Toleranz statt Arroganz
Gewalt und Terror bedrohen den Frieden und Zusammenhalt einer jeden Gesellschaft. Nicht selten sind es gerad religiöse Fanatiker, von denen Gewalt ausgeht. Dabei verlangt Glaube vor allem Toleranz gegenüber Andersdenkenden.
Ein Syrer sprengt sich in Ansbach in die Luft. Ein junger Flüchtling verletzt in einem Regionalzug bei Würzburg mehrere Menschen mit einer Axt. Auf der Feier zum französischen Nationalfeiertag in Nizza tötet die Amok-Fahrt mit einem LKW mehr als achtzig Menschen.
Nach den Attentaten der vergangenen Tage werden die Stimmen lauter, die in der muslimischen Herkunft der Täter den Grund für die Terrorakte sehen. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) weist derartige Mutmaßungen zurück. „Die Werte der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die Werte der französischen Revolution sind unsere Werte. Sie anzugreifen, bedeutet uns anzugreifen. Die allermeisten Muslime stehen und setzen sich für Toleranz, Frieden und Zusammenhalt ein“, so Mazyek in einer Pressemitteilung zum Nizza-Attentat. Ein Glaube, der Millionen Menschen zusammenhält, duldet Extremismus und Salafismus nicht.
Von der Wahrheit
Die Christenverfolgung, islamische Expansionskriege und Kreuzzüge der katholischen Kirche stehen für vergangene Zeiten. Doch an Aktualität haben diese Praktiken nicht wirklich eingebüßt. Auch im Jahr 2016 beschäftigen uns Hass und Intoleranz. Einige Menschen stellen ihren Glauben über den anderer. Mit Gewalt wollen sie zeigen, welcher Glaube der bessere ist. Der Anspruch auf die eine Wahrheit gefährdet die Toleranz.
Doch gibt es diese eine Wahrheit überhaupt? Dieser zentrale Begriff der Philosophie ist schwer zu messen. „Die Wahrheit“ entspricht dem Empfinden und der Sichtweise des Einzelnen gegenüber bestimmten, tatsächlich vorhandenen Dingen. So kann der eine frieren, während der andere die gegebenen Temperaturen als Hitze empfindet. Keiner der beiden hat in diesem Fall Recht oder gar Unrecht, es gibt keine eine Wahrheit. Es kann sie aufgrund der individuellen Auffassung der Menschen gar nicht geben.
Glaube vermittelt Nächstenliebe
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, heißt es in der Bibel im Brief des Paulus an die Galater. Der Glaube an einen Gott, der die Verletzung von Menschenrechten und der Menschenwürde verurteilt, ist der Wahrheitsanspruch im christlichen Glauben. Im Koran werden unterschiedliche Kulturen und ihr Glaube als Bereicherung dargestellt. „Helft einander zur Rechtschaffenheit und Gottesfurcht“, lautet es in der heiligen Schrift des Islams. Der Glaube, ob christlich oder islamisch, ruft zur Toleranz in einer menschenfreundlichen Kultur auf.
Um dem Pluralismus in der Gesellschaft offen zu begegnen, müssen wir uns unserer Identität und Herkunft bewusst sein. Und zu ihnen bekennen dürfen. Der Glaube als identifizierende, innere Kraft fordert Toleranz gegenüber dem Fremden. Beziehungen und Wissen über andere Kulturen können das eigene Selbstverständnis weiterentwickeln.
Tolerieren – nicht besser, sondern anders
„Nicht diejenigen verbrennen Bücher und jagen sich und andere in die Luft, die sich sicher sind über die Werte, die ihnen am Herzen liegen, sondern im Gegenteil diejenigen, die tief verunsichert sind, leicht seelisch Gleichgewicht verlieren und im Groll feststecken“, schreibt Bundespräsident Joachim Gauck in seinem Buch „Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers“. Während die eigene Überzeugung ausgelebt wird, muss die Vielfalt geschützt werden – dies verlangt Rücksichtnahme. Gleichzeitig zeigt Gauck: Perspektivlosigkeit, Ungleichheit und Angst – eine fehlende Identität – lassen Intoleranz wachsen.
Toleranz ist dynamisch. Trotz unterschiedlichen Glaubens macht Toleranz die Anerkennung des Unbekannten möglich. Statt zu verurteilen und belehren zu wollen, akzeptiert ein toleranter Mensch die Wahrheitsansichten anderer. Dann kann gegenseitige Achtung und Würdigung gelingen.
Keine grenzenlose Akzeptanz
Überwiegt der Wahrheitsanspruch einer Gruppierung, sind eine Radikalisierung und Gewalt im Namen des Glaubens möglich. Doch nicht der Glaube förderte diese extremistischen Züge, sondern das jeweilige Verständnis des Einzelnen. Der Einzelne fühlt sich scheinbar überlegen.
In diesem Fall ist Kritik und Misstrauen gerechtfertigt. „Die Toleranz ist nicht grenzenlos. Sie findet ihre Grenze, vielleicht ihre einzige Grenze, in der etwaigen Intoleranz des anderen“, so der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt. Diese Grenzen beginnen dort, wo menschliches Leben weniger wert ist als der Glaube des anderen.
Nächstenliebe, Anerkennung und Verständnis sind Bestandteile einer toleranten Grundeinstellung. Gerade in einer pluralistisch denkenden Gesellschaft ist das Zusammenleben herausfordernd. Beide Seiten müssen sich offen begegnen. Tolerieren bedeutet, einander zu zuhören, sich auszutauschen und Vergleiche zur eigenen Sichtweise zu ziehen. Immer wieder.