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Schön auf dem Boden bleiben

Von Christina Mikalo / 14. Juni 2019
Foto von Christina Mikalo

Fliegen war einst Luxus, heute ist es Lifestyle – für fast jeden erschwinglich. Gut für das Klima ist das nicht. Zeit, sich zu schämen?

Seit kurzem fühlt es sich an, als hätte ich ein Verbrechen begangen. Der Grund: Ich bin geflogen. In den Urlaub, nach Kreta.

Es ging von Stuttgart nach Heraklion und zurück. Fünf Stunden und 30 Minuten war ich in der Luft.

Klingt nach wenig? Doch laut dem CO2-Rechner der Non-Profit-Organisation Atmosfair wurden durch die Flüge rund 1000 Kilogramm Kohlenstoffdioxid ausgestoßen. Um diese Menge zu kompensieren, müsste ich Atmosfair zufolge ein halbes Jahr auf Autofahren verzichten. Oder knapp acht Monate leben wie ein Inder – der stößt durchschnittlich 1600 Kilogramm CO2 im Jahr aus.

Eine neue Scham?

Bei mir als Deutscher sind es dagegen im Durchschnitt beträchtlich mehr, und zwar knapp elf Tonnen. Das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen liegt laut Atmosfair bei 2300 Kilogramm, also nur rund einem Fünftel davon. Mich überkommt Scham.

Mit dieser Empfindung bin ich nicht allein. Für das Gefühl, zum Vergnügen abzuheben und sich deshalb in Grund und Boden zu schämen, gibt es mittlerweile einen Ausdruck: „flygskam“, „Flugscham“. Es stammt aus Schweden – dem Öko-Vorreiter-Land, das neben einer C02-Steuer immerhin auch eine Greta Thunberg hervorgebracht hat.

Natürlich bedeutet die Existenz dieses Zeitgeist-Begriffs nicht automatisch, dass Menschen tatsächlich nun auf Flugreisen verzichten. Laut der Tagesschau, die sich auf unveröffentlichte Zahlen des Flughafenverbands ADV beruft, stieg die Zahl der Flugpassagiere in Deutschland zuletzt sogar an.

Vom Luxus zum Billig-Produkt

Fliegen liegt nach wie vor im Trend. Es ist bequem, es ist billig und es erfüllt einen alten Menschheitstraum: Schon die Griechen in der Antike träumten davon, Vögeln gleich in die Lüfte zu steigen. Ein langersehnter Traum, der nur 1913 mit dem ersten Passagierflugzeug, der russischen „Sikorski Ilja Muromez“, in Erfüllung ging. Es bot 16 Passagieren Platz, war mit Sesseln und einer Toilette ausgestattet.

Da 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, kam die „Ilja Muromez“ allerdings nicht wirklich als ziviles Verkehrsflugzeug zum Einsatz. Doch schon ein Jahr später und trotz des Krieges wurde im US-amerikanischen St. Petersburg in Florida die erste Fluggesellschaft der Welt gegründet. Ihr erster Passagier war der ehemalige Bürgermeister der Stadt, Abram “Abe“ Pheil. Er zahlte für sein Ticket rund 400 Dollar. Damals entsprach das fast dem Gegenwert eines Autos.

Das Fliegen konnten sich in den Anfangsjahren des Luftverkehrs also nur Vermögende leisten. Und es gehörte sogar zum „guten Ton“, seinen Reichtum im Flugzeug zur Schau zu stellen: Bei Männern gelang das in Form von teuren italienischen Anzügen und bei Frauen durch auffällige Frisurkreationen.

Und heute? Ich bin für meinen Flug nach Kreta in Tanktop und mit Vogelnest-Frisur aufgekreuzt. Gekostet hat die Reise etwa 100 Euro. Das ist noch viel, bedenkt man, dass Ryanair mittlerweile Tickets nach Budapest für 9,99 Euro raushaut.

Fliegen ist heute wahrlich kein Luxus mehr, sondern gehört wie der Cafébesuch zum Lifestyle von mobilen, modernen Leuten. Und genau darin liegt für die junge Klimaschützer-Generation das Problem.

Verzicht, Kompensation, Verbesserung?

