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Vergangenheitsbewältigung in Namibia 

Von Lisa Ossenbrink / 21. Mai 2021
picture alliance / imageBROKER | Oliver Gerhard

Anerkennen, entschuldigen und entschädigen. Ein Aussöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia soll diese Punkte nun ein für alle Mal klären. Welche Gräuel deutsche Kolonialtruppen den Volksstämmen der Herero und Nama angetan haben, wurde nämlich nie richtig aufgearbeitet. Lokale Aktivist*innen tragen ihren Teil dazu bei, für historische Gerechtigkeit zu sorgen.

Über das deutsche Erbe in dem von Deutschland einst kolonialisierten afrikanischen Land haben wir hier berichtet: https://sagwas.net/anders-deutsch/ Doch damit ist die Geschichte Namibias noch nicht auserzählt.

Wer in Windhuk die Independence Avenue im Stadtzentrum hinunterläuft, findet auf Anhieb mehrere deutsche Buchläden. Von touristischen Reiseführern über Memoiren der DDR-Kinder bis zu Siedlergeschichten: Hier ist alles vorhanden. Aber eine bestimmte Episode wird entweder unbemerkt außer Acht gelassen oder absichtlich geschichtlich revidiert: der Genozid an den Stammesangehörigen der Herero und Nama, bei dem insgesamt um die 75.000 Menschen beider Volksgruppen getötet wurden. 

Nostalgische Erinnerung an die Kolonialzeit

Häufig wird der Völkermord gänzlich verleugnet, indem er als Aufstand oder Krieg der Herero und Nama gegen die deutschen Siedler*innen dargestellt wird. Jana Marie Backhaus-Tors, eine studierte Afrikawissenschaftlerin, die seit 2015 in Windhuk lebt, erinnert sich daran wie sie während des Besuchs einer edlen Ferienunterkunft, einer sogenannten Lodge, auf ein eklatantes Beispiel von Geschichtsrevisionismus stieß.

„Wir waren auf einer Lodge am Waterberg, die von einem Deutsch-Namibier geführt wurde“, beginnt sie. Der Waterberg, muss man wissen, ist der Ort, an dem sich 1904 das Verbrechen vollzogen hat: Hier gab der preußische General Lothar von Trotha den Vernichtungsbefehl, Herero und Nama zu töten oder sie in die Omaheke-Wüste zu vertreiben. Doch ausgerechnet an einem solch geschichtsträchtigen Ort findet sich weder irgendeine Art von Erinnerungsstätte noch ein touristisches Informationszentrum. Und das allein spricht Bände.

Backhaus-Tors fand auf der Lodge ein Buch ausgestellt. „Von außen betrachtet sah das Buch wissenschaftlich und solide aus. Obwohl ich schon von Beginn an wusste, dass die historischen Fakten nicht korrekt dargestellt waren, konnte ich erst nach intensiver Beschäftigung mit dem Buch erkennen, dass die genannten Quellen überhaupt nicht fundiert waren.“ Dann ergänzt sie: „Aber ich bin studierte Afrikawissenschaftlerin – die gewöhnlichen Touristen, die zu dieser Lodge kommen, könnten schnell davon überzeugt sein. Insbesondere dann, wenn sie nichts von der Geschichte Namibias wissen.” 

Einen Genozid nicht als solchen anzuerkennen, bedeutet nichts anderes, als Geschehenes zu verleugnen und keine Verantwortung für die Tat zu empfinden. Wenn man zudem die Vielzahl der Schriften betrachtet, die den Völkermord umdeuten, liegt die Befürchtung nahe, dass viele Deutsch-Namibier*innen diese Ansicht teilen könnten. In vielen Lodges und Bars, die ihnen gehören, lassen sich längst eindeutige Andenken an die Kolonialzeit finden, oft in Form von Bildern des alten Kaiserreichs oder auch Plakaten mit rassistischen Karikaturen, die schwarze Menschen zeigen.

Statuen von Kolonialherren glorifizieren? 

Die Initiative @acurtfarewell möchte Abhilfe leisten und zielt auf eine neue Form von Vergangenheitsbewältigung ab. Ins Leben gerufen hat die Initiative Ende 2020 Hildegard Titus, Aktivistin für soziale Gerechtigkeit. Unter anderem damit die Statue des deutschen Offiziers Curt von François abgeschafft werden soll. Auch eine Petition zur Namensänderung der Trotha- und Lindequist-Straßen in Windhuk wird von ihr angestrebt. 

Curt von François führte die deutschen Schutztruppen im damaligen Deutsch-Südwestafrika. Er gründete die Hauptstadt Windhuk 1890. Seine Person ist umstritten, weil er 1893 für den Überfall auf eine Farm namens Hornkranz verantwortlich war. Dabei griffen Soldaten den Privatwohnsitz von Hendrik Witbooi, Führer der Nama, an und töteten 80 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder. Mit diesem Vorgehen handelte François gegen die Order des 1870 gegründeten Auswärtigen Amtes. Das Massaker von Hornkranz westlich der Hauptstadt war die Art von kriegerischer Handlung, welche das Auswärtige Amt vermeiden wollte (Angriffe auf Einzelpersonen waren dagegen gestattet). 

In einem Land wie dem heutigen Namibia, das eine Vielzahl an Ethnien und Sprachen beherbergt, an einer Statue dieses Mannes festzuhalten, ist nicht gerade unproblematisch. Vielmehr sollte das Töten und der Angriff auf eine bestimmte Volksgruppe öffentlich als kriminelle Tat angeprangert werden – „und nicht dem Aggressor eine Skulptur gewidmet sein“, so Hildegard Titus. 

Auch das Reiterdenkmal in Swakopmund ist fragwürdig. Laidlaw Peringanda, Vorsitzender der Herero Genocide Foundation, setzt sich seit längerem dafür ein, dass „das Pferd“ vor einem Altstadt-Lokal verschwindet. Als Nachfahre der Herero und Nama repräsentiert er die Überlebenden des Genozids. Er erinnert sich an die Erzählungen seiner Großmutter, die in Swakopmund in einer Art Konzentrationslager untergebracht war. Statt diesen Umstand öffentlich als Fakt zu würdigen, sind Denkmäler ehemaliger Kolonialherren ausgestellt – ein Symbol, das für den Aktivsten nicht unpassender sein könnte. 

Zu wenig Informationen 

Auch Wissenschaftlerin Jana Marie Backhaus-Tors kritisiert den Mangel an öffentlichen Informationen zu Statuen und historischen Stätten in Namibia. Deswegen hat sie einen besonderen Audioguide ins Leben gerufen: Mit Exploradio, einer App, können Tourist*innen wie auch Einheimische kurze Informationsstücke zu diversen Städten, Attraktionen und auch zu bedeutenden Orten für die namibische Geschichte abrufen. „Mit Exploradio möchte ich genau die Leute erreichen, die sich sonst vielleicht nicht mit der Kolonialgeschichte auseinandersetzen“, erklärt sie. Von denen, betont Backhaus-Tors, gebe es leider noch immer zu viele – ob unter Tourist*innen, Deutsch-Namibier*innen oder anderen Einheimischen. 

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