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Versuch einer Bilanz – nicht nur mit Blick auf die Leinwand

Von Christa Roth / 3. März 2022
picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jens Kalaene

Es gab wunderbare Filme zu sehen, über die unsere Reporter_innen in unserem Berlinale-Schwerpunkt berichtet haben. Doch neben bildstarken Eindrücken sollten wir rückblickend auch über den zeitgemäßen Zustand des Festivals reden.

Ein Hauch von Glamour auf dem roten Teppich – oder zumindest online –, ein sich nach Kultur und Begegnung sehnendes Publikum: 2022 hat die Berlinale vieles möglich gemacht, was vor ein paar Monaten noch undenkbar schien.

Was den Aufbau der Veranstaltung angeht, sind sich Kritiker_innen mit exklusiven Branchenkenntnissen dennoch nicht sicher, inwieweit das jetzige Konzept in Zukunft tragen wird. Dabei steht nicht die Frage im Vordergrund, ob nicht auch Streamingdienste, die einen immer größeren Teil des Marktes dominieren, ihre Produktionen auf der Berlinale zeigen sollten.

Unsere Reporter_innen erklären in ihrer persönlichen Retrospektive, warum es bei der Berlinale längst um mehr als nur Filme geht. Und ob die Anpassung an die Pandemie tatsächlich den Aufwand wert war.

Meltem Kaptan hat den Silbernen Bären für die beste schauspielerische Darstellung erhalten. Früher wurde dieser Bär zweimal – für Frauen und Männer getrennt – vergeben. Welche Form der Preisverleihung entspricht euch mehr?

Lucca: Ich halte nichts von einer solchen Trennung. Damit unterstützt man nur ein Denken in binären Kategorien von Mann und Frau. Geschlechter, die sich nicht darin verorten, hätten dann keine eigene Preiskategorie. Lieber ein Preis für das beste Schauspiel und damit Vergleichbarkeit und nicht Differenz unterstreichen.

Lucca Pizzato: Ein Denken in binären Kategorien von Mann und Frau sollte man nicht unterstützen.

Vera: Ich sehe die Vorteile der Unterscheidung darin, dass Frauen, die immer noch unterrepräsentiert sind in der Filmindustrie, auch eine Stimme bekommen. Monika Grütter, die Beauftragte der der Bundesregierung für Kultur und Medien stellte 2020 fest, dass in Deutschland zwei Drittel der Regisseur_innen Männer sind. Logisch gesehen haben sie als größere Masse eine höhere Wahrscheinlichkeit auf eine Auszeichnung bei der Berlinale.

Vielleicht besteht jedoch die Gefahr, dass das zu einer Abstufung wie beim Fußball führt: „Das richtige Fußball ist Männerfußball und dann gibt es auch noch Frauenfußball.“

Grundsätzlich finde ich, dass man bei der Kategorie nicht nach dem Geschlecht unterscheiden sollte. Männer machen keine besseren Filme als Frauen und andersherum. Das hat eigentlich nichts mit dem Geschlecht zutun. Zumal diese binäre Differenzierung nicht unsere Gesellschaft abbildet, in der es mehr als nur zwei Geschlechter gibt. Vermutlich könnte man durch eine reflektierte und diverse Jury eine faire Vergabe des Preises, unabhängig vom Geschlecht, sicherstellen.

Sophia: Ich finde es gut, dass es einen Silbernen Bären für alle gibt. Nach Männern und Frauen zu trennen, erscheint mir einfach nicht mehr zeitgemäß. Schauspielerisches Talent hat nichts mit dem Geschlecht der Person zu tun. Warum sollte man da also unterscheiden?! Einen weiteren Vorteil, die diese Form der Preisverleihung mit sich bringt, ist, dass sie automatisch weniger diskriminierend zum Beispiel für trans-, inter- oder non-binary-Personen ist, da das Geschlecht ja ohnehin für die Preisvergabe offiziell keine Rolle mehr spielt. 

Hat das Format „Präsenzveranstaltung“ geholfen, um für die gebeutelte Kulturszene ein Zeichen zu setzen? Stichwort: „gelebte Kunst“. Oder war der Aufwand (Online-Akkreditierung, Ticketbuchung, Nachweise) am Ende doch eher lästig?

Vera Keddigkeit: Der technisch-bürokratische Aufwand hinter der Berlinale war es absolut wert, um ein Zeichen zu setzen.

Vera: Die Berlinale hat auf jeden Fall einen technisch-bürokratischen Aufwand mit sich gebracht – auch und gerade für mich als Journalistin. Das war es aber wert! Die Kulturszene hat so lange unter Corona gelitten. Es gab und gibt immer noch viele tolle online Ausweichangebote. Bei der Berlinale hat man aber gemerkt, dass Kultur wirklich besser in Präsenz funktioniert. Vor allem in der Interaktion mit anderen Menschen.

Sophia: Ich fand den Aufwand dafür, was es am Ende bewirkt hat, sogar recht klein. Ich persönlich konnte sehr viel aus der Präsenzveranstaltung ziehen, auch weil das alles so viel strukturiert und im Hinblick auf Corona gut geplant und umgesetzt war. Die Filme bekommen einfach eine andere Plattform und alles hat einen höheren Stellenwert als online.

Lucca: In Anbetracht der gut gefüllten Kinosäle und nach eigenem Empfinden, glaube ich schon, dass gerade Präsenzveranstaltungen wieder mehr Lust auf Kultur gemacht haben. Allein Menschen vor und nach dem Film vor den Kinos zu sehen, die sich angeregt über den Film unterhalten, war für mich definitiv ein Zeichen von gelebter Kultur.

Beendet wurde die Berlinale im Kino Cineplex Titania, dort, wo (damals: Titania-Palast) sie 1951 zum ersten Mal stattgefunden hatte. 156.000 Tickets wurden insgesamt verkauft, zumindest für die nach Corona-Einschränkung noch freien „Restplätze“. Laut der Veranstaltungsleitung ein „Erfolg“. Stimmt ihr zu?

Sophia Hörhold: Filme bekommen in einem Kino eine andere Plattform, alles hat einen höheren Stellenwert als online.

Sophia: Auf jeden Fall! Allein, dass das Festival unter den Auflagen in der aktuellen Situation nach zwei Jahren überhaupt in Präsenz hat stattfinden können, kann absolut als Erfolg gewertet werden. 

Lucca: Ökonomisch kann ich das nicht beurteilen. Für die Filmwelt, die Filmschaffenden und das internationale Publikum war es ein kulturelles Highlight inmitten der Pandemie. Dass das möglich war, ohne dass es ein „Superspreading“ Event wurde, werte ich als Erfolg.

Vera: Auch ich finde das wirklich beachtlich: Ein großes internationales Filmfestival hat keine Masseninfektion oder eine neue Welle ausgelöst. Schon in dieser Hinsicht war die Berlinale mit ihrem ausgeklügelten Hygienekonzept ein voller Erfolg.

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