Neulich unterhielt ich mich mit zwei Freundinnen über unsere Reisen. Sie wollen dieses Jahr nach Nepal oder Peru fliegen. Als ich meinen Urlaubswunsch äußern sollte, lächelte ich verschämt und murmelte: „Ich glaube, ich will dieses Jahr nicht mehr fliegen.“

„Wegen des Klimas?“, fragte Freundin A misstrauisch. Sofort waren wir mittendrin in einer dieser berüchtigten Wer-ist-schuld-Diskussionen, bei der sich eine Seite von der vermeintlichen moralischen Überlegenheit der anderen Seite angegriffen fühlt.

Nur, damit das klar ist: Mir geht es nicht darum, zum Messias einer neuen Öko-Kultur zu werden. Ich frage mich bloß, ob wir den Klimawandel noch beschleunigen müssen, indem wir weiter so sorglos reisen, erklärte ich.

Freundin B versuchte sich dadurch zu rechtfertigen, dass sie ihre Flüge mit einer vegetarischen Ernährung kompensiere. Aber reicht das? Fliegen hinterlässt bekanntlich einen höheren CO2-Fußabdruck als Essen. Davon abgesehen konsumieren viele Menschen Fleisch und fliegen trotzdem.

„Das ist der Punkt. Ich glaube nicht, dass individueller Verzicht viel hilft“, warf Freundin A ein. „Vielmehr sollten Unternehmen daran arbeiten, klimafreundlichere Flugzeuge zu bauen.“

Sicher haben Wirtschaft und Politik mehr Einfluss als wir, individuell betrachtet. Aber wieso sollten sie etwas am Luftverkehr ändern, wenn ganze Massen an Menschen sich weiterhin so unkritisch fortbewegen wie bisher?

Nichts tun hilft nicht

Meine Freundinnen ermutigten mich, mit diesen Überlegungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Nun, hier bin ich. Während ich diese Zeilen schreibe, überlege ich, meinen nächsten Urlaub in der Heimat zu verbringen. Keine Stunde von meiner Wohnung entfernt gibt es Berge, Täler und Seen… das perfekte Panorama für Erholung und auch Actionurlaub. Eigentlich besteht gar keine Notwendigkeit, ins Ausland zu fliegen.

Meinen Flug nach Kreta habe ich übrigens mit einer Spende an ein gemeinnütziges Projekt in Ruanda aufgewogen – ein Vorschlag von Atmosfair. Für meine Unterstützung hätte ich ein CO2-Zertifikat haben können. Aber damit hätte ich mich als Klimaheldin inszeniert, die ich nicht bin.

Klimaschutz braucht auch keine Helden. Genauso wenig wie ein schlechtes Gewissen. Wer sich schämt, neigt häufig dazu, die Scham zu verdrängen. Es kommt aber auf das Handeln an: kritisch gegenüber dem Flugverkehr sein, nach Alternativen suchen, mit Menschen diskutieren und Druck auf Politik und Wirtschaft ausüben. So wird Fliegen vielleicht irgendwann wieder zu dem Luxus, der es einst war.

Eine Antwort zu “Schön auf dem Boden bleiben”

  1. Von Rolf Jaeger am 23. Juni 2019

    Na ja,
    früher war das schlechte Wetter ein Grund, ins Ausland zu fliegen. Mittlerweile wissen wir um UV-Strahlung und haben übermäßig Hitze und Sonne bei uns zuhause. Und viele kommen nach hier, um Urlaub zu machen. Also sollte man auch hier bleiben, oder? Der einzige Grund, ins Ausland zu fliegen, ist und bleibt, andere Kulturen, Natur und Menschen kennen lernen zu können (wenn man nicht aus beruflichen Gründen reisen muss) an Orten, die man auf dem Landweg nicht erreichen kann.
    Diejenigen, die Geld damit verdienen, dass fast jedermann/-frau sich heute leisten kann, fast überall hin fliegen, reiben sich die Hände (sie würden niemals in den Ryanair-Flieger für 9.99 € steigen…). Ihnen ist die Umwelt schnuppe, solange das Geschäft brummt. Und die „Masse“ fühlt sich wohl bei dem Gedanken, dass bei der Fliegerei ein Stück Gleichberechtigung erreicht worden sei. Ja, wie beim Kaffeehaus-Besuch…!
    Unsere Erde freut sich nicht so sehr. Es muss was passieren – jetzt! Und jeder kann etwas zur Änderung beitragen, wie anschaulich berichtet wurde.

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