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ProAuch die Kunst braucht Grenzen

Von Lena Gerhard / 31. Oktober 2024
picture alliance / dpa Themendienst | Andrea Warnecke

Unter dem Deckmantel der Kunst- und Meinungsfreiheit treten manche Künstler:innen nach unten und befeuern damit Diskriminierung.

„Warum wird jetzt so eine Welle gemacht?“, fragen sich viele ältere Leute in der Unterhaltungsbranche, wenn sich mal wieder jemand über marginalisierte Randgruppen lustig gemacht hat. Gerade dort trifft politische Korrektheit auf Widerstand: Das schien doch früher nie ein Problem gewesen zu sein! 

Klar ist: Der Zeitgeist ändert sich stetig und die Gesellschaft schaut heute anders auf Themen als noch vor dreißig Jahren. Besonders die junge Generation hat ein ausgeprägtes Gespür für „political correctness“, also für ein politisch-moralisch einwandfreies oder gemeinhin akzeptiertes Verhalten. Sie scheut auch nicht davor zurück, diejenigen an den Pranger zu stellen, die das ignorieren oder verletzen.

Ein Beispiel: Bei den diesjährigen Paralympics sorgte der deutsche Comedian Luke Mockridge für Aufsehen, weil er geschmacklose Witze über Sportler:innen mit Behinderungen machte. „Da hört der Spaß auf!“ – hieß es in den Medien. Tatsächlich hat Humor Grenzen.

Ein komödiantisches Programm fällt zwar grundsätzlich unter die künstlerische Freiheit. Sie zählt, so das Bundesverfassungsgericht, zu den Kommunikationsgrundrechten und gilt als wesentlich für eine demokratische Grundordnung. Die künstlerische Freiheit ist in Artikel fünf des Grundgesetzes über die Meinungsfreiheit geregelt. Nach ihr hat jeder Mensch das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild zu äußern und zu verbreiten – frei und unzensiert.

Diskriminierung unter humoristischem Deckmantel

Doch bei allem Recht auf freie Meinungsäußerung muss sich die Kunst dennoch an den moralischen Maßstäben der Gesellschaft orientieren. Jenseits von Sitte und Anstand Witze über Herkunft, Religion, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Behinderung zu machen, ist in unserer heutigen Zeit moralisch gesehen unvertretbar. Der Deutschen Antidiskriminierungsstelle zufolge steigt die Zahl der jährlichen Diskriminierungsfälle seit 2020 bedenklich stark an. 2023 waren es beinahe 11.000 gemeldete Fälle – die Dunkelziffer wird noch höher liegen. Indem Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Behinderten- und Queerfeindlichkeit unter dem Deckmantel von Humor stattfinden, toleriert wird und konsequenzlos bleibt, wird suggeriert, dass das schon okay sei.

Natürlich ist es richtig, dass Satire schon immer gerne Grenzen ausgetestet und Schambesetztes enttabuisiert hat. So wird heute z.B. offen über Sex-Pannen gescherzt, während das Thema früher als vulgär galt und niemand darüber sprach. Durch geschmacklose Witze über marginalisierte Personengruppen sehen sich manche Leute jetzt aber unter Umständen sogar darin bestärkt, Hass und Mobbing in den sozialen Netzwerken gegen marginalisierte Personengruppen zu verbreiten. Einer Enttabuisierung von Witzen, die nach unten treten und sich gegen die Schwächsten einer Gemeinschaft richten, muss Einhalt geboten werden.

Künstler:innen haben zudem eine Vorbildfunktion und deshalb auch eine besondere Verantwortung. Sie stehen mit ihrer Kunst in der Öffentlichkeit und beeinflussen damit die Weltanschauungen der Menschen.

Die Verantwortung, die sie tragen, wird umso bedeutsamer, wenn Künster:innen Geld mit dieser Form der Unterhaltung verdienen. Nicht zuletzt wird mit Stand-Up-Shows und Fernsehsendungen wirtschaftlicher Profit aus etwas geschöpft, was andere Menschen unter Umständen verletzt. Die Qualität von Humor hängt nicht davon ab, ob er andere Menschen demütigt. Im Gegenteil: Gute Satire schafft es, lustig zu sein, ohne dabei Andere zu kränken.

Die gefährliche Macht des Idols

Aber es ist nicht nur eine Frage der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Kunst. Der Fall Rammstein zeigt vielmehr, dass es schwierig ist, Künstler:innen moralisch von ihren Werken zu trennen. Die Vorwürfe gegen den Rammstein-Frontsänger Till Lindemann im vergangenen Jahr machen das deutlich. Lindemann soll seine Macht als Idol ausgenutzt und junge Frauen sexuell missbraucht haben. Als die Nachricht publik wurde, zeigten sich die Menschen schockiert – dabei spiegelten sich Lindemanns dunkle Fantasien bereits jahrelang in seinen Songtexten wider. Vor Millionenpublikum performte die Rockband Songs, in denen es um gewaltvollen Sex, Drogenmissbrauch und Rechtsradikalisierung geht. Dieses Beispiel mag drastisch wirken, dennoch sollten wir uns fragen, was solche Inhalte über die Künstler:innen selbst aussagen.

Kunst ist nicht von den Künstler:innen zu trennen

Der Deutsche Fachverband für Kunst- und Gestaltungstherapie weist darauf hin, dass Kunst in der Praxis häufig als Ventil genutzt wird, um verborgene Emotionen zu entdecken und eine innere Welt aufzuschließen und auszudrücken. Es ist daher schlicht nicht möglich, Künstler:innen von ihren Werken zu trennen und ihnen durch den Begriff der „künstlerischen Freiheit“ auch noch Schutz zu bieten. Künstlerische Freiheit braucht einen moralischen Kompass.

Auch die Gesellschaft fordert da mehr Bewusstsein. Das wird in den Reaktionen auf Vorwürfe wie die gegen Mockridge deutlich. Künstler:innen verlieren über Nacht fast vier Millionen Follower:innen auf Social Media, TV-Sender setzen Sendungen ab und Veranstalter:innen lassen ganze Shows ausfallen. Auch von ihnen wird erwartet, dass sie Haltung zeigen und als Medium Verantwortung übernehmen. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftig genauer hingeschaut wird, was da im Namen von künstlerischer Freiheit gesagt, geschrieben oder gesungen wird.



Eine Antwort zu “Auch die Kunst braucht Grenzen”

  1. Von Lilith am 1. November 2024

    Super wichtiges Thema mit guten Argumenten. Gerade weil über künstlerische Ausdrucksformen so viel bei den Zuschauer:innen bewirkt werden kann, ist es umso wichtiger, dass sich künstlerisch Schaffende dieser Verantwortung bewusst sind!

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