„Tanzen wird nicht aus der Mode kommen“
In einer Zeit, in der die drohende zweite Welle der Corona-Pandemie viele andere gesellschaftliche und politische Themen überlagert, kämpft Clubbesitzer Dirk Bamberger ums berufliche Überleben.
Dirk Bamberger wirkt gefasst. Und das, obwohl die Corona-Pandemie ihn und seine 450 Mitarbeiter inzwischen vor eine schier unbewältigbare Situation gestellt hat. Seit Beginn der Corona-Krise stehen Clubs und Diskotheken unter Generalverdacht. Wie Abstandsregeln einhalten, wenn nicht nur wummernde Bässe, sondern auch Aerosole und Schweißtropfen zwischen eng zappelnden Menschen umherfliegen? Eine berufliche Sackgasse für den im schwäbischen Balingen heimischen Clubbesitzer. Als sich die Katastrophe Ende Februar in Italien ankündigte, ging die Clubsaison gerade erst los. „März, April und Mai sind normalerweise gute Monate bei uns in der Szene“, erklärt der 55-Jährige und meint die kollektive Tanzfreude, die jeden Frühling ins Bewusstsein drängt und zu großem Publikum und entsprechenden Einnahmen führt.
Doch daraus wurde nichts. Schon damals ließ sich Ungutes erahnen. Aber die Wucht der Krise traf Bamberger als Besitzer mehrerer Bars und Clubs in verschiedenen Städten in Baden-Württemberg dennoch überaus hart. „Wir hatten am 7. März zum letzten Mal geöffnet.“ In diesem kurzen Satz schwingt für Bamberger die neue Realität der Verzweiflung mit. Denn der Alltag mit Corona zwingt zu völlig neuen Konzepten, weil das Virus vor allem in dicht gedrängten, kleinen Räumen greift. So ist es vom Anbrüllen auf der Tanzfläche zur Infektion nicht weit. Das weiß auch die Clubszene.
„Die Menschen wollen sich weiterhin treffen“
„Unserer Meinung nach kann man junge Leute nicht monatelang einsperren“, ist Bamberger sicher. Als Bars und Clubs dicht machten, trafen sich Jugendliche und junge Erwachsene stattdessen an Baggerseen, in Parks oder Bädern. Allerorten sehnte man sich nach wenigstens ein bisschen Alltag zurück und gab der Macht der Gewohnheit nach. Darum, glaubt Bamberger, werde der Drang, in großen Gruppen zu feiern, auch nicht abebben: „Die Menschen werden sich weiter treffen wollen – nur leider in nicht konzessionierten Innenräumen und nicht kontrolliert.“
In den bevorstehenden Herbst- und Wintermonaten wird die Viruslast auch auf privaten Hauspartys hoch sein. Stellen wir uns nur einmal vor: Die Zimmer auf der After-Work-Party von Uwe und Silke sind überfüllt. Vielleicht 15 Menschen drängen sich in kleinen, stickigen Räumen. Es wird geraucht. Weil die Gesprächslautstärke einiger Gäste angehoben ist, erheben auch alle anderen ihre Stimme. Zwischendurch lüften die Gastgeber dienstbeflissen – aber das macht dem kleinen Virus namens „Corona“ nicht viel aus. Weil die Luftfeuchtigkeit so hoch ist, springt es weiter von Schleimhaut zu Schleimhaut…
Was könnte nichtsdestotrotz ein Ausweg aus einem solchen erwartbaren Alltagsszenario sein? Zwar könnten mehr Fenster geöffnet und Räume somit besser durchlüftet werden. Doch würde so mancher Nachbar wegen „Ruhestörung“ nicht lange fackeln und die Polizei rufen. Solcherlei Auseinandersetzungen braucht letztlich niemand. Da ist der rettende Strohhalm, an den sich Bar- und Clubbesitzer klammern, vielleicht gar nicht so verkehrt. „Wir könnten klein anfangen, beschränkt. Natürlich nicht, wie es vorher war“, schlägt Bamberger vor, der auch Vizepräsident des Bundes deutscher Diskotheken und Tanzbetriebe (BDT) ist. „Es muss endlich weiter gehen, wir alle brauchen eine Perspektive – auch unsere Mitarbeiter, die private Ausgaben haben.“
Ein neuer Post-Corona-Alltag mit behördlichen Auflagen
Längst habe das nächtliche Gastronomiegewerbe Wiederöffnungskonzepte erarbeitet, um dem Virus Einhalt zu gebieten, versichert Bamberger auch im Namen des BDT. Im Gegensatz zu privaten Gastgebern wie Uwe und Silke könnten Tanzlokale Kontaktangaben überprüfen, Ausweise kontrollieren, Hygienemaßnahmen durchführen und Sitzgruppen auf Abstand halten, ist Bamberger überzeugt. „Das sind Maßnahmen, die wir problemlos leisten können.“ Doch dann kommt er auf die große Sorge zu sprechen, die hinter allem schwelt und die seit der sechs Monate andauernden Zwangspause zum täglich grüßenden Murmeltier seiner Branche wurde: „Unsere Befürchtung ist, dass die Leute bald denken werden, in den Clubs regt sich nichts mehr“, beschreibt Bamberger die anhaltende Not im Gastgewerbe.
Auf die Frage, ob das Ausgehen je aus der Mode kommen könnte, antwortet Bamberger hoffnungsvoll: „Ich glaube, dass bei jungen Menschen immer der Wunsch nach Gemeinschaftserlebnissen bestehen wird. Ob es gemeinsamer Sport, Konzertbesuche oder enges Zusammenfeiern sind – das bleibt sicher. Tanzen wird nicht aus der Mode kommen.“ Nach einer kurzen Pause fügt er trotz gefestigter Stimme mit leicht besorgtem Unterton an: „Aber was eben für kurze oder längere Zeit verschwinden könnte, ist, dass sich Menschen Indoor-Lokalitäten wie unsere Clubs zum Feiern suchen.“ Von der Politik wünscht sich der Geschäftsmann, der seit 1992 Clubs und Bars betreibt, deshalb mehr Unterstützung und einen mutigen Blick nach vorne. „Lasst uns in Deutschland zusammenarbeiten, um die Infektionszahlen einzudämmen und gleichzeitig den bisherigen Alltag weitgehend aufrecht zu erhalten. Das können wir schaffen – gemeinsam.“