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Unsere Genitalien sind politisch! Oder?

Von Bilke Schnibbe / 26. Februar 2019
picture alliance / Zoonar | Axel Bueckert

Feministische Aktivist_innen und auch Privatpersonen nutzen persönliche Geschichten, um politische Ziele zu verfolgen. Der Erfolg von #metoo und #aufschrei scheint ihnen Recht zu geben. Aber ist das wirklich der richtige Weg?

1971 bekannten sich 374 Frauen öffentlich dazu, abgetrieben zu haben, und ebneten damit den Weg zur Straffreiheit von Abtreibungen in Deutschland. Die Protagonistinnen riskierten damit sowohl eine strafrechtliche Verfolgung als auch öffentliche Anfeindungen. Auch heute, bald 50 Jahre später, leben viele feministische Kampagnen davon, dass Frauen* intime Erfahrungen, Geschichten, Themen in die Öffentlichkeit tragen. Mithilfe sozialer Medien kann mittlerweile jede ihre Geschichte öffentlich erzählen und die Möglichkeiten, das Private auch öffentlich politisch werden zu lassen, haben immens zugenommen. So stellen in den letzten Jahren einige Menschen ihre Privatsphäre hinten an, um feministische Ziele zu verfolgen. Warum ist das so? Und, ist das überhaupt eine gute Idee?

2013 teilten und diskutierten Menschen ihre Erfahrungen mit Alltagssexismus und Übergriffen unter #aufschrei. 2017 folgte dann #metoo, angestoßen durch die Debatten darum, wie Harvey Weinstein seine Position als einflussreicher Filmproduzent jahrelang nutzte, um Frauen zu sexuellen Handlungen zu nötigen. Unter diesem Hashtag berichteten tausende Menschen von ihren Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt. Wie schon 1971 wurden auf diese Weise öffentliche Diskussionen angestoßen, die es vorher nicht gab, obwohl Statistiken längst offenbart hatten, dass sexualisierte Gewalt ein weit verbreitetes Problem ist. Es scheint so, als sei es nötig, dass Betroffene komplett die Hosen runterlassen, um auf Solidarität zu treffen. Müssen wir tatsächlich unsere Privatsphäre opfern, um gehört zu werden?

David Bowie hui – Emma Watson pfui

Doch so einfach ist es ganz und gar nicht. Privates oder gar Intimes preiszugeben kostet die meisten Menschen Überwindung. Und es kann sehr schnell sehr negative gesellschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen. Dass insbesondere Frauen gemaßregelt werden, wenn sie intime Erfahrungen teilen, zeigt sich nicht nur in den Fällen, wo sie dies freiwillig tun. Alle paar Jahre geistern Artikel darüber durch die sozialen Netzwerke, von welchen weiblichen Stars Nacktfotos geleakt wurden. Opfer solcher Hackerangriffe wurde 2014 unter anderem Scarlett Johansson, 2017 traf es Emma Watson. Die daran angeschlossenen Debatten um Frauenkörper einerseits und angemessenes Verhalten andererseits waren durchzogen von einer deutlichen Doppelmoral. Als sei die Existenz privater Nacktfotos beschämend und nicht ihr Diebstahl! Nacktfotos von männlichen Stars sind zum einen kein gängiges Ziel der meisten Diebe, zum anderen blamieren sich Männer höchstens, die mit intimen Details in die Öffentlichkeit kommen, wenn überhaupt. Selbst im Falle von Straftaten wurden Männer lange nur wenig angefeindet. David Bowies Karriere etwa endete keineswegs, als bekannt wurde, dass er als Erwachsener eine 14-Jährige unter Alkohol gesetzt und zu sexuellen Handlungen gedrängt hatte.

Ob ihnen nun Nacktfotos geklaut wurden oder sie mit Absicht nackt in der Öffentlichkeit auftreten, wie zum Beispiel die Aktivistinnen von Femen, welche barbusig protestieren: Verächtliche Reaktionen richten sich überdurchschnittlich oft gegen Frauen, deren Privatsphäre als nicht mehr in Takt wahrgenommen wird. Dieser Haltung ein Ende zu setzen wäre angebracht.

Wie können wir etwas ändern und gleichzeitig auf uns aufpassen?

Andererseits bleibt die berechtigte Frage, warum grade Betroffene von sexualisierter Gewalt ihre Erfahrungen berichten müssen, damit sich etwas tut. Wieso funktioniert unsere Gesellschaft so, dass Diskriminierte, die sowieso schon die Arschkarte haben, es auch noch auf sich nehmen müssen, unser aller Müll wegzuräumen und sich dafür auch noch anfeinden zu lassen? Die negativen Reaktionen auf den Stern-Artikel 1971, als auch auf #aufschrei und #metoo zeigen, dass es ein dickes Fell braucht, um mit derart persönlichen Informationen in die Öffentlichkeit zu treten. Dennoch ist dieser Schritt wichtig, denn nicht die Offenlegung als solche ist das Problem, sondern die daraus resultierende Stigmatisierung. Das Tabu, über diese Dinge zu sprechen, speist sich maßgeblich daraus, dass das Ansehen und gewissermaßen die Betroffenen an sich als “beschädigt“/ mitschuldig/ unglaubwürdig uvm. gelten, wenn sie mit ihren Erlebnissen in die Öffentlichkeit gehen.

Sich gegen diese Herabwürdigung zur Wehr zu setzen ist ein wichtiger Schritt, weil erst so für Außenstehende deutlich und nachfühlbar wird, wie es sich konkret äußert, Mitglied einer benachteiligten Gruppe zu sein. Wie ist es, Opfer einer Vergewaltigung zu sein und dann nicht darüber sprechen zu können? Wie genau kommt es eigentlich dazu, dass es so viele sexualisierte Übergriffe, aber so wenig Verurteilungen gibt? Und, last but not least, geht es auch darum, mit diesen Erfahrungen nicht alleine zu bleiben. Die eigenen Geschichten nicht zu erzählen verhindert, dass sich Betroffene miteinander solidarisieren und sich gegenseitig unterstützen können. Es verhindert, dass die Dimensionen von verbaler und physischer Gewalt sichtbar werden, dass Diskriminierung nicht nur einzelne, sondern große Teile der Gesellschaft betrifft. 1971, 2013 und 2017 zeigen, dass es helfen kann, private Geschichten zu erzählen und dass die, die sich trauen, bei allem Gegenwind auch Solidarität, Empathie und Zuspruch erfahren.

*Menschen, die sich der weiblichen Geschlechtsidentität zugehörig fühlen

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