Reichtum kann auch Sinn stiften
Gleich vorweg: Ja, das ist ein provokanter Titel. Die Einkommens-Schere in Deutschland klafft immer weiter auseinander, die Debatte über eine stärkere Besteuerung wohlhabender Bürger bestimmt nicht nur den Präsidentschaftswahlkampf in den USA, sondern wird auch – via Vermögensteuer – zu einem deutschen Thema im Wahljahr 2013. Dies vorausgestellt, drehen wir die Fragestellung ein wenig weiter: […]
Gleich vorweg: Ja, das ist ein provokanter Titel. Die Einkommens-Schere in Deutschland klafft immer weiter auseinander, die Debatte über eine stärkere Besteuerung wohlhabender Bürger bestimmt nicht nur den Präsidentschaftswahlkampf in den USA, sondern wird auch – via Vermögensteuer – zu einem deutschen Thema im Wahljahr 2013.
Dies vorausgestellt, drehen wir die Fragestellung ein wenig weiter: Schon bei der Auszeichnung als „Ort im Land der Ideen 2012“ hatten wir uns entschieden, Artikel 14 des Grundgesetzes in den Mittelpunkt unserer Preis-Debatte zu stellen:
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Das ist in Deutschland Gesetz, unveränderliches Grundrecht. Schade nur, dass nicht alle Angesprochenen den Satz voll erfasst haben.
Blickwechsel Richtung USA: John D. Rockefeller ist ein perfektes Beispiel für eine schöne Auslegung von Artikel 14, auch wenn er lange vorher gestorben ist. Rockefeller („Steh früh auf. Arbeite hart. Stoße auf Öl.“) gilt als Sinnbild von Finanzmacht und unfassbarem, auf Öl begründeten Privatvermögen. In einer Biographie wird ein Zeitgenosse Rockefellers zitiert: „Der alte Mann hegte eine Leidenschaft für Geld, die fast schon an Verrücktheit grenzte.“
Halten wir fest: Rockefeller war reich. Mit 58 Jahren setzte er sich zur Ruhe und lebte weitere 40 Jahre als Philanthrop. Ein Zehntel seines Vermögens ging an wohltätige Zwecke. Damit hatte Rockefeller übrigens schon im Alter von 16 Jahren begonnen, auch 10% seines Lehrlingsgehalts spendete Rockefeller. Im Laufe seines Berufslebens nahm er zeitweise Bankkredite in sechsstelliger Höhe auf, steckte aber auch davon jeweils ein Zehntel in wohltägige Projekte. Mit seinen Fördergeldern wurden Medikamente gegen Gelbfieber entwickelt, die Rockefeller Sanitary Commission gegründet, das General Education Board unterstützt.
Philanthropie hat in den USA eine große, ungebrochene Tradition. Allein jeder fünfte gespendete Dollar wandert in Armuts-Projekte (Umweltschutz, Erziehung und Gesundheit sind weitere Felder) – darunter auch die Stiftung von eBay-Mitgründer Jeff Skoll. Er hat über 340 Millionen Dollar in diese Stiftung eingebracht und ist inzwischen auch Bill Gates‘ Initiative beigetreten.
Ohne Zweifel gibt es Pendants in Deutschland, Kunst-Mäzene wie Reinhold Würth, Öko-Visionäre wie den ehemaligen Wurstfabrikanten Karl Ludwig Schweisfurth, aber vom ausufernden sozialen Engagement der Albrecht-Brüder, von Dieter Schwarz und Co. haben wir bisher wenig gehört. Auch das Schlecker-Imperium ist vermutlich nicht daran gescheitert, dass Gründer Anton zu viel in Caritas-Projekte investiert hat.
Reichtum ist Privatangelegenheit. „Und soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Gingen Vermögende mit diesem Verfassungsgrundsatz souveräner um, wäre vielleicht auch die gesellschaftliche Diskussion eine unverkrampftere. Darüber allerdings hat sich schon 1906 Karl Kraus mokiert:
„Glanz und Reichtum als Voraussetzung geistigen Wirkens — das sind Erscheinungen, die wir uns nicht ohne Widerstreben einbekennen, weil ihre Konsequenzen betäuben.“
Aus den oben von Dir zitierten Grundgesetzt-Artikel kann – und sollte man – eine verbindliche Rechtsspechung ableiten und nicht auf freiwilliges Engagement der Millionäre und Milliardäre hoffen.
Denn diese können frei das Ziel ihrer ‚Wohltätigkeit‘ bestimmen, obwohl die Verteilung des Reichtums nach dem Geist des Artikels 14, wie ich ihn interpretiere, gesellschaftlich gesteuert werden sollte.