Über sich selbst hinauswachsen
Ein Berater für den Traumjob, einer für die Beziehung und dann noch ein Personal Trainer für den Sport – Ratgeber für jede Lebenslage gelten heute quasi als „must have“. Unsere Autorin hat sich mit einem getroffen und wurde überrascht.
Und plötzlich lande ich zufällig auf der Facebook-Seite von spatha. Es ist die Social Media-Präsenz von Johannes Rudolf, einem Lebensberater. Oder „Coach“, wie man heute sagt. „Es ist Zeit zu werden – wer du wirklich bist! Finde deinen Lebenszweck und gebe deinem Leben einen tieferen Sinn“, heißt es dort. Ich bin neugierig. Wie hilft ein Berater seinen Klienten dabei, ihren Lebenszweck zu finden? Da es keine anerkannte Ausbildung, keine Standards und keinen Titelschutz für Coachs gibt, möchte ich mir selbst ein Bild von so einem Lebensberater machen.
Ich treffe Johannes, den Kopf hinter spatha. Er ist groß, durchtrainiert und strahlt mich an. Sein weißes Hemd hat der 27-Jährige lässig bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt. Dazu trägt er eine blaue Stoffhose und Lederschuhe. Business casual – ganz professionell, aber eben nicht aufgesetzt. Es funktioniert: Er wirkt sympathisch und kompetent. Seit 2016 arbeitet Johannes ausschließlich als Coach und hat viel vor. Es sei ihm wichtig, sein Unternehmen professionell zu entwickeln. „Ich will, dass das richtig groß wird.“
Zurzeit lebt er allerdings noch auf kleinem Fuß: bei Bekannten in einem überschaubaren Zimmer in Rosenheim bei München. Weil er sich um den Garten kümmert, darf er dort kostenlos wohnen. Was er beruflich machen sollte, wusste Johannes lange nicht. „Das war echt hart, weil alle einfordern, dass man einen Plan haben muss“, sagt er. „Aber es ist gar nicht schlimm, keinen Plan zu haben. Man muss sich Zeit nehmen, um seine Berufung zu finden.“ Johannes hat selbst zuerst als Sanitäter gearbeitet, dann eine Ausbildung zum Pilot begonnen und wieder abgebrochen und schließlich in der Gastronomie gejobbt.
Durch Männerrunden zum Traumberuf
Nebenher bot er schon länger sogenannte „Männerrunden“ an. „Es ist wichtig für Männer, eine Gruppe zu haben, in der sie sich über mehr als das übliche Stammtischgeschwätz austauschen können“, erklärt Johannes und klingt tatsächlich schon nach Coach. Damals konnte er sich jedoch noch nicht vorstellen, dass das einmal sein Beruf werden könnte. „Doch ich habe gemerkt, dass mir das Spaß macht und ich den Menschen wirklich helfen kann“, sagt er. Nach einem Seminar bei einem Coach stand sein Traumberuf fest.
„Ich will meinen Klienten dabei helfen, auch ihre Berufung zu finden.“ Seine Klienten, das sind Menschen, die etwas ändern möchten. Die unzufrieden sind mit ihrem Job, ein Burnout haben oder zu wenig Selbstbewusstsein. So wie Hannah, 27. Als sie zu Johannes kam hatte sie einen guten Job, Geld, Freunde – war aber sehr unglücklich und hatte kaum Selbstbewusstsein. „Wir fanden gemeinsam heraus, dass sie ganz viele Talente besitzt, die sie aber gar nicht gelebt hat“, erzählt Johannes. Er begleitete sie ein halbes Jahr, stand ihr zur Seite, wann immer nötig. „Sie hat erkannt, dass sie gerne schreibt. Jetzt hat sie einen Blog und viel glücklicher und selbstbewusster.“
In der Sackgasse
Wie Hannah stecken auch andere oft in einer Sackgasse, aus der sie nicht mehr alleine rauskommen. „Viele Menschen möchten etwas verändern, wissen aber nicht, was genau“, berichtet Johannes. Entweder kann man zu mehreren an einem seiner Workshops teilnehmen oder sich individuell coachen lassen. Sogar bis zu einem Jahr lang. Für seine Klienten ist er dann fast rund um die Uhr erreichbar. Er trifft sie oder hilft per Skype und Telefon. Mehr als 25 Menschen haben sich bereits an Johannes gewandt.
Manchmal lehnt er jedoch Klienten auch ab. „Wenn ich merke, dass Menschen ganz schlimme Probleme haben und erst einmal einen Psychologen und eine Therapie brauchen, verweise ich sie auf jeden Fall weiter.“ Im Vergleich zu Therapeuten, der ihr Wissen aus Büchern und dem Studium haben, sagt Johannes, profitiert er von den Erfahrungen, die er selbst und andere bereits gemacht und geteilt haben. „Ich diagnostiziere keine Krankheiten, sondern suche nach Lösungen“, erklärt er den Unterschied zu einem klassischen Therapeuten.
Der Depression entkommen
Obwohl ich dem Thema Coaching gegenüber eher skeptisch war, beeindruckt mich Johannes. Und dann erzählt er, dass auch er einmal eine Phase durchmachen musste, in der er nicht mehr weiter wusste: Er wuchs ohne Vater und mit einem strengen Großvater auf. „Er sagte mir immer, dass ich nichts kann und alles falsch mache.“ Aus einem mutigen Jungen wurde so ein schüchterner Teenager. Um seine gefühlte Minderwertigkeit zu kompensieren, betrieb Johannes Sport. Irgendwann so exzessiv, dass er stark an Gewicht verlor und körperlich immer schwächer wurde.
„Mit 16 konnte und wollte ich nicht mehr aufstehen. Ich litt an einer Depression.“ Sein Therapeut konnte Johannes nicht wirklich helfen. „Ich versuchte mich anzupassen und machte mein Abitur“, sagt er. „Aber die Depression kam immer wieder zurück.“ Dann entschied er sich, sein Leben zu ändern. Er packte seinen Rucksack und flog nach Neuseeland. Diese Reise half ihm, wieder selbstbewusster zu werden und herauszufinden, was er wirklich möchte. „Weil ich selbst weiß, wie sich Sinnlosigkeit anfühlt, kann ich meinen Klienten heute so gut helfen“, sagt Johannes heute. „Ich kann Menschen begeistern und schaffe es, dass sie sich mir öffnen.“
Durch spezielle Methoden wie Hypnose oder Reflexionstechniken versucht Johannes Ängste und Blockaden zu lösen oder Talente der Klienten heraus zu finden. Dabei bietet ihm seine Position den entscheidenden Vorteil: Er ist nicht so nah dran wie Freunde oder Angehörige und vermittelt zugleich nicht das Gefühl, man sei krank. „Außerdem motiviere ich sie immer wieder dazu, Dinge zu hinterfragen und sich zu trauen, Entscheidungen zu treffen.“
Ratschläge zu geben ist dabei nicht sein Ziel. Eher die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen.