicht mehr rekonstruierbar sind. Verschiedene Filmgenres gehen dabei unterschiedlich mit historischen Fakten um.
Das Zusammenspiel von Realität und Fiktion
Dokumentarfilme sind der Realität dabei am nächsten. Sie verwenden echtes Filmmaterial, Interviews mit Zeitzeugen und Experten sowie nachgestellte Szenen, um historische Ereignisse möglichst realistisch darzustellen. Ein Beispiel hierfür ist „Apollo 13“(1995), ein Film, der sich bemüht, die Ereignisse um die gleichnamige Weltraummission so genau wie möglich wiederzugeben. Doch auch hier wird die Realität durch die Erzählstruktur des Films gefiltert.
Historienfilme wie Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ (1993), basieren ebenfalls auf realen Personen und Ereignissen, nehmen sich aber oft dramatische Freiheiten in der Darstellung. Der Film erinnert an Oskar Schindler, der während des Zweiten Weltkriegs Juden in seiner Fabrik beschäftigte und später ihr Leben rettete. Auch wenn sich „Schindlers Liste“ eng an historischen Fakten orientiert, bleibt es eine Interpretation, die auf der Leinwand durch Schauspieler zum Leben erweckt wird. Alles beruht auf Geschichtsbüchern und historischen Schriften – Quellen, die selbst interpretativ und selektiv sind.
Das Zusammenspiel von Realität und Fiktion wird auch deutlich beim eingangs erwähnten Film „Titanic“, der reale historische Ereignisse als Ausgangspunkt nutzt, aber fiktive Elemente einer Liebesgeschichte beimischt. Auch „Gladiator“ erzählt vor historischen Kulissen fiktive Geschichten. Filmemacher entscheiden sich dafür, um Spannung und Unterhaltung zu erzeugen. Der historische Kontext wird zur Bühne für zwischenmenschliche Konflikte.
Ein weiteres Filmgenre, das seinen Ausgangspunkt in einem historischen Ereignis nimmt, sind die alternativgeschichtlichen Filme. In diesen wird spekuliert, wie die Geschichte hätte verlaufen können, wenn bestimmte Dinge anders verlaufen wären. Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ (2009) ist ein prominentes Beispiel.
Doch nicht nur Filme, die historische Ereignisse direkt zum Thema haben, tragen zum kollektiven Gedächtnis bei. So können auch Serien aus den 1980er Jahren ein Dokument ihrer Zeit sein und das Bild dieser Epoche prägen. Selbst wenn solche Werke nicht als historisch im engeren Wortsinn gedacht waren, reflektieren sie die kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Entstehungszeit.
Durch die Vergangenheit die Gegenwart verstehen
Eines sollten sich Zuschauer bewusst machen: Menschen neigen dazu, das, was sie auf der Leinwand sehen, als Wahrheit zu akzeptieren. Es ist das Phänomen des „impliziten Photorealismus“: Zuschauer vergessen, dass sie Schauspieler in Kostümen an einem Filmset sehen – und nicht die echten historischen Figuren oder Ereignisse.
Für Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann sind die Medien Träger des kulturellen Gedächtnisses. Ihr Entwicklungsstand beeinflusse auch die Art, wie sich das Gedächtnis einer Gesellschaft formt. In diesem Zusammenhang lässt sich der Boom der Historienfilme dem deutschen Regisseur Wolfgang Becker zufolge auch dadurch erklären, dass sich der Mensch gerne mit der Vergangenheit auseinandersetzt, um die Voraussetzungen der Gegenwart zu verstehen. Das Anschauen eines Films sei wie eine Zeitreise, die dem Zuschauer das Gefühl gibt, vergangene Ereignisse hautnah mitzuerleben. Und solange es keine Zeitmaschinen gibt, bleibt uns nichts anderes übrig, als sich mit den vorhandenen Möglichkeiten der Information und der Imagination der Wahrheit beziehungsweise der Realität zu nähern.