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Solidarität? Brauch ich nicht…

Von Bastian Schulz / 1. Mai 2014
picture alliance / Westend61 | Westend61 / Rainer Berg

Die Solidarität. Der Ruf nach Solidarität. Der Ruf nach ihr erschallt auch noch heute weltweit in vielen Sprachen im von Bertold Brecht (Text) und Hanns Eisler (Musik) 1931 geschaffenen Lied. Der Text ist zeitlos und hat nach gut 80 Jahren an Bedeutung nicht verloren. „Wem gehört die Welt?“ – eine Frage die ja eigentlich auch […]

Die Solidarität. Der Ruf nach Solidarität. Der Ruf nach ihr erschallt auch noch heute weltweit in vielen Sprachen im von Bertold Brecht (Text) und Hanns Eisler (Musik) 1931 geschaffenen Lied. Der Text ist zeitlos und hat nach gut 80 Jahren an Bedeutung nicht verloren. „Wem gehört die Welt?“ – eine Frage die ja eigentlich auch heute noch alle (jungen) Menschen nicht zuletzt am 1. Mai umtreiben sollte. Oder?

Vorwärts und nicht vergessen / Worin unsre Stärke besteht. / Beim Hungern und beim Essen, / Vorwärts, nicht vergessen / Die Solidarität.

Gemeinsam unsere Stärke(n) nutzen und ungeachtet der äußeren Bedingungen zusammenstehen – klingt gut. Wer ein wenig mit offenen Augen und v.a. Ohren durch die Welt läuft würde sofort unterschreiben: „ja, das ist den jungen Menschen heute wichtig!“. Über die Frage was „jung“ ist soll hier nicht gestritten werden. Ein befreundeter Soziologe erklärt mir stets ich wäre (altersbedingt) Teil der „Generation Y“ – ich bin gut ausgebildet, kommunikativ und ich „stelle die Prioritäten meiner Vorgängergeneration infrage“. Vorwärts! Scheint da einmal mehr ein angebrachter Schlachtruf. Die sogenannten Ypsiloner ordnen nicht mehr alles dem Beruf unter, sondern fordern vielmehr eine geordnete „Work-Life-Balance“. Dem schließe ich mich nur zu gern an! Deshalb bin ich Gewerkschaftsmitglied. Das sind aber viele Ypsiloner nicht. Ehrlich gesagt finde ich das ziemlich abstrus.

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in Deutschland liegt aktuell bei ca. 18%. Demnach ist nicht mal jede/r fünfte Erwerbstätige Mitglied einer Gewerkschaft. Selbst bei der IG Metall – der größten deutschen Einzelgewerkschaft – ist nur jedes zehnte Mitglied jünger als 27. Selbst damit ist die Jugend der IG Metall noch die „größte politische Jugendorganisation der Republik“. Die Ypsiloner wollen also ihre berufliche Lebenswirklichkeit in ihrem Sinne verändern und bleiben den dafür relevanten Organen der Interessensvertretung – den Gewerkschaften – in Massen fern? Das verstehe ich nicht…

Individualisierung – bezogen auf den eigenen Rahmen, bspw. die Familie – sticht also offensichtlich Solidarität aus. Gut ausgebildet, mit den heutigen technischen Möglichkeiten vollumfänglich vertraut und durchaus aufgrund der Knappheit qualifizierter Kräfte mit einem recht guten Verhandlungspotential ausgestattet – wozu dann noch die Arbeiter_innenbewegung in Gänze unterstützen? Der Kapitalismus im Kleinen scheint also den Ypsilonern doch von relativem Vorteil zu sein. Gegen den Kapitalismus im Großen kann ja ausgewählt im Internet „petitiert oder eben mit einem Cuba Libre in der Hand am 1. Mai in Kreuzberg entgegengetreten werden. Wer will auch „Proletarier“ sein? Gerade davon grenzt doch ein Universitätsabschluss scheinbar ab.

Genau das finde ich abstrus und es nervt mich. Eine große Mehrheit der jungen Menschen würde sich sicher als „links im Geiste“ bezeichnen, rebelliert mal mehr oder weniger gegen (neo)liberale Politiken, gegen die (Groß)eltern oder eben gegen die Zwänge des Berufslebens. Die Kraft zu unterstützen, die ihre Vorhaben nicht nur wesentlich besser unterstützen könnte, sondern gesellschaftlich auch wesentlich breiter aufstellen würde, liegt dabei aber offensichtlich vielen fern. Es waren die deutschen DGB-Gewerkschaften, die mit einer jahrelangen Kampagne und schlussendlich überzeugenden Argumenten dafür gesorgt haben, dass Deutschland als 21ter von 28 EU-Staaten endlich einen gesetzlichen Mindestlohn einführt. Das findet der Ypsiloner an sich politisch sicherlich total korrekt, auch wenn es ihn aufgrund seines Abschlusses ja sicherlich nicht betreffen wird. Dafür aber verbindlich in eine Gewerkschaft eintreten? Soweit geht es dann doch nicht mit der „gelebten“ Solidarität. Wer im Stich läßt seinesgleichen, / läßt ja nur sich selbst im Stich.

So sehr die Zeilen des Solidaritätsliedes für mich moralisch und politisch bindend, ja sogar motivierend sind, so sehr sind sie es für viele andere (nicht nur) meiner Generation wohl nicht. In Deutschland sind weit weniger Erwerbstätige in einer Gewerkschaft als im europäischen Durchschnitt (23%). Die deutsche Arbeiterbewegung selbst ist allerdings im globalen Maßstab ziemlich stark, sicherlich auch aufgrund der weitestgehend akzeptierten deutschen Sozialpartnerschaft. Darauf verlässt sich vielleicht der Ypsiloner, wenn er stolz von seinem Kumpel erzählt, der in Frankfurt im Occupy-Lager „Banken in die Schranken“ verwiesen hat. 1% des Bruttolohns in eine Gewerkschaft zu investieren und damit eben nicht nur das eigene Arbeitsleben (potentiell) zu verbessern sondern auch die Arbeitswelten vieler anderer Menschen im positiven Sinne gestalten zu können, das klingt irgendwie nicht so hip. Es gibt sicher auch unter den Ypsilonern etliche, die genauso denken wie ich und ihr Handeln auch danach ausrichten.

Alle anderen würde ich gern fragen: Wessen Morgen ist der Morgen? / Wessen Welt ist die Welt?

2 Antworten auf „Solidarität? Brauch ich nicht…“

  1. Von Maxi am 1. Mai 2014

    Auf zur Demo!

    1. Von AnnaR am 3. Mai 2014

      KLasse Blog, wunderbar bissig geschrieben! Ja, da muss man sich schon an die eigene Nase greifen.. Solidarität bitte schön, aber nur wenns meine Interessen angeht 🙂

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