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ProVerbindung von Virtualität und Realität

Von Sophia Hofer / 19. Dezember 2015
Sherry Turkle / picture alliance / ZUMAPRESS.com | Javier Rojas

Das Internet wird als grenzenloser Ort der unbeschränkten Möglichkeiten gefeiert. Die Generation der Digital Natives bewegt sich durch das Internet mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie sie durch den Alltag schlendert. Doch wer ist das da eigentlich im Netz?

Viereinhalb Jahre lang lag Richard David Prechts philosophisches Sachbuch „Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?“ auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und hält damit einen Langzeitrekord aufrecht. In einer Zeit, die von den Begriffen Globalisierung und Digitalisierung geprägt ist, stellt sich auch heute noch die Frage nach der eigenen Identität.

Bevor das Internet ein so selbstverständlicher Teil unseres Alltags wurde, antwortete Sherry Turkle auf die Frage „Wer bin ich?“ mit „Ich bin viele.“ In ihrem Buch „Leben im Netz: Identität in Zeiten des Internet“ führt die US-amerikanische Soziologin aus, dass durch das Aufkommen des Internets und des Cyberspaces die Vorstellung eines multiplen, dezentralen Ichs Realität wird. So schreibt sie: „Das Internet ist zu einem wichtigen Soziallabor für Experimente mit jenen Ich-Konstruktionen und –Rekonstruktionen geworden, die für das postmoderne Leben charakteristisch sind.“

Laut Turkle ist der Cyberspace eine Spielwiese der Identitäten. Durch die Anonymität des Internets ist es jedem Menschen möglich, eine neue Identität zu schaffen. Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft sind Grenzen, die durch das Internet überwunden werden können. Durch die Anonymität kann ein schüchterner Mensch im Internet ein flirtender Vamp sein und auf einer anderen Plattform der lustige Kumpel, der immer einen coolen Spruch parat hat. „In einer virtuellen Realität stilisieren und erschaffen wir uns selber“, so Turkle.

Was ist von Turkles Vision geblieben?

Schauen wir uns auf Facebook um, so finden wir unsere Freunde meist unter ihrem bürgerlichen Namen. Manchmal benutzen sie einen Spitznamen oder trennen ihren Vornamen in Vor- und Nachnamen (z.B. Sa Rah), doch wir erkennen sie. Ihr Profilbild zeigt sie lachend mit ihren Freunden, das Titelbild ist ein Strandfoto vom letzten Urlaub oder ein Zitat, dass sie besonders bewegt. Zum Geburtstag tummeln sich Geburtstagsgrüße auf der Pinnwand und jemand hat ein Foto vom Sommer „mit den Mädels“ gepostet. Auch bei Xing, Twitter oder Instagram verstecken wir uns nicht hinter einer Fake-Identität. Wir haben Accounts bei verschiedenen Online-Shops, bei denen wir uns sogar mit unserem Social-Network-Account einloggen können.

Turkle hatte der Cyperspace als einen abgeschirmten Raum betrachtet. Sie trennt die analoge Identität des Users vor dem Computer von der virtuellen Identität der Figur, die der User im Netz ist. Stephan Münte-Goussar, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Medienbildung an der Europa-Universität Flensburg, formuliert es so: „Facebook und Co. sind eher eine Spiegelung beziehungsweise die Verdopplung des analogen Ichs.“

Mixed Reality

Die digitalen Identitäten sind laut Münte-Goussar also nicht unabhängig vom User, sondern sind Teil seiner Identität. Es gibt nicht das multiple Ich, sondern verschiedene Ausprägungen dessen, die aber nicht getrennt voneinander sind. Sie ergänzen sich.

Allerdings leben wir in einer Zeit, die durch die Digitalisierung bestimmt ist. Der Cyberspace und unsere analoge Welt vermischen sich zu einer Realität, einer „mixed realitity“. Das Internet ist in unserem Alltagsleben integriert und andersrum. „Die virtuelle Welt ist mit der analogen Welt verschränkt, schon allein deshalb, weil wir sie immer mobil bei uns haben“, sagt der Flensburger Wissenschaftler. „Wir treffen unsere Freunde im Café und auf Facebook, nehmen Kontakt zu potentiellen Arbeitgebern bei Firmenkontaktmessen, aber auch auf Xing auf. Für die Digital Natives ist der Cyberspace keine eigene Welt mehr, es ist Teil ihrer Alltagswelt und dementsprechend bewegen sie sich auch im Cyberspace. Nicht anonym, sondern authentisch.“

Soziale Netzwerke als Identitätsmanagement

„Die Anonymität und Körperlosigkeit waren bei Turkle eine zentrale Bedingung für das multiple Ich. Doch die Idee der Anonymität hat sich nicht durchgesetzt, teils auch, weil die Strukturen von Facebook & Co. es nahe legen, sich selbst, was man ist, hat und mag zur Schau zur Stellen“, so Münte-Goussar. Die sozialen Netzwerke seien auch Werbeflächen für die einzelne Person. Es sei eine Form des Self-Branding, der Selbstvermarktung.

17 Jahre nach der Veröffentlichung ihres Buchs mit der revolutionären Vision, die Sherry Turkle in den 90ern auf das Cover des Wired-Magazin gebracht hat, sieht das auch die Soziologin ein. Während eines TED-Talks sagt sie nüchtern: „Texting, E-Mail, Posting – mit all diesen Sachen präsentieren wir uns.“

Statt einer Identitätskreation betreiben wir also ein Identitätsmanagement. Und warum auch nicht? Wir sind, wer wir sein wollen. Wir sind wir.



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