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Warum sie ihre Straße verdient hat

Von May Niederhausen / 3. Juli 2024
picture alliance / dts-Agentur | -

Fast niemand kennt Audre Lorde, doch die Umbenennung der Manteuffelstraße ihr zu Ehren ist für die Anwohner*Innen ein Chaos aus Intransparenz und Ummeldungen geworden. Dabei hat die afro-amerikanische, queer-feministische Aktivistin so viel Besseres verdient.

Als ich zum ersten Mal die Straßenschilder der Audre-Lorde-Straße sah, fühlte es sich nach einem guten Omen an: Ich zog in die Nachbarschaft meiner liebsten Autorin. Allerdings fiel mir schnell auf, dass fast niemand sonst die afro-amerikanische Aktivistin und Schriftstellerin überhaupt kennt, trotz ihrer Zeit in Berlin in den 1980ern und ‘90ern. Als wenig später die neuen Schilder übersprüht wurden, war ich regelrecht bestürzt. Mir ist in diesem Moment klar geworden, dass ich mit meiner Begeisterung über die Umbenennung der Manteuffelstraße in der Minderheit zu sein scheine.

Umbenennung, Ummeldung, Unmut

Die Manteuffelstraße im Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain wurde im September 2023 im nördlichen Abschnitt in Audre-Lorde-Straße umbenannt, aber erst seit April hängen die neuen Schilder, zunächst noch neben den alten. Auch manche Hauseingänge sind neu „beschildert“ worden: Sie sollen den verwirrten Paketbot*innen erklären, warum Häuser plötzlich bis zu drei verschiedene Adressen haben können.

(Foto: May Niederhausen)

Denn durch die Umbenennung werden sich jetzt auch die Hausnummern ändern. Nur die halbe Manteuffelstraße wird umbenannt, also kann die frühere hufeisenförmige Nummerierung nicht einfach so weiterlaufen. Dieses langsame, stufenweise Vorgehen führt dazu, dass die Häuser dieser Straße auch nummerisch neue Anschriften haben können.

Jetzt müssen sich alle Anwohner*innen ummelden. Und bei der Androhung, in Berlin einen Bürgeramt Termin machen zu müssen, ist der allgemeine Unmut absolut verständlich.

Von alldem wussten die meisten Bewohner*innen nichts. Es gab keine Diskussionen vorab, keine Transparenz, kein Mitspracherecht. Die Entscheidung wurde nur in einem Amtsblatt veröffentlicht, das allerdings leider keiner liest. (Auch das ist ärgerlich.) Durch fehlende öffentliche Debatten rund um die Umbenennung bleibt undeutlich, welche Rolle rassistische und anti-feministische Überzeugungen bei der Ablehnung der Umbenennung spielen. Besorgniserregend.

Warum hat Audre Lorde überhaupt eine Straße verdient?

Am Anfang ihrer Reden bezeichnete Audre Lorde sich selbst als “black, lesbian, feminist, mother, poet, warrior” (Schwarze, Lesbe, Feministin, Mutter, Dichterin, Kriegerin). 1934 in New York geboren, studierte sie Bibliothekswissenschaft und wurde aktiver Teil der Civil-Rights- und (lesbischen) Frauenbewegungen. Sie veröffentlichte Vorträge, Essays und Gedichtbände. Ihr Hauptwerk „Sister Outsider“, eine Sammlung ihrer Vorträge der 1970er und ’80er Jahren, bleibt auch 40 Jahre nach der Veröffentlichung relevant und gehört zur Pflichtlektüre der Queer- oder Dekolonialen Studien, des Anti-Rassismus und Feminismus. Ihr Werk zeichnete sich durch eine Intersektionalität aus, also die Überschneidung von verschiedenen Formen der Diskriminierung, die ihrer Zeit um Jahre voraus war: Lorde verband verschiedene kritische Themen miteinander und schaffte dabei Gemeinschaften. Und dieser Einfluss ging weit über die USA und ihre Lebenszeit hinaus.

Audre Lorde (Foto: picture alliance / ZB | Morgenstern, Klaus)

Zwischen 1984 bis zu ihrem Tod in 1992, verbrachte Lorde viel Zeit in Berlin. Zeitweise war sie Gastprofessorin am Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität.

Während dieser Zeit trug sie maßgeblich zur Entwicklung der feministischen Bewegung in Deutschland bei, vor allem zur Emanzipationsbewegung afro-deutscher Frauen, die gerade anfingen, sich zu politisieren. Durch ihre Artikulationsmacht und ihre aktivistischen Erfahrungen inspirierte und unterstützte sie auch die Gründung von Adefra – Schwarze Frauen in Deutschland. Bis heute ist diese eine der wichtigsten Organisationen für deutsche Schwarze Menschen.

Audre Lorde verkörperte die länderübergreifende Vision einer Zukunft, in der alle Menschen ihre Unterschiede feiern. Mit ihrer politischen Kraft wurde sie zu einer zentralen symbolischen Figur und steht für einen kritischen politischen Moment Deutschlands. Sie verhalf Schwarzen Menschen, besonders Frauen, aus der politischen Isolation. Ihren Namen sollten, vor allem in Berlin, alle kennen.

Schlechte Umsetzung überschattet die gute Idee

Zurück zum Thema Straßenumbenennungen. Sie führen meistens zu genau den zwei Dingen, die auch hier passiert sind: bürokratisches Chaos und Kontroversen im Nachhinein.

(Foto: May Niederhausen)

Das Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain hat die Diskussion umgangen. Dafür läuft es jetzt im Nachhinein umso chaotischer. Die Vorgehensweise der Verantwortlichen, nämlich erst entscheiden, dann planen, ist zweifellos frustrierend. Immerhin verspricht die Pressesprecherin bei zukünftigen Straßenumbenennungen diese Probleme zu vermeiden. Na mal sehen.

Viele Umbennungen sind eine Form des Protests gegen den vorherigen Namen, wie zum Beispiel die aktuelle Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin. Aber Freiherr Otto Theodor von Manteuffel darf zumindest seine halbe Straße behalten. Obwohl der hochkonservative preußische Ministerpräsident nicht die Werte symbolisiert, für die der Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain im Grunde stehen will. Die Art und Weise, wie Audre Lordes Name in Berlins Stadtbild geschrieben wurde, hätte Besseres verdient. Aber dieser Name bringt endlich etwas Diversität zwischen all die alten weißen Männer, die sich auf deutschen Stadtkarten tummeln. Es waren nicht nur die Kriegsgeneräle, Oberbürgermeister oder weiße, heterosexuelle Politiker*innen, die Deutschland und Berlin geprägt haben: Es waren auch Schwarze, Lesben, Feministinnen, Mütter, Dichterinnen und Kriegerinnen.

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