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Utopische Träume für eine strahlende Zukunft

Von Nico Amiri / 12. März 2025
picture alliance / abaca | -

Grüne Wiesen, Solarzellen und CO2-neutrale Städte statt grauer Hochhausfassaden in Neonlicht – Solarpunk statt Cyberpunk.

Der Anime „Dear Alice“ zeichnet ein hoffnungsvolles Bild der Zukunft. Auf die Szene der mit Solarzellen bedeckten grünen Wiese folgt  eine Frau in ihrer lichtdurchfluteten Küche, in der ihr Wasserkocher – futuristisch echt eben – über dem Induktivfeld des Herdes schwebt. Auf ihrem Balkon erblickt sie weite grüne Landschaften, über denen Windturbinen in Ballons schweben. Und während ihre Tochter in den elektrisch angetriebenen Schulbus einsteigt und in die nahegelegene Stadt fliegt, widmet sich die Protagonistin den Maschinen, aus denen sie es auf Knopfdruck künstlich regnen lässt. Eine Szene später pflücken Roboter die Pfirsiche, die bereits reif sind – und diese werden der Gemeinschaft gespendet.

Diese naturnahe, lebensbejahende Fiktion baut auf der Vorstellung von Solarpunk auf – „solar“ lässt sich mit „von der Sonne stammend“ übersetzen. Zu Beginn der 2000er-Jahre hielt mit diesem Genre eine neue Art von Science-Fiction Einzug in die Welt der Literatur. Zunehmend greifen auch andere Kunstschaffende die Ästhetik auf und stellen ihre optimistische Vision von der Zukunft der Menschheit multimedial dar. Damit antworten die „Solarpunks“ auf den Cyberpunk-Pessimismus, den es seit den 1960er Jahren gibt. Letzterer zeichnet eine düsteren Zukunftsvision, in der Großkonzerne mit High-Tech Macht über Mensch und Gesellschaft erlangen wollen.

Zurück zu „Dear Alice“; denn der Anime zeichnet uns nicht uneigennützig ein buntes Bild der Zukunft. Nein, tatsächlich handelt es sich hier tatsächlich um eine Werbung für eine Joghurtmarke. Da stellt sich die Frage: Ist das nun schlicht grün angestrichener Kapitalismus, der uns gegen den Pessimismus helfen soll? Oder geht Zukunft auch anders: grüner, gemeinschaftlicher und modern?

Licht und Schatten des Kapitalismus

Um uns mögliche Szenarien der Zukunft auszumalen, hilft ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Vor erst rund 250 Jahren begann bei uns in Europa die Industrielle Revolution. In einem nie dagewesenen Tempo veränderte sich das Leben von Menschen grundlegend. Auch der Kapitalismus, der unsere Welt noch heute prägt, stammt aus dieser Zeit. Am Anfang standen Dampfmaschinen, doch wurden sie im Laufe der Jahrzehnte zunehmend durch leistungsstärkere Maschinen und Antriebe ersetzt.

Springen wir in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts, stellen wir fest, wie das Tempo noch rasanter zunahm. Neue Technologien entstanden und wurden schnell erschwinglicher. So hielten sie Einzug in Gesellschaften, auch in den gewöhnlichen Haushalten, nicht nur in den Industrien. Um den rasant zunehmenden Energiehunger und die wachsende Anzahl an Menschen zu versorgen, setzen die Generationen seit mehr als 100 Jahren stark auf Öl, Kohle und Gas. Heute wissen wir, dass wir so nicht weiter machen können – sofern wir uns und den Menschen und Tieren, die nach uns kommen, keine Erde hinterlassen wollen, auf der es für mehr und mehr Menschen immer schwieriger wird, gut zu leben.

Vorhang auf für die Utopie  

Hier betritt Solarpunk die Bühne. In einer Welt, die von menschengemachten Klimawandel und Umweltzerstörung bedroht ist, erhebt sich Solarpunk als mutiger Vorreiter der Veränderung. Anders als in Cyberpunk  – „cyber“ steht für Computer und das Internet – malt Solarpunk die Zukunft der Menschheit nicht in grauen Hightech-Städten, in denen KI und virtuelle Realität uns anscheinend in die charakterlosen Hochhäuser verdrängen würden. Ganz anders nämlich: Die Verbundenheit der Menschen mit Natur und Technologie prägt das Bild des optimistischen Punks.

Die Endung „-punk“ in beiden Namen steht für Unangepasstheit und das Rebellentum, doch die grundlegende Einzigartigkeit von Solarpunk ist die Ablehnung des dystopischen Pessimismus. Und aus dem Genre, das lange „nur“ in Büchern existierte und die von der Natur inspirierte Ästhetik in den Mittelpunkt stellt, ist mittlerweile eine gesellschaftliche Bewegung geworden.  

Vor etwa zehn Jahren entwarf die Graswurzelbewegung „regenerative design“ aus Spanien ihr Solarpunk-Manifest; in der dezentralen Community gilt das Dokument als ein wichtiger Bezugspunkt. Der Gruppe geht es bei Solarpunk um „Rebellion, Gegenkultur, Postkapitalismus, Dekolonialismus und Begeisterung“. Im Zentrum stehen Menschen und Umwelt: Das Leben in der Gemeinschaft steht im Vordergrund, „grüne Architektur“ steht für Nachhaltigkeit und Resilienz, die Energie stammt aus erneuerbaren Quellen. Technologie und die Natur werden in dieser imaginären Zukunft keine Gegensätze mehr sein. Der ständige Wettbewerb um Ressourcen würde dem Miteinander weichen, sind sich die Solarpunks sicher. Aber – und das betonen die Aktivist:innen auch – den einen richtigen Weg dorthin gäbe es nicht. Ob es nun „grüner Kapitalismus“ sein wird, der Solarpunk möglich machen wird, oder ein von ihnen erhofftes alternatives Wirtschaften, lässt sich nicht abschätzen.

Sind wir schon auf dem Weg in eine Solarpunk-Zukunft?

Die „grüne Utopie“ baut auf einem Klimaoptimismus, also der Zuversicht, dass wir den Klimawandel eindämmen und unsere Umwelt schützen können. Schon heute sehen wir Ansätze von Solarpunk-Ideen: Balkonkraftwerke (einfach zu installierende Solarmodule), intelligente Stromnetze, die Forschung an Kernfusion. All diese Innovationen und bereits günstiger werdende Energiequellen stellen die fossilen Brennstoffe zunehmend in den Hintergrund. Dem Klima zu schaden, wird bald schon viel teurer werden.

Eine Utopie scheint immer in weiter Ferne zu liegen, doch wenn wir heute schon Anfänge und Gründe für diesen Optimismus sehen, dann wirkt diese Version der Zukunft gar nicht mehr so fern. „Im Kern ist Solarpunk eine Zukunftsvision, die das Beste verkörpert, was die Menschheit erreichen kann“, liest es sich im Manifest.

In einer Welt, die oft von düsteren Zukunftsvisionen geprägt ist, bietet Solarpunk einen optimistischen Gegenentwurf: eine nachhaltige und gerechte Zukunft, in der wir mit unserer Technologie harmonisch mit der Natur koexistieren.

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