Sei – nicht – du selbst!
Wir lernen früh, dass gute Umgangsformen einem Tür und Tor öffnen. Aber reicht das noch in Zeiten von Netzwerken und totaler Selbstvermarktung?
Netzwerken – ohne geht es nicht
Auf dem umkämpften Markt für Kitaplätze stellen sich viele Eltern persönlich bei der Kitaleitung vor oder bekunden telefonisch ihr nicht nachlassendes Interesse an Platz Nummer 50 auf der Warteliste. Im Beruf erkundigen sich Personaler bei Kollegen, wen sie für die vakante Stelle empfehlen würden. Solchen Gepflogenheiten hafte etwas Anrüchiges an, meinen viele. Dabei sollte das eigentlich jeder machen: ein bisschen netzwerken. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung erfolgten zuletzt im Jahr 2015 die meisten Neueinstellungen in Deutschland über persönliche Kontakte. Auch viele Soziologen sind überzeugt, dass Kontakte in Krisen und im Beruf weiterhelfen. Sie helfen der Kreativität auf die Sprünge, schützen eher vor Entlassung oder bringen Arbeitslose schneller wieder auf die Beine. Kurzum: Wer nicht gelernt hat, geschickt Werbung in eigener Sache zu machen und sich zu vernetzen, an dem zieht so manche Chance vorbei.
Auch ohne Selbstmarketing ans Ziel
Selbstmarketing ist allerdings eine Kunst, an der viele Menschen lange feilen müssen. Auch ich. Das wurde mir in folgendem Worst-case-Szenario bewusst: Ein Flughafenmitarbeiter eröffnete mir im ägyptischen Hurghada, ich müsse wieder zurück nach Israel. An der Grenze sei versäumt worden, ein Visum in meinen Pass zu stempeln. Seine harschen Worte und die scheinbar aussichtslose Situation trieben mir unkontrolliert die Tränen in die Augen. Dass ich damals mit meiner noch wenig ausgeprägten „Frustrationstoleranz“ schwer zu kämpften hatte, fiel meinem Gegenüber in diesem Moment schnell auf. Von meiner körperlichen Überreaktion geradezu erschrocken versicherte der Flughafenkontrolleur, dass der Stempel quasi bedeutungslos sei und winkte mich durch. Von Selbstvermarktung kann hier nicht die Rede sein, schon eher würde manch einer von einer „Mitleidsmasche“ sprechen. Dabei war da nicht mehr und nicht weniger als ein impulsives „Sich-so-geben-wie-einem-ist“. Keine Spur gezielter Rhetorik oder strategischer Haltung.
Glücklicherweise liegt diese Situation fast 15 Jahre zurück. Doch ein schales Gefühl bleibt: Eines jeden Ziel sollte es schließlich sein, das Gegenüber durch den eigenen Charme, schlagkräftige Argumente und einen selbstbewussten Auftritt zu überzeugen. Gelungenes Selbstmarketing eben. Wenn mir das misslingt, ich aber trotzdem bekomme, was ich will, hält sich die Freude über das Erreichte immer noch in Grenzen.
Dass Körpersprache im beruflichen Kontext dagegen tatsächlich effektiver wirken kann als gute Argumente, davon ist die Expertin für Körpersprache Martina Matschnig überzeugt. In einem Interview der Sendung “Menschen in München“ erläutert sie, dass das Talent dafür, das wahre Empfindungsbild mithilfe der Körpersprache zu kaschieren, bei Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sei. Manche würden sogar meinen, dass sie sich gar nicht verstellen könnten und authentisch bleiben möchten. „Viele sagen dann zu mir: Ich möchte so sein, wie ich bin! Ich sage dann immer: Das sind wir aber nicht“, erzählt Matschnig. „Wenn wir ganz ehrlich zu uns selbst sind, schlüpfen wir alle in bestimmten Situationen in eine bestimmte Rolle. Ich habe einmal die Rolle des Vorgesetzten, des Kollegen und dann die Rolle des Vaters.“ Wichtig sei, sich in seiner Rolle wohl zu fühlen.
Selbst zur Marke werden
Dorie Clark geht einen Schritt weiter. Die Gastdozentin an der Duke University und Bestsellerautorin des Buchs “Reinventing You“ beschäftigt sich mit der Frage, wie man selbst zur Marke wird. Auf Teachonline TV empfiehlt die Lehrkraft für “Persönliche Markenbildung“ auf einem Trainerportal der Plattform “Thinkific“, nach den eigenen Selling Points zu suchen. „Was macht dich besonders und was sind deine Stärken?“ Damit die Umwelt das gewünschte Selbstbild erhält, rät Clark zur bewussten Imagekorrektur und gibt ganz offen zu, auf dem harten Weg zum ersten Buch ihren Rat auch selbst angewandt zu haben. „Ich beschloss, zu bloggen, um meine eigene Plattform für ein Buch zu schaffen.“ Sie verschweigt nicht, dass die Arbeit an der eigenen Selbstdarstellung viel Aufwand und Zeit kostete. Doch Clark ist überzeugt, dass Selbstvermarktung davon lebt, in einem bestimmten Bereich besser zu sein als andere. Das bringe andere Menschen dazu, zu einem aufzusehen, weil man auf systematische Art für eine bestimmte Gruppe von Interessenten einen Wert repräsentiere. Dass sich das sprichwörtlich nicht nur für Clark auszahlt, beweisen die immer zahlreicher werdenden “Influencern“ auf Youtube und anderswo.
Selfie-Mentalität schlägt Gleichberechtigung?
Der Wunsch nach Authentizität aber wächst gleichermaßen. Wieso auch sollten soziale Währungen wie publikumswirksames Selbstvermarkten und akribisches Netzwerken einem Vorteile verschaffen gegenüber objektiven Regularien oder beruflichem Know-how? Diese Frage ist berechtigt, doch die Antwort mag simpler sein als erwartet: Weil sie es eben tun. Als soziale Wesen legen wir nun mal besonderen Wert auf die Fähigkeit unseres Gegenübers, das Verhalten anderer Menschen subjektiv oder objektiv positiv zu beeinflussen. Schließlich ist die Eigenschaft, für andere von sozialem Nutzen zu sein, prinzipiell eine gute.
Man könnte sogar so weit gehen und behaupten, soziale Medien stellen heute die Plattformen dar, die herausragende zwischenmenschlich relevante Eigenschaften einem größeren Publikum zugänglich machen. Daran muss erstmal nichts verkehrt sein. Sicher haben Instagram, Facebook und Whatsapp auch Unterhaltungswert an sich. Doch ohne die Fähigkeit, sich schnell an das jeweilige Zielmedium anzupassen, dürfte der Einsatz sämtlicher sozialen Währungen trotz guten Willens ins Leere gehen. Wie es Adolph Knigge in seinem bekannten Werk “Über den Umgang mit Menschen“ ausdrückte: „Was ist es, das diesen fehlt und andre haben? […] Die Kunst des Umgangs mit Menschen.“