Verhängnisvoller Konsum
In der Welt der unbegrenzten Möglichkeiten leben wir, als ob es kein Morgen gäbe. Wenn wir weiter so mit der Umwelt umgehen wie bisher, gibt es auch kein Morgen mehr.
Die freie, moderne Gesellschaft macht‘s möglich. Ein Kurztrip mit dem Flugzeug nach Madrid für kleines Geld, Kleidung aus Bangladesch zum Spottpreis und ein Regal voller exotischer Früchte im Supermarkt – wir leben in einer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten.
Was wir mit Freiheit, Lifestyle und Kosmopolitismus als Errungenschaften der Moderne feiern, betitelt der deutsche Soziologe Harald Welzer als „Diktatur der Gegenwart auf Kosten der Zukunft“. Ein nachhaltiges Leben und eine Konsumgesellschaft, wie wir sie heute erleben, schließen sich wechselseitig aus. Will man Ersteres, bedeutet dies spürbare Wohlstandsverluste für jeden Einzelnen – zumindest gemessen an dem Wohlstandsbegriff, wie wir ihn heute definieren.
Der Zwang zum Konsum
Aber ein nachhaltigeres Leben muss nicht zwangsläufig mit Konsumverzicht einhergehen, wenn wir beginnen, Produkte intelligenter zu nutzen. Doch sind den eigenen Gestaltungsmöglichkeiten dabei erhebliche Grenzen gesetzt. Zum einen treiben uns eingebaute, vorprogrammierte Verfallsdaten in elektronischen Geräten in die moralische Sackgasse, zum anderen zwingen uns notwendige Updates einen latenten Neukaufdruck auf. Wie primitiv dieser Konsumzwang ist, zeigt ein Beispiel aus Kalifornien. Die Glühbirne „Centennial Bulb“ leuchtet dort seit 113 Jahren – unvorstellbar, dass eine heutzutage gekaufte Glühbirne nur annähernd diese Lebensdauer erreicht.
Unsere moderne Gesellschaft brüstet sich damit, durch internationalen Handel und globale Vernetzung unendliche Möglichkeiten bereitzustellen – frei nach dem Motto „If you can dream it, you can do it“. Einhergehend mit diesen Möglichkeiten kommt der stetige Drang, „alles mitnehmen zu müssen“ – höher, schneller, weiter, in immer kürzeren Zeitabständen. Der Strandurlaub in der Karibik, das Auslandssemester in den Vereinigten Staaten und zu Silvester nach Rio – Fernweh scheint ein Phänomen vergangener Zeiten.
Raubbau an der Umwelt
Dieser globale Lifestyle ist der Ausdruck einer gleichgültigen Dekadenz gegenüber der eigenen Umwelt. Rund sieben Tonnen CO2 werden für einen Flug nach Mexiko und zurück pro Fluggast ausgestoßen. „Mal eben nach Mallorca“ belastet die Umwelt mit einer Tonne pro Passagier. Flugreisen verursachen den maximalen Schaden, den ein Mensch der Ökosphäre legal zufügen kann.
Zwar hat die Europäische Union mit dem Emissionshandel ein Instrument geschaffen, mit dem sich der Kerosinverbrauch eingrenzen ließe. Jedoch ist das Recht, eine Tonne CO2 in die Ökosphäre zu pumpen, bereits für knapp vier Euro zu erwerben. 2008 kostete ein Zertifikat noch 30 Euro. Der Preisverfall liegt an dem gigantischen Überschuss an verfügbaren Zertifikaten. Wäre der politische Wille da, könnte die Anzahl der Zertifikate drastisch verringert werden.
Derzeit werden Anreize geschaffen, die Umwelt zu verschmutzen, da der Verursacher nicht für den Schaden aufkommen muss. Auf Basis der Marktlogik, der wir uns unterwerfen, ist dies nur rational: Da Luft niemandem „gehört“, stellt niemand eine Verschmutzung in Rechnung. Um bis zu 215 Euro würde sich der Preis eines Flugtickets erhöhen, wenn man alle Folgekosten des CO2-Ausstoßes einberechnen würde, ermittelten niederländische Forscher. Vorbei wären die Zeiten des Dekadenztourismus, Flüge nach Rom oder Madrid für 30 Euro würden der Vergangenheit angehören.
Wohlstand auf Pump
Kritiker werfen an dieser Stelle ein, unser Wohlstandsniveau sei das Ergebnis der harten Arbeit vorangegangener Generationen. Diesen Reichtum können wir unseren Nachfahren nicht verwehren, während wir im Überfluss leben. Umweltschützer sind sich einig: Doch, wir müssen!
Denn schon 2030 werden wir zwei Planeten benötigen, um unseren stetig steigenden Ressourcenverbrauch zu befriedigen. Immer größere Menschenmassen, auch aus vormaligen Entwicklungsländern, haben ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht und erheben Anspruch auf Teilhabe an der Konsumgesellschaft. Wie könnte man es ihnen verwehren?
Der „Earth Overshoot Day“ ist zum Symbol für das globale Leben auf Pump geworden. Er kennzeichnet den Tag, an dem die natürlichen Ressourcen aufgebraucht sind, die die Erde innerhalb eines Jahres regenerieren kann. Der darüber hinausgehende Verbrauch ist wie ein von der Umwelt bereitgestellter Kredit – der vermutlich niemals zurückgezahlt wird. Dieses Jahr fiel der Welterschöpfungstag auf den 8. August.
Legt man den Kategorischen Imperativ von Kant als Messlatte für Gerechtigkeit an, dürfte jeder Erdbewohner nur so viele Ressourcen verbrauchen, wie der eigene Verbrauch verallgemeinerbar ist, ohne die Umwelt dabei zu belasten. Dieser Wert liegt bei etwa fünf Tonnen CO2 pro Kopf. Übersteigt man persönlich diesen Wert nicht, darf man ein reines Gewissen haben und von sich sagen: Wenn alle nur so bewusst lebten wie ich.
Weiterführende Literatur:
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Niko Paech 2013: Befreiung vom Überfluss, oekom Verlag.
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Harald Welzer 2013: Selbst Denken, S. Fischer Verlag.