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DebatteKommen, um gerettet zu werden?

Von Sara Kenderes / 30. April 2024
picture alliance / Jan Haas | Jan Haas

Seenotrettung steht immer wieder in der Kritik, irreguläre Migration zu fördern. Doch ist an dieser Befürchtung wirklich etwas dran? Während sich Seenotrettungsorganisationen vehement gegen die Anschuldigung wehren, weisen manche Studien in eine andere Richtung.

„Ob es Seenotrettung gibt oder nicht, hat keinen Einfluss darauf, wie viele Menschen kommen, es hat nur Einfluss darauf, wie viele sterben“, sagt Julia Winkler von der Menschenrechtsorganisation Borderline Europe.

2.500 Menschen sind alleine im Jahr 2023 bei der Flucht über das Mittelmeer ums Leben gekommen, der tödlichsten Fluchtroute der Welt. Das konnten auch zivile Seenotrettungsorganisationen wie Jugend Rettet, Sea-Eye oder Sea-Watch nicht verhindern, die allesamt aus Deutschland kommen.

Der Bundestag fördert die zivile Seenotrettung zwar in den kommenden vier Jahren mit acht Millionen Euro, doch die italienische Regierung spricht sich gegen finanzielle Hilfen aus.

Wird Altruismus zur Straftat?

Während Italien daher die Strafen für Seenotretter*innen bereits erheblich verschärft hatte, konnte in Deutschland ein Formulierungsvorschlag für eine Änderung des Paragraphen 96 des Aufenthaltsgesetzes verhindert werden. Der Formulierungsvorschlag, den 55 Seenotrettungs- und Hilfsorganisationen im Herbst 2023 scharf kritisiert hatten, hätte zur Folge gehabt, dass in Teilen als altruistisch wahrgenommene Seenotrettung zur Straftat geworden wäre. Dies konnte abgewendet werden, allerdings ist die Formulierung des Gesetzes immer noch nicht eindeutig geklärt.

Solange die Gesetzeslage weiterhin nicht den Schutz von Seenotretter*innen garantierten, ließen sich Verfahren gegen diese einleiten, welche oftmals politisch motiviert seien, so die Kritik. Die Folge: Selbst wenn ein Gericht die Angeklagten am Ende freispricht – der gerichtliche Prozess kann zur großen Belastungsprobe werden, wie es schon in Italien bei dem unter niederländischer Flagge schwimmenden, weltbekannten Schiff Iuventa der Fall war. Seit August 2017 liegt das Schiff im Hafen von Trapani im Nordwesten Siziliens, beschlagnahmt von den italienischen Behörden.

Absprachen mit Schleusern?

Der Iuventa-Crew, seit 2016 ein Rettungsschiff der Berliner NGO Jugend Rettet, wurde „Beihilfe zur irregulären Einreise“ vorgeworfen. Es solle Zusammenarbeit mit Schleusern gegeben haben, bis zu 20 Jahre Gefängnis hätten die Crew-Mitglieder dafür bekommen können. Nach sieben Jahren wurden jetzt im April sämtliche Anschuldigungen fallen gelassen – trotzdem kostete das Verfahren die Crew etwa 800.000 Euro.

In letzter Zeit gerät die Arbeit der zivilen Seenotrettung in Europa zunehmend ins Visier. Auch der gesellschaftliche Diskurs darüber hat sich verhärtet. Die Annahme, dass Seenotrettung zu mehr irregulärer Migration führen würde, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Ein Schiff wird kommen?

Kritikerinnen der Seenotrettung äußern Bedenken, dass Migrantinnen die gefährliche Reise nur deshalb auf sich nehmen würden, weil sie im Vorhinein damit rechneten, dass ein Rettungsschiff wie die Iuventa sie im Zweifelsfall finden würde.

Wissenschaftlich betrachtet stehen diese sogenannten Pull-Faktoren im Fokus: „Anziehende Umstände“, beispielsweise Sozialleistungen in Deutschland oder auch die Seenotrettung, bringe Menschen erst zur Migration. Push-Faktoren wie Naturkatastrophen werden bei dieser Betrachtungsweise in den Hintergrund gerückt.

Doch die Unterscheidung von Push- und Pull-Faktoren wird vor allem von links nicht akzeptiert. Schließlich wirkten die meisten Pull-Faktoren nur dann, wenn bereits ausreichend Push-Faktoren vorhanden seien, so die Argumentation. Denn die wenigsten Menschen dürften sich aus rein positiven Gründen dafür entscheiden, ihr Heimatland und ihre Familie zu verlassen, um langfristig und oft alleine in einem fremden Land zu leben.

Push over Pull?

Insgesamt bestätigen etliche wissenschaftliche Arbeiten, dass die Anzahl der Geflüchteten eher von Push-Faktoren als von der Präsenz von Rettungsschiffen abhinge. Die Zunahme von Migrationsströmen liege demnach vor allem an der Verschlechterung der politischen oder wirtschaftlichen Situation im Herkunftsland.

Das Dossier „Sea Rescue NGOs: A Pull Factor of Irregular Immigration?“ von Eugenio Cusumano und Matteo Villa hat die Migrationsströme von Libyen nach Italien zwischen 2014 und 2019 untersucht. Dabei konnte „kein Zusammenhang zwischen der Präsenz von NGOs auf See und der Anzahl der Migrant*innen [gefunden werden]“.

Führen Rettungsschiffe zu Schlauchbooten?

Zu anderen Ergebnissen kommt die Studie „Migrants at Sea: Unintended Consequences of Search and Rescue Operations“ von Claudio Deiana, Vikram Maheshri und Giovanni Mastrobuoni. Dort konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die verstärkte Präsenz von Rettungsschiffen dazu geführt haben könnte, dass Schleuser stabilere Holzboote bewusst durch untaugliche Schlauchboote ersetzt hätten. Laut der Deutschen Welle (DW) teilen viele Forschenden die Ansicht, dass die Rettungsschiffe eher einen Einfluss auf die Entscheidungen der Schleuser als auf die der Flüchtenden haben.

Als Fazit zum aktuellen Stand der Diskussion bleibt: Noch ist die Wissenschaft an dieser Stelle nicht zu abschließenden Ergebnissen gekommen. Julian Wucherpfennig, Professor an der Hertie School of Governance in Berlin, erklärt, dass es aufgrund der schlechten Datenlage und der komplexen Fragestellung kaum belastbare Forschung gebe. „Das ist so, als würde ich untersuchen, ob die Anzahl von Bademeistern eine Auswirkung auf die Anzahl von Badenden hat.“



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