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ContraEs lebe die Provokation!

Von Antonia Luigs / 31. Oktober 2024
picture-alliance / dpa | epa Keystone v

Kunst hat schon immer die Grenzen der herrschenden Moral ausgetestet. Eine Beurteilung und der Umgang damit muss in unserer modernen Gesellschaft jedem selbst überlassen sein.

Ein Auszug aus Paragraph 5 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. […] Eine Zensur findet nicht statt. Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Die Meinungs-, Presse-, und Kunstfreiheit zählt zu den höchsten Gütern unserer Gesellschaft. Sie macht uns zu einer demokratischen Gesellschaft, in der jede*r, der eine Geisteshaltung kommunizieren möchte, dies frei und ohne jegliche Zensur tun kann.

Was nun aber, wenn Künstler*innen, geschützt durch diese Freiheit, etwas erschaffen, das nicht ins Gesellschaftsbild passt? Was, wenn Kunst provokant, respektlos, diskriminierend oder in irgendeiner anderen Weise moralisch verwerflich ist? Wie weit darf man im Schatten der Kunstfreiheit gehen? Sollten problematische Künstler*innen aus dem breiten Mainstream verschwinden? Darf man danach noch ihre Songs hören oder ihre Filme sehen?

Die Meinungsfreiheit bedeutet, dass jede Meinung kommuniziert werden darf. JEDE. Auch, wenn sie einem nicht passt. Unterschiedliche Haltungen und Ansichten machen unser gesellschaftliches Zusammenleben erst spannend und vielfältig. Natürlich können sie auch der Nährboden für Konflikte und Hass sein. Trotzdem: Jede Kunst, die nicht durch volksverhetzende Parolen gegen das Gesetz verstößt, ist gerechtfertigt. Vielmehr sollte eine moralische Beurteilung und der Umgang damit jedem selbst überlassen werden.

Der Fall Rammstein

Herauszufinden, wie man sich nach Skandalen der eigenen Lieblingskünstler*innen verhalten soll, ist schwer. Ich als ehemaliger Rammstein-Fan habe mich damit sehr lange auseinandergesetzt. Seit ihrem ersten Album steht die weltberühmte Band Rammstein für Provokation und das Brechen von Tabus. Kaum ein verstörendes oder grausames Thema, das sie nicht in ihren Songs verarbeiten. 2023 dann der Skandal: Sänger Till Lindemann soll Backstage Partys veranstaltet haben bei denen, so die Vorwürfe, junge, teils minderjährige Mädchen gezielt rekrutiert und betäubt wurden, um sie danach zu vergewaltigen. Eine Vielzahl von Frauen belastete ihn und Rammsteins bereits umstrittener Ruf leidet noch immer darunter. Auch nachdem das Verfahren gegen den Rammstein-Sänger eingestellt wurde, hörte die Kritik nicht auf. Viele von seinen Texten, die beispielsweise Vergewaltigungsfantasien beschreiben, werden nun anders bewertet. Lindemann selbst zeigte sich wenig beeindruckt. Er selbst äußert sich nie dazu auf seinen sozialen Netzwerken, keine Entschuldigung, keine Distanzierung. Noch im gleichen Jahr veröffentlicht er in seinem Soloprojekt „Lindemann“ ein neues Musikvideo, in dem er zu sehen ist, wie er eine Frau vergewaltigt. Ein sensibler Umgang mit den Vorwürfen sieht anders aus – es ist vielmehr die totale Provokation und ein Schlag ins Gesicht der Opfer, sollten die Vorwürfe wahr sein.

Rammstein und Till Lindemann sind ein Paradebeispiel, für die Trennung von Kunst und Moral und inwiefern das überhaupt möglich ist. Nach dem Skandal befinden sich unzählige Fans in einem Zwiespalt. Kann man diese Musik noch guten Gewissens hören? Wie gehe ich damit um? Darf man öffentlich erwähnen, dass man Rammstein-Fan ist? Und ist es überhaupt noch moralisch vertretbar, ein Konzertticket zu kaufen? Sich von einer Band zu distanzieren, die einen schon lange begleitet, ist schmerzhaft.

Kunst und Künstler*in zu trennen ist meistens eine fast unlösbare Aufgabe. Letztlich ist es eine Frage der eigenen Entscheidung, wie weit man die Kunst nach einem Skandal noch konsumieren oder rezipieren möchte. Künstler wie Rammstein haben mit ihrer Provokation Erfolg. Doch das gesellschaftliche Image hat gelitten.

Einen besseren Ruf genießt der Sänger Falco. Sein 1985 veröffentlichter Song „Jeanny“, über einen Täter, der nachts ein junges Mädchen entführt, sorgt zur damaligen Zeit für einen großen Skandal. Aus heutiger Perspektive gilt Falco jedoch als Legende, seine Fans bleiben ihm auch nach seinem Tod treu und „Jeanny“ ist heute noch ein Hit. Im Gegensatz zu Till Lindemann wurde Falco als Privatperson zu Lebzeiten jedoch nie tatsächlich sexuelle Gewalt vorgeworfen.

Die Debatte um moralisch verwerfliche Kunst ist in unserer Gesellschaft tief verankert. Grundsätzlich ist die Provokation in der Kunst wichtiger für unsere Gesellschaft als wir denken.

Kunst und Revolution

„Die Kunst muss zu weit gehen, um herauszufinden, wie weit sie gehen kann“, sagte einst Heinrich Böll. Seit Beginn unserer Zeit drückt Kunst das aus, was die Menschen denken. Sie geht in die Grauzone, wo die Politik keinen Spielraum hat. Provokation ist eine Kunstform, die die Menschen erreicht, aufbringt, schockiert, um sie dazu zu zwingen, sich mit den unbequemen Fragen des Lebens zu beschäftigen.

So ziemlich alle Revolutionen der Menschheitsgeschichte wurden in der Kunst dokumentiert, von der Kunst provoziert oder sogar von ihr angeführt. Die Kunst als solche ist der ewige Gewissensbiss der Menschheit, ein Spiegel der Gesellschaft. Provokante Kunst ist wichtig, um uns als Gesellschaft weiterzubringen und das war sie schon immer.

Kunst und Moral sind zwei Seiten einer Medaille. Wir tragen einen Kompass in uns, in dem wir jenes als gut und anderes als schlecht beurteilen. Eine künstlerische Haltung kann nicht unmoralisch sein, da (fast) jede menschliche Handlung aus einer bestimmten Moral heraus entsteht. Deshalb wäre es verwerflich, die Kunstfreiheit als solche einzuschränken.

Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass Kunst nicht kritisiert werden darf. Wer sich vor eine Menschenmenge stellt und sich zu etwas äußert, ist automatisch auch in der Verantwortung, sich für das Gesagte zu rechtfertigen. Die Kunstfreiheit sorgt zwar dafür, dass auch verwerfliche Ansichten geäußert werden dürfen. Aber ich darf sie kritisieren. So wie ich zum Beispiel Lindemanns Umgang mit den Vorwürfen gegen ihn kritisiere. Eine Zensur jedoch bringt uns in die Nähe einer Gesellschaft, die wir eigentlich nie wieder sein wollen.



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