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DebatteZählen Zahlen zu viel?

Von Christina Mikalo / 31. August 2022
picture alliance / Sergey Nivens/Shotshop | Sergey Nivens

Statistiken, Wachstumsraten, Boni: Zahlen sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Manche sehen in ihnen unverzichtbare Vergleichsdaten, andere ein Risiko für Tricksereien und Trugschlüsse. Von der eigenen Position abweichen will kaum jemand.

Dieses aktuelle Beispiel verdeutlicht ein altes Streitthema nur zu gut: Der Fall der inzwischen abberufenen Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), Patricia Schlesinger, schlägt in den Medien weiter hohe Wellen. Gegen die 61-Jährige, ihren Mann, den Journalisten Gerhard Spörl und den ebenfalls zurückgetretenen RBB-Chefkontrolleur Wolf-Dieter Wolf ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Berlin seit Anfang August wegen des Verdachts auf Untreue und Vorteilsnahme.

Für Schlesinger soll es, wie für andere Führungskräfte des Senders, laut einem Bericht von Business Insider und Recherchen des RBB unter anderem Boni in einer Höhe von jährlich zehntausenden Euro gegeben haben – zusätzlich zu dem mehr als 300.000 Euro umfassenden Jahresgehalt, das Schlesinger als Intendantin des Senders erhielt. Der RBB hatte das Bonus-System zunächst geheim gehalten, mittlerweile aber Zahlen dazu veröffentlicht. Die Bezüge Schlesingers tauchen darin allerdings nicht auf. Grund genug für Unmut.

Immer wieder entbrennen Diskussionen um die teils üppigen Boni, die auch an Führungskräfte der Finanzbranche gezahlt werden. Einige betrachten diese als Anreiz für mehr und bessere Leistungen bei der Arbeit, andere halten sie für einen Verstärker sozialer Ungleichheit.

Bloße Fakten? Von wegen!

Zahlen, ob sie nun auf einer Gehaltsabrechnung oder in Statistiken zu Themen wie dem Klimawandel, Corona oder Migration stehen, mögen somit auf den ersten Blick nüchtern wirken – die sie umgebenden Debatten sind das aber nicht immer. Der Datenjournalist Tin Fischer hat dem Thema ein ganzes Buch gewidmet. In „Linke Daten, rechte Daten – Warum wir nur das sehen, was wir sehen wollen“ schreibt er, dass unser Verhältnis zu Zahlen, Daten und Statistiken oft noch „pubertär“ sei.

Während manche sie als objektive, wirklichkeitsabbildende Fakten betrachten, begegnen andere ihnen eher mit Misstrauen, führt er aus. Eine Behauptung, die nicht aus der Luft gegriffen zu sein scheint. „Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe…“ lautet ein heute noch verwendetes Zitat, das das Misstrauen gegenüber Zahlen und ihrer (vermeintlichen?) Objektivität zum Ausdruck bringt. Woher das oft dem britischen Ex-Premierminister Winston Churchill untergeschobene Bonmot tatsächlich stammt, ist übrigens unbekannt.

Meinungsmache mit Zahlen

Belegt ist dagegen: Zahlen können Tatsachen verfälschen. Das zeigt ein Faktencheck des Recherchezentrums Correctiv zu einem 2018 erschienenen Artikel im Online-Portal der oberösterreichischen Zeitung Wochenblick. Das Medium stand bereits wegen der Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien in der Kritik und wurde vom Österreichischen Presserat mehrfach gerügt. In dem Bericht werden korrekte Zahlen über die Kriminalität von Zuwanderern aus 2018 in einen falschen Kontext gesetzt, heißt es in dem Faktencheck. Manche Zahlen seien sogar komplett falsch.

Aber weshalb wurde bei den Angaben geschummelt? Correctiv zufolge, um zu „belegen, dass Zuwanderer besonders oft Straftaten an Deutschen begehen.“ Mit den Zahlen sollte in Österreich und beim Nachbarn Deutschland Stimmung erzeugt und vermeintliche Wahrheiten untermauert werden. Getreu der Annahme, dass Zahlen die Realität abbilden und deshalb glaubwürdig sind.

Journalist Fischer hält dies für problematisch. Ihm zufolge sind Statistiken heute so vielfältig wie nie zuvor. Dabei gebe es aber zum Teil große Unterschiede. Ein Diagramm könne das Ergebnis einer aufwendigen, teuren Studie sein; genauso gut könne es aber auch schnell von jemandem mit wenigen Informationen am PC zusammengebastelt worden sein, schreibt er in seinem Buch. Was zur Folge habe, dass Zahlen heute so präsent wie nie zuvor im Leben vieler Menschen seien – und sich, Internet und Social Media sei Dank, auch sehr schnell verbreiten ließen.

Was hinter den Diskussionen um Zahlen steckt

Der Kampf um die Deutungshoheit bietet Möglichkeiten für neue Debatten, gerade auf polarisierenden Plattformen wie Twitter. Ein Beispiel dafür ist das Thema Gendern, welches seit langem die Gemüter spaltet. Die Mehrheit sei gegen die Verwendung von Gender-Formen wie Sternchen oder Doppelpunkt, heißt es da. Andere argumentieren, dass Frauen 50 Prozent der Wirklichkeit ausmachten und die Sprache dies auch widerspiegeln sollte.

Dem Eindruck nach verraten diese Auseinandersetzungen oft weniger über die „Fakten“ als vielmehr über die Werte und Überzeugungen derjenigen, die sie miteinander führen. Welche politische Gesinnung jemand hat, wie er oder sie aufgewachsen ist und in welchen sozialen Verhältnissen er oder sie lebt hat demnach damit zu tun, wie Menschen Statistiken und Diagramme erstellen und interpretieren. Völlig neutrale Zahlen gibt es somit gar nicht, sie sind (r)eine Erfindung.

Vielmehr scheinen Daten, Diagramme und Statistiken durch Begriffe wie „Data Story Telling“ heutzutage zu einem Mittel geworden zu sein, mit denen sich Geschichten auf neue Weisen erzählen lassen, die teilweise verzerrt werden, um besser in diese Erzählung zu passen. Dazu kann auch ein Schweigen wie das vonseiten des RBB zur genauen Höhe der Bezüge von Patricia Schlesinger zählen.



